Die Krieger von Sparta
Vorausgeschickt sei betont, dass sich der folgende Text lediglich auf das Kunstwerk „Sparta“ bezieht. Auf die Vorwürfe gegen Ulrich Seidl und die Produktion, die im Zuge von Recherchen des Wochenmagazins „Der Spiegel“ sowie des „Falters“ entstanden sind, sei verwiesen. Sie berichten von fragwürdigen Arbeitsmethoden und der Verschleierung des eigentlichen Themas (Pädophilie) gegenüber der Eltern der Kinderdarsteller. Diese Vorwürfe werden unbedingt ernst genommen, sollen im folgenden Text, sowie der Beurteilung der künstlerischen Leistung aber keine Rolle spielen.
Wenn sich ein Mann um die Vierzig alleine auf einen Kinderspielplatz begibt, sich zu den Kindern gesellt, sie anspricht, sie berührt, nachdenklich wird, nach Hause fährt, unentschlossen mit Gefühlen kämpft, die neu und unerwartet sind, nicht weiß, wie damit umzugehen sei, glaubt, ihnen Herr werden zu können, indem er ihnen begrenzten Spielraum lässt, so schlimm wird es schon nicht sein, sie ihn übermannen, die Situation außer Kontrolle gerät, andere Wind von der Sache bekommen, der Mann schließlich vor den Trümmern seines Daseins steht, dann fassen diese Zeilen das reale Dilemma zusammen, welches der Handlung des neuen Films von Ulrich Seidl zugrunde liegt. Im „Bruderstück“ zu dessen Film „Rimini“, der im letzten Jahr erschien, folgt der Filmemacher einem, der aus Österreich fortging, nach Rumänien nämlich, um dort neu anzufangen. Worauf sich das neu bezieht, weiß er möglicherweise selbst nicht genau, sein Name ist Ewald, er wird gespielt von Georg Friedrich. Ewald arbeitet in einer Fabrik, führt eine Beziehung, in der es nicht funkt. Er wird nicht länger erregt, nicht seit er einigen Kindern beim Spielen zuschaute, und er plötzlich eine ungeahnte Seite in ihm erkannte. Ewald neigt zur Pädophilie, er ist krank, so wie alle Pädophilen zunächst Kranke sind. Während er in subtil geschriebenen, inszenierten und gespielten Szenen die eigene Neigung in Schach hält, in den heruntergekommenen Szenerien der rumänischen Landschaften und Dörfern umschleicht, um zu sehen, wie sie sich entwickelt, bröckelt der Widerstand, und eine bedenkliche Lust zum Experiment erwacht. Ewald eröffnet in einer ehemaligen Schule ein Art Judo-Camp. Dort bildet er, so gibt er zumindest vor, die Kinder des nahen Dorfs im Judo aus, inklusive gemeinschaftlichen Mauerbaus, um das Areal vor neugierigen Blicke zu schützen. Ewald baut sich und den Kinder ein modernes Sparta, daher der Titel des Films. Abgeschirmt von der Außenwelt freundet er sich mit den Kindern an, die seine Sprache nicht sprechen, er die ihre nur bruchstückhaft. Er lässt die Kinder sich bis auf die Unterhosen ausziehen, vor der eigenen Handykamera posieren und die Muskeln spielen. Abends scrollt er durch die Fotos, und bestätigt sich seinen Verdacht.
Ulrich Seidl ist ja nun wahrlich nicht für Frohsinn bekannt. Der Regisseur zeigt in seinem neuen Film abermals eine Kulisse, die höchst deprimierend wirkt, in der jedoch Menschen zuhause sind, die völlig lebensnah, fast dokumentarisch inszeniert werden. Zumeist in verzerrten Weitwinkelbildern gefilmt, erzählt „Sparta“ eine zutiefst menschliche Geschichte, zwar über moralisch verwerfliche Aspekte des Menschseins, doch solchen, die nicht tabuisiert, nicht stigmatisiert gehören. Seidl verurteilt seinen Protagonisten nicht, genau sowenig, wie er ihn in Schutz nimmt. Die distanzierte Betrachtungsweise bewahrt den Film vor einer Verharmlosung von Pädophilie, genauso vor einer Dämonisierung der Krankheit. Wir sehen Ewald in einem kritischen Punkt seines Lebens, einem Wendepunkt, wenn man so möchte, von wo aus er ins Ungewisse steuert. Die kühle Art von Seidls Regiestil passt wie die Faust aufs Auge, zusehen schmerzt, „Sparta“ ist, wenig überraschend, ein höchst unangenehmer Film. Er zeigt aber auch, dass das Hinsehen wichtig ist. Bis innerhalb der Handlung andere Erwachsene hinschauen, dauert es viel zu lange. Viel lieber wenden sie den Blick ab von den Kindern und den Menschen, die sie umgeben. Viel lieber setzen sie, sofern sie auf die Kinder blicken, lieber die eigenen Interessen durch, so wie ein alkoholkranker Vater seinen Sohn verweichlicht nennt, und ihn, der Bewahrung der Männlichkeit zuliebe, einen Hasen töten lässt. Die mehr als sichtbaren pädophilen Gesten des Judo-Lehrers übersieht er. Wenn am Ende des Films ein Trott einsetzt, entlässt Seidl sein Publikum mit einem flauen Gefühl aus dem Kino. Es wird sich nichts ändern, wenn wir wegsehen, und jenen, die von Pädophilie betroffen sind, nicht zur Hilfe kommen.