Economy | Mobilität
„Noch viel Potential“
Foto: STA AG
Wie lebt es sich in Südtirol ohne Auto? Der pensionierte Geografielehrer Klaus Demar beschloss 1991 auf sein Auto zu verzichten, um einen Beitrag im Kampf gegen die zu dieser Zeit noch wenig diskutierte globale Erderwärmung zu leisten. Seitdem ist er mit dem Fahrrad und dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Europa unterwegs. Die historische Entwicklung von Bus und Bahn faszinieren ihn, über die Rittnerbahn in seiner Heimatgemeinde hat er als Erstautor zwei Bücher geschrieben.
Entwicklung des ÖPNV
Sein Fazit über die letzten Jahre Südtiroler Verkehrspolitik fällt nicht niederschmetternd negativ aus: „Ich sehe in den letzten 30 Jahren eine sehr positive Entwicklung, auch wenn es noch viel Potential gibt“, sagt Demar. Das sei lange Zeit nicht so gewesen: „Das Landesamt für Verkehrswesen, heute Mobilität, hat die öffentlichen Verkehrsmitteln jahrzehntelang vernachlässigt, erst unter Landesrat Thomas Widmann wurde dem Thema vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt“, so Demar.
Die Fahrer*innen von Bus und Bahn sind in Südtirol nicht sehr gut bezahlt.
Die Täler wurden besser angebunden, sodass Südtirol in dieser Hinsicht heute besser dastehe als Nordtirol und Oberbayern. Die Schweiz hingegen sei weiterhin ein ungeschlagenes Vorbild in der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. „Dort geht seit jeher ein großer Teil des Steuerkuchens in den öffentlichen Verkehr und die Verbindungen sind bis in die größeren Dörfer auch während der Nachtstunden gegeben. Dieses Angebot wird von der Bevölkerung auch gut genutzt, ein Großteil von ihnen hat ein Ganzjahresabo und besitzt kein Auto.“ In Südtirol hingegen fehle ein flächendeckendes, attraktives ÖPNV-Angebot für die Abendstunden.
Gegen Abend wird es außerhalb der städtischen Zentren schwierig, mit dem ÖPNV in das eigene womöglich weit entlegene Dorf zurückzukehren. „Auf diesen Strecken zahlt es sich finanziell nicht aus, Buslinien einzuführen, die bis 23 Uhr fahren. Sie wären zu wenig ausgelastet. Hier sind Ruftaxis eine gute Lösung“, sagt Demar. Um ein flächendeckendes ÖPNV-Netz zu garantieren, brauche es aber auch genügend Personal für Bus und Bahn. Bereits letzten Sommer hat das Land die Fahrpläne aufgrund des Fahrermangels gekürzt.
Laut einer Studie der University of Southern Denmark besitzen 81 Prozent der Bevölkerung in Dänemark ein Fahrrad.
„Die Fahrer*innen von Bus und Bahn sind in Südtirol nicht sehr gut bezahlt. Ich kenne Busfahrer, die zwölf Stunden unterwegs sind. Sie dürfen zwar nur acht Stunden fahren, aber sie haben immer wieder eine halbe oder eine ganze Stunde Standzeit, die nicht bezahlt wird. Gleichzeitig haben sie eine große Verantwortung. Einheimische sind nicht mehr bereit, diese Arbeit zu machen“, berichtet Demar.
Neben dem Mangel an Busfahrer*innen komme das mitunter problematische Verhalten der Fahrgäste hinzu: „Randalierende Fahrgäste sind eine kleine Minderheit, aber wenn in zwei oder drei Bussen abends randaliert wird, muss in allen Bussen eine Sicherheitskraft mitfahren.“
Autos und Fahrräder
Währenddessen ächzt Südtirol weiter unter der steigenden Verkehrsbelastung. Nicht nur die Tourist*innen, sondern auch der Warentransport und die Südtiroler*innen selbst sorgen regelmäßig für verstopfte Straßen. „In den 60ern war Südtirol ein armes Land und es hatten noch wenige Menschen ein Auto“, sagt Demar im Rückblick. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung durch den Tourismus habe der Automarkt in Südtirol bis in die 90er Jahre geboomt.
„Es war ein Symbol von Freiheit. Ich kann mich jederzeit in das Auto hineinsetzen und hinfahren, wohin ich will.“ Als die Verkehrsstaus in Südtirol zur Plage wurden, begann das Land Mitte der 80er Jahre wieder vermehrt in die öffentlichen Verkehrsmittel zu investieren. Ebenso die Radwege werden schrittweise ausgebaut – wobei die Betonung hier wohl auf schrittweise liegen muss.
Ein gutes Beispiel dafür sei seine eigene Gemeinde: „Der Radweg von Klobenstein nach Oberbozen am Ritten ist seit sieben Jahren geplant. Bis heute wurde ein Viertel davon verwirklicht“, sagt Demar. „Die Weiterentwicklung ist sehr schwierig, weil sich die Grundeigentümer wehren.“ Sie befürchten, dass die Radfahrer*innen sich in die Wiesen daneben setzen und ihren Abfall vom Picknick liegenlassen.
Werden Radwege gebaut, werden sie schließlich auch genutzt. Mitunter seien beliebte Strecken zwischen Bozen und Trient oder Bozen und Meran sogar überfüllt. „Hier gibt es großen Nachholbedarf für den Ausbau.“ Nordtirol sei in diesem Bereich ein Vorbild. Oder auch Dänemark. „In Kopenhagen gibt es in der Innenstadt normale Radwege und Schnellradwege mit eigenen Ampelschaltungen. Ein Sensor erfasst, wenn mehrere Radfahrer*innen kommen und schaltet auf Grün, die Fußgänger*innen und der Lkw-Verkehr müssen dann stehenbleiben.“
Laut einer Studie der University of Southern Denmark besitzen 81 Prozent der Bevölkerung in Dänemark ein Fahrrad, 51 Prozent nutzen es mindestens einmal pro Woche. Zum Vergleich: Laut einer im Corona-Jahr 2021 durchgeführten Umfrage von ASTAT nutzen in Südtirol 31 Prozent das Fahrrad mindestens einmal pro Woche, den Stadt- oder Überlandbus 12 Prozent. Klaus Demar ist trotzdem positiv gestimmt: „Manche Leute denken um, wenn jede halbe Stunde ein Bus in die Stadt fährt. Schließlich entfällt dadurch auch die Parkplatzsuche für das Auto.“
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Südtirol verfügt seit einigen
Südtirol verfügt seit einigen Jahren tatsächlich über ein gut ausgebautes und verzweigtes ÖPNV Netz.
Anscheinend sind Benzin und Parkplatz immer noch zu billig, und Autofahrer stehen noch nicht lange genug im Stau, um sich für den Umstieg zu entscheiden.
Im Grossraum Bozen wäre eine Stadtmaut längst überfällig.
Auch die Geschwindigkeit mit der Projekte auf der Autobahn (gratis zwischen Bz Nord und Süd, dritte dynamische Spur) - im Unterschied zu ÖPNV Projekten - umgesetzt werden, belegt, dass der Schwerpunkt immer noch auf dem Strassenverkehr liegt.
Der Vergleich mit Kopenhagen
Der Vergleich mit Kopenhagen ist wohl nicht sehr glücklich: Eine sehr große Stadt in der Ebene hat ganz andere Voraussetzungen, als ein ländliches Gebiet wie Südtirol. Da wäre schon interessanter den Vergleich mit Nordtirol anzustellen. Könnten Sie das noch ergänzen, Herr Demar? Sie erwähnen das ja selbst.
Was den Vinschgau betrifft:
Was den Vinschgau betrifft: Stillstand Kastelbeller Tunnnel,Vinschgerbahn Töll Meran( Bus) ein SKANDAL!!!ist dies gewollt Herr Alfreider,oder seid ihr tatsächlich nicht im Stande endlich was weiterzubringen? Es gibt nämlich arbeitende Menschen,die müssen in der Nacht Schichtarbeiten und da fährt noch kein Bus und kein Zug im Vinschgau!