Culture | Salto Weekend
Die alten, neuen Gauchos

Foto: Courtesy Trento Film Festival
Es gibt Dokumentarfilme, die einem die Welt - oder einen Teil davon - erklären und es gibt solche, die sie einem zeigen. Getreu der alten Maxime „show, don’t tell“ ist „Gaucho Americano“ ein Film, der ohne Erzähler auskommt. Man sieht und hört zu in zwei Sprachen, Englisch und Spanisch, während Regisseur Nicolás Molina die beiden Chilenischen Gauchos Joaquín Agüil, 54 und Victor Jara, 28 ins ländliche Idaho begleitet.
Die Schönheit der Landschaftsaufnahmen, rauchende Gauchos und der Soundtrack von Ángel Parra erzeugen immer wieder Spuren einer Wildwestromantik, die sich mit der harten Realität eines Knochenjobs schlagen: Schafherden mit tausenden Tieren beisammen zu halten und von einem Ort zum anderen zu treiben ist kein Leichtes. Wir werden eingeführt in eine Welt, die uns fremd ist, fernab der Zivilisation und ihrer Rhythmen. Am Ende eines Telefonats mit seiner Familie fragt Joaquín nach dem Wochentag - Schafe kennen kein Wochenende und damit Gauchos auch nicht.
Nachdem man sich anfänglich in den Interaktionen zwischen Arbeitgeber und -nehmer an der Oberfläche, entlang der Sprachbarriere und kulturellen Unterschiede bewegt, wo auch humorvolle Auflockerung zu finden ist, gräbt man anschließend tiefer: Dabei klagt der Film nicht an, er schafft hingegen eine schlüssige Gegenüberstellung der weißen Herden-Besitzer auf der einen und der Arbeiter aus dem Süden auf der anderen Seite. Während der alternde Gaucho sich sichtlich um seinen Sohn in Chile und aufgrund entlaufener Schafe auch um seine Jobsicherheit sorgt, spricht man taktlos von einem Urlaub in Südamerika. Dem jungen Gaucho Victor wird vom Arbeitgeber, der seine Frau auf farmersonly kennen gelernt hat, zum Online-Dating geraten. Die Naivität des weißen Mannes kennt keine Grenzen.
Während die Darstellung in fast jeder Hinsicht naturalistisch wirkt, stört ein stilistischer Kunstgriff etwas: Während die Kamera einen Streit aus der Ferne und von Bäumen halb verdeckt zeigt, ist das Audio klar und aus nächster Nähe. Unklar, ob da die Mikrophone näher am Geschehen waren als das Auge des Films, oder ob die Post-Production nachgeholfen hat. Die suspension of disbelief - oder willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit für die, denen der deutsche Begriff lieber ist - wird jedenfalls gestört und man wird sich bewusst, dass auch Dokumentarfilme häufig mit Skript arbeiten.
Man findet zurück zu dem Film, der die Intelligenz des Zuhörers respektiert, auch in seiner Gewaltdarstellung: Ein Puma wird geschossen, ein Schaf geschlachtet. Beides passiert unaufgeregt und ohne Voyeurismus, aber auch ohne dass dem Geschehen eine besondere Empathie beigemessen wird. Erst im Anschluss will jemand in einer Bar mit dem Foto des großen Raubtiers Eindruck schinden, stößt dabei auf mäßiges Interesse.
Für das Ende des Films will man doch nicht ganz weg von der romantischen Vorstellung des Gaucho-Lebens. Eine kleine Feier, Lamm am Lagerfeuer und ein spanisches Lied mit großem Pathos. Man hat es sich hart erarbeitet, das kleine Bisschen Schönheit und Weltschmerz.
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