Die Stadtneurotikerin
„New York, New York“ sang schon Frank Sinatra, respektive Liza Minelli in Martin Scorseses gleichnamigen Film von 1977. Der Filmemacher ist New Yorker durch und durch, und so lässt er es sich nicht nehmen, auch seine cineastischen Geschichten immer wieder in der Stadt an der amerikanischen Ostküste stattfinden zu lassen. New York als eine Stadt der Träumer, eine Stadt der Verlorenen, eine Stadt der Neurotiker, denn als solche lassen sich Frau und Herr New Yorker wohl am besten beschreiben. Zum Bild des dauermeckernden, vom Leben geplagten Therapiefalls hat neben Scorsese sicherlich Woody Allen am meisten beigetragen. Wer den Humor von letzterem gut findet, wird auch mit einer aktuellen Netflix-Serie viel Freude haben. Scorsese produzierte und inszenierte die sieben Folgen von „Pretend it´s a City“, einer Mischung aus Dokumentation und Comedy. Protagonistin ist Fran Lebowitz, ihres Zeichens Schriftstellerin und New Yorker Institution. Zwar zog sie damals, vor rund tausend Jahren aus New Jersey in die Stadt „die niemals schläft“, doch das ist ihr heute, im Alter von siebzig Jahren, nicht mehr anzumerken. Ihre Freundschaft zu Scorsese geht schon etwas zurück. Nun, im Alter sitzen sie auf Bühnen oder in italienischen Restaurants und Fran plaudert atemlos über ihr Leben, ihre Ansichten und ihre Meinungen, von denen sie unendlich viele hat. Es geht um New York als Stadt, um Kultur, Sport, Arbeit, Geld, um Verkehr und ums Lesen. Scorsese sitzt daneben und lacht in einer Tour, hier und da wirft er Stichworte ein oder fragt pointiert nach, und es scheint, als könnte Frau Lebowitz von keiner Nachfrage aus dem Konzept gebracht werden.
Dazwischen sehen wir Aufnahmen von ihr, wie sie in einem bis knapp über den Boden reichenden Mantel, Schal und Sonnenbrille durch die Häuserschluchten spaziert, und es wirkt so, als gehöre ihr die Stadt, als wäre sie die einzige, die wirklich verstünde, was in der Metropole geschieht, wie sie in ihrer Psychologie funktioniert und wie man sich im Großstadtdschungel am besten zurechtfindet. Fran hat den Humor in sich, gewürzt mit einer kräftigen Prise Nihilismus.
„In New York gibt es Millionen von Leuten, aber ich bin die Einzige, die schaut, wohin sie geht.“
Radfahrer, Autos, sie alle sind Fran Lebowitz auf ihrem Weg von Block zu Block ein Dorn im Auge. Es gibt Fitnessgruppen, die überdimensionale Autoreifen durch die Straßen ziehen, Leute, die freiwillig Baseball spielen und Sport generell gut finden, gefühlt jeder mit Ausnahme von Fran selbst hat ein hervorragendes Verständnis für Immobilienkäufe, und dass am Times Square Bücher verramscht werden, grenzt an Körperverletzung. Was das liebe Geld angeht, sieht es Fran pragmatisch. Sie hat genug, aber nicht zu viel. Generell gäbe es nur zwei Arten von Menschen auf der Welt.
„…die Art von Leuten, die denken, es gibt so etwas wie genügend Geld, und die Art von Leuten, die Geld haben.“
Fran Lebowitz und ihre teils recht nachvollziehbaren Ansichten („Das Problem an der U-Bahn sind die Passagiere“) leiten kurzweilig durch die sieben halbstündigen Episoden. Zu Scorsese, der so etwas wie der (zumeist stille) Moderator der Serie ist, gesellen sich weitere prominente New Yorker, beispielsweise der Filmemacher Spike Lee oder die Schauspieler Olivia Wilde und Alec Baldwin. Lebowitz´s langjährige und mittlerweile verstorbene Freundin und Nobelpreisträgerin Toni Morrison taucht zumindest in Archivaufnahmen auf. Ehemalige Weggefährten wie Andy Warhol, für dessen Zeitschrift „Interview“ Lebowitz einige Jahren geschrieben hat, betrachtet die Schriftstellerin ambivalent. Zu Warhol im Speziellen:
„Ich kam mit Andy nie zurecht. Andy kam nie mit mir zurecht. Seit er tot ist, geht es wesentlich besser.“
Ob „Pretend it´s a City Lust auf den „Big Apple“ macht? Nun, das ist wohl Geschmackssache und hängt vor allem davon ab, wie sehr man sich mit der doch recht eigenwilligen New Yorker Sicht auf das Leben identifizieren kann. Für sieben Folgen kann man den Ausflug in die überteuerte, von Neurosen geplagte Stadt aber wärmstens empfehlen.