Society | Was andere sagen

Vom Wutbürger zum Mutbürger: Können wir das?

Im Landtag werden die Folgen des Rentenskandals mit der Vertrauensfrage und so manchem selbstkritischen Ton aufgearbeitet. Im Volk verlagert sich die Front von der Emotion immer mehr zur Reflexion. Mutbürger statt Wutbürger, heißt die neue Devise. Doch können wir das auch?

Drei Wochen ist es her, seit er am Bozner Landhausplatz erstmals in voller Wucht sichtbar wurde: Spätestens seit dem Zeitpunkt verfolgt uns der Wutbürger vor allem in der medialen Berichterstattung auf Schritt und Tritt. Unter das Erstaunen, dass es diese Spezies auch hierzulande gibt, hat sich längst auch die kritische Reflexion des Phänomens gemischt. Rauslassen gut und schön, aber ist es in Ordnung, ehemaligen Abgeordneten Extremente vor die Haustür zu legen oder blindlings alles zu verdammen, das aus dem Mund des neuen Feinbilds PolitikerIn kommt?  

Während Landeshauptmann Arno Kompatscher nun im Landtag seine symbolische Vertrauensfrage stellt oder die Freiheitliche Parteiobfrau Ulli Mair endlich erkannt zu haben scheint, was genau die Bombe beim Rentenskandal war,  beginnt auch das Volk immer stärker über die explosive Wirkung des eigenen Protests nachzudenken. Es ist wohl kein Zufall, dass Vorzeige-Wutbürger wie Hansjörg Kolfer mittlerweile klarstellen, welche Worte sie nie benutzt haben. Klar, gibt es nach wie vor jede Menge Entschlossene wie den Brunecker Wutbürger Georg Brunnerum nicht von all den enttäuschten Freiheitlichen zu sprechen, die es sich wohl weiterhin nicht nehmen lassen werden,  auf der Facebook-Seite von Pius Leitner  „ihren Frust auszukotzen“, wie es Leitner dort selbst nennt. Doch schon die Tatsache, dass die Leserbriefseiten der Dolomiten wieder zu ihrem normalen Umfang zurückgekehrt sind, zeigt, dass das Beben langsam verebbt.

Es hat sich ausgewütet!

Dort fand sich in dieser Woche auch ein direktes Schreiben an die WutbürgerInnen des Landes, das symbolisch für die neuen Töne gesehen werden kann, die sich nun immer hörbarer in das wütende Gebrüll mischen: „Als Alt-Wütende würde ich sagen, es hat sich ausgewütet“, meintdie Autorin und Filmemacherin Evi Keifl in einem Dolomiten-Leserbrief. Denn so „anturnend“ es auch sein mag zum „Tagesthemen bestimmenden Subjekt medialer Begierden zu werden“: die Botschaft sei im Palast angekommen. Damit die anstehende Zeitenwende gelingen kann, brauche es nach nun im Landtag Frauen und Männer, die sich auf die Tagesordnung konzentrieren können – und davor solche, die mitdenken, mitreden und Verantwortung mittragen.  

Eine Botschaft, die klarerweise auch dort gut ankommt, wo in den vergangenen Wochen bereits rege in diese Richtung gearbeitet wurde: der Facebook-Gruppe Südtiroler Frühling. „Demogagie ist die Fähigkeit, das Volk aufzuhetzen und die Unfähigkeit, es wieder zu bremsen“, gibt einer einer ihrer Mitbegründer Sebastian Felderer das Motto vor. „Wir sollten deshalb den Versuch starten, aus Wutbürgern Mutbürger zu werden.“ Sprich: Bürger, die verstehen, dass die Politik zum Großteil Spiegelbild unserer Gesellschaft ist – und eine politische Erneuerung auch eine gesellschaftliche Veränderung erfordert.

In andere Worten drückt dies Blogger Markus Lobis aus: „Die Erneuerung wird nicht durch die Wut derer geschaffen, die sich fragen, warum Munter so viel Geld bekommt und sie nicht“, schreibt er in einer der zahlreichen Diskussionen der Gruppe, „sondern von Menschen, die ein neues Bild von einer gerechten, solidarischen und menschlichen Gesellschaft aufzeigen, teilen und weiterentwickeln, bis es mehrheitsfähig ist.“

Der lange Weg vom demütigen Pilger zum mündigen Bürger

Zweifel an der Umsetzbarkeit solch hehrer Worte werden in diesen Tagen auf den Seiten des Katholischen Sonntagsblatts laut. In der aktuellen Ausgabe stellt Kommentator Hans Karl Peterlini in Frage, ob ein Volk, das „25 Jahre lang ins Landhaus pilgerte, um demütigst Segen und Beiträge zu erbitten, durch einen Wutausbruch zur mündigen Zivilgesellschaft wird“. Damit aus den „Wutbürgern im Ausnahmezustand“ „Mutbürger im Alltag“ werden, braucht es laut Peterlini deshalb auch im Volk einen neuen Stil. Zum Beispiel? „Führungspersonen auf allen Ebenen frühzeitig, couragiert und aufrecht die Meinung zu sagen, damit man sie nicht hinterher mit Steinen bewerfen muss.“

Denn, wie Evi Keifl so schön schreibt: „Zivilcourage schaut weit über den eigenen Tellerrand hinaus, hat Namen und Gesichter und vor allem einen langen Atem.“