Der Bogenschütze aus Marokko
An der freien Universität Bozen kann er einen Rekord für sich beanspruchen. Nabil El Ioini ist der einzige Nichteuropäer, der sein gesamtes Studium in Südtirol absolviert hat und der nun an der Universität einen Lehr- und Forschungsauftrag erfüllt. Vor zwei Jahren hat er promoviert, jetzt schreibt er zusätzlich noch an einer Doktorarbeit. Seine erste Reise nach Italien führte Nabil 2003 nach Varese, wo sein Bruder arbeitete. Von Land und Leuten fühlte er sich umgehend angezogen. Mit dem Bruder erörterte er erstmals die Möglichkeit, in Italien zu studieren:" Aus naheliegenden Gründen wählen fast alle Marokkaner Frankreich für ein Auslandsstudium. Die Sprache beherrschen sie bereits, viele haben dort Verwandte oder Freunde."
Nach seiner Rückkehr begann Nabil mit der Wahl eines geeigneten Studienorts. "Ich suchte eine Stadt mit einer Fakultät, wo man angewandte Informatik in englischer Unterrichtssprache studieren konnte. Da war die Auswahl war keineswegs groß. So bin ich schließlich auf Bozen gestoßen.
"Ich kam im Sommer nach Südtirol, in eine Provinz, von der ich praktisch nichts wußte. Auch nicht, daß hier mehrere Sprachgruppen lebten".Die ersten Jahre seien nicht einfach gewesen, schildert Nabil den Beginn seines Studiums: "Meine Eltern haben mich ein bißchen unterstützt . Um über die Runden zu kommen, mußte ich nebenher arbeiten. Erst als ich in Bozen ansässig war, konnte ich um ein Stipendium ansuchen. Zunächst wohnte ich im Kolpinghaus, dann in der UniverCity in der Europaallee. Der erste Winter war etas hart und gewöhnungsbedürftig."
"Terroristen mißbrachen den Islam"
Wie erlebt Nabil als Maghrebiner die Anschläge der dschihadistischen Terroristen in Tunis? "Es sind Gruppen verrückter Fanatiker, die den Islam für ihre Zwecke mißbrauchen. Ihre jugendlichen Anhänger unterziehen sie zunächst einer regelrechten Gehirnwäsche. Die Religion hat mit diesen Gewaltakten und Exzessen nichts zu tun". Nabil El Ioini ist Muslim und besucht jede Woche den Gebetsraum am Bozner Neunbruchweg. "Dort sind die islamischen Terrormilizen allerdings kaum Gesprächsthema. Man unterhält sich eher über Arbeits- und Familienprobleme. Es ist auch eine
Gelegenheit, Landsleute kennenzulernen."
Nabil stammt aus der Hauptstadt Rabat, der zum Weltkulturerbe erklärten Metropole mit dem malerischen Gassengewirr der Medina und und der fast 1000-jährigen Festungsanlage der Almohaden. Sein Vater hat als Koch in mehreren Hotels gearbeitet. Zwei Schwestern sind in Marokko
verheiratet, der in Varese lebende Bruder ist vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Im Sommer fährt er regelmäßig für einige Wochen zu seiner Familie. Im August hat er dort geheiratet. Seine Frau stammt aus Tanger und studiert Psychologie an der Universität Trient.
"Wir haben zwei Feste mit je 200 Gästen veranstaltet - eines in Rabat und eines im 220 km entfernten Tanger. So will es die marokkanische Tradition", erzählt Nabil.
Bogenschiessen als Freizeitsport
Die große Leidenschaft des 32-jährigen ist das Bogenschiessen, das er beim Klub in Arcieri di Bolzano gelernt hat. Geübt wird im Winter in einer Turnhalle, im Sommer auf einer Anlage unterhalb von Sigmundskron , am Ritten oder in Jenesien. zu seinen Freizeitbeschäftigungen gehören Wandern und Radfahren, besonders der Ritten hat es ihm angetan. "In Bozen fühle ich mich zuhause. Das ist meine neue Heimat", lächelt der umgängliche Informatiker, der bereits ein Ansuchen um Gewährung der italienischen Staatsbürgerschaft gestellt hat. Rassismus gegen Migranten kennt er nur aus dem Fernsehen. An der Universität war er lange der einzige Araber: "Jetzt gibt es mehrere Studenten aus Nordafrika".
Der 32-jährige schätzt die indische und pakistanische Küche, läßt sich gerne von seiner Frau mit marokkanischen Süßigkeiten verwöhnen, mag Abenteuerfilme und Countrymusik und liebt Abendessen in multikultureller Gesellschaft.
Nabils Fachbereiche an der Universität sind software security, security certification, software testing und web services security. Das Center for Applied Software Engeneering CASE der freien Universität organisiert in Absprache mit den Schulen Freizeitkurse für Oberschüler zur Entwicklung eigener software. Es ist eine Tätigkeit, die Nabil Spaß macht und die Schüler begeistert. "Für eine erfolgreiche Arbeit mit dem Computer benötigt es eine Einübung ins Computational Thinking, das algorithmische Denken. Die Schüler müssen lernen, wie man die nötigen Informationen sammelt, die Daten analysiert, das Problem in Teilbereiche zerlegt". Das Ergebnis: nach einer Woche können sie eigene apps erstellen. "Damit erfüllt sich für viele Jugendliche ein Traum", freut sich Nabil. "Es erfüllt mich mit Genugtuung, wenn ich dazu einen Beitrag leisten kann".