Politics | Aus dem Blog von salt & pepe

Die späte Rache der KriegsgegnerInnen

Am 29. August, kurz nach 22.15 Uhr, erlebte David Cameron eine Überraschung. Der britische Premier war überzeugt gewesen, er werde die Abstimmung zum Militäreinsatz gegen Syrien im Unterhaus gewinnen, vor allem nachdem er dem Parlament eine zweite, spätere Abstimmung zugestanden hatte.
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Foto: Asia De Lorenzi

Doch dann passierte das Schockierende, Unerwartete: Die Volksvertreter sagten Nein. Nein zur Anwendung kriegerischer Mittel zur Lösung des syrischen Konflikts.

Cameron stand da in des Kaisers neue Kleider, er hatte ja schon längst entschieden, dass es in Großbritanniens Interesse läge, Syrien zu bombardieren, dass es Großbritanniens Verbündete begrüßen würden, dass es der Erhaltung des geopolitischen Einflusses des Landes...  Er kam eigentlich nur ins Parlament, um all dies in viel schönere Worte zu fassen, und dann absegnen zu lassen.

Und genau da warf ihm jemand einen Prügel zwischen die Beine. Nur wer? Ich würde argumentieren, dass es die namenlosen, die anonymen, unbekannten Gegner des Irakkrieges waren. Jetzt, zehn Jahre nach ihrem erfolglosen, folgenlosen Protestieren, zu dem sie millionenfach in Großbritannien und auf der ganzen Welt zusammen gekommen waren, haben sie es geschafft: Den Mächtigen Angst einzujagen.

Man kann gegen die repräsentative Demokratie vieles einwenden, und gegen die britische noch einiges mehr, aber eines muss man ihr lassen, und dies ist: Die VolksvertreterInnen müssen sich hier mit dem Volk, das sie angeblich vertreten, auch tatsächlich auseinandersetzen. Jeder MP hat einen Wahlkreis, und in dem will er oder sie auch wiedergewählt werden. Dazu ist Klinkenputzen nötig, Händeschütteln, Babyküssen, Sprechstunde halten, für die Sorgen der kleinen Leute.

Ich glaube, dass den MPs der Schrecken des Irakkrieges noch in den Knochen sitzt. Bis heute müssen sie sich anhören, wie falsch die Unterstützung für das Lügengebäude Tony Blairs und George Bushs damals war. Bis heute müssen sie sich rechtfertigen, dafür, welche katastrophalen Folgen ihre Unterstützung gezeitigt hat. Und tatsächlich, der Souverän, die gesichtlose Masse wusste all dies schon vor dem Einmarsch in den Irak, nur wurden sie damals brutal ignoriert. Nun hat sich herausgestellt, dass die Hürde der demokratischen Zustimmung zu kriegerischen Handlungen seitdem ein gutes Stück höher hängt. In Großbritannien kann kein Premier mehr einen Krieg erklären, ohne die Zustimmung des Parlaments. Und ein Abnicken in letzterem wird es nicht mehr geben.

Und ist nicht sogar Obamas Lavieren im gleichen Licht zu betrachten? Die Entscheidung im Jahr 2003, gegen den Wählerwillen, gegen die geheimdienstliche Beweislage in den Krieg zu ziehen, hat auch in den USA so tiefe Verletzungen und Verunsicherungen hinterlassen, dass selbst ein (zumindest zeitweiliger) Rückzieher des Oberbefehlshabers jetzt möglich ist, und nicht mehr (nur) als Schwäche ausgelegt wird.

Es scheint, dass im Februar 2003 mehr als zehn Millionen Menschen gegen den Irakkrieg demonstriert haben. Diesen haben sie nicht verhindern können. Aber heute verhindern sie, dass die Machthaber leichtfertig zu den Waffen greifen.