Economy | Vereinbarkeit

ein interessanter Dialog

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird nun auch ein Thema für Väter (und Unternehmen)
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Foto: Raffaele Virgidaula

Zunehmend mehr Väter möchten mehr Zeit als ihre eigenen Väter mit ihren Kindern verbringen. Somit wird Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch „Männersache“. Aktuelle Studien belegen, dass sich familienfreundliche Unternehmenskultur für die Betriebe rechnet. Am 28. September 2017 sind im neuen Firmensitz von Dr. Schär auf Einladung von „treff.familie vom Südtiroler Kinderdorf“ und „väter aktiv“ und moderiert von Reinhard Feichter, Väter, Unternehmer, Personal-Verantwortliche, Väter- und Familienorganisationen und Politik in Dialog getreten. Es ging um Erfahrungen, Trends, Rahmenbedingungen, Chancen und Herausforderungen.

Nach einer kurzen Begrüßung der zahlreichen Gäste aus Wirtschaft, Politik und diversen Familien-Organisationen begannen nach einem kurzen Filmausschnitt „Von Männern und Vätern“ des Südtiroler Filmemachers Andreas Pichler die Dialogrunden.

In der ersten Runde berichteten die Väter Gabriele Mery (IT-Techniker), Alois Jobstraibizer (freiberufl. Architekt) und Stefan Knapp (leitender Mitarbeiter) über ihre Erfahrungen in der Elternzeit. Ob en block, einmal die Woche einen Tag oder flexibel, alle drei wollen die Zeit mit den Kindern nicht missen. Die Zeit die sie weniger im Unternehmen verbringen, wird an anderen Tagen nachgeholt. Sie berichteten von aufgeschlossenen Chefs und zufriedenen Partnerinnen.

- Gabriele Mery: „Ich hatte auch während der Vaterschaft kontinuierlichen Kontakt zum Unternehmen. Wenn der Geschäftsführer offen für meine Situation ist, dann bin ich es auch für seine Bedürfnisse. Flexibilität ist eine Win-Win-Situation.“

- Stefan Knapp: „Donnerstag am Nachmittag ist D-Day - Daddy Day. Eine Beziehung funktioniert nur zwischen Mann und Frau in der Familie, wenn es auch klar ist, dass jeder einzelne seine Wünsche verwirklichen kann. Das gemeinsame Kind sollte nicht nur das Leben eines einzelnen Partners beeinflusse. Ich bekomme Komplimente speziell von weiblichen Mitarbeiterinnen, die es schätzen, wenn jemand mithilft.“

Danach kamen die Unternehmer_innen zu Wort: Gastgeberin Esther Ausserhofer (Dr. Schär), Stefan Rainer (Oberalp Group) und Timo Grass (R.W. Grass). Im neuen Firmensitz von Dr. Schär wird die Betriebskita gut angenommen, denn Mitarbeiter_innen von heute ist es sehr wichtig Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Obwohl Stefan Rainer in seinem Job oft rund um den Globus reist, nimmt er sich freitags Nachmittag Zeit für seine Jungs. Im Metallverarbeitungsbetrieb R.W.Grass mit 15 Mitarbeiter_innen hat schon der Vater im Familienbetrieb Familienfreundlichkeit für alle groß geschrieben und in logischer Folge seinen Betrieb heuer mit dem audit familie & beruf zertifizieren lassen.

- Esther Ausserhofer: „Da wir als Familienbetrieb begonnen haben, war das Bewusstsein für Familienfreundlichkeit immer schon da. Nur wenn die Mitabeiter/innen daheim alles im Griff haben, können sie motiviert und konzentriert bei der Arbeit sein. Väter nehmen in den letzten Jahren verstärkt ihre Rolle war und entlasten ihre Partnerinnen.“

- Stefan Rainer: „Gegenseitige Flexibilität ist gefragt: Das ist eine Haltung, die erst noch reifen muss.
Wir hier in Südtirol müssen uns öffnen! Durch die flexiblen Arbeitszeiten ist unser Kundenservice statt von 8-12 und von 14-17 nun durchgehend von 7:30 – 18:30 für unsere Kunden erreichbar und wenn es super Pulverschnee gibt können unsere Mitarbeiter auch schon mal um 17 Uhr Schluss machen. Für die nächste Generation ist es eine Voraussetzung familienfreundliche Angebote zu haben, davon hängt es auch ab, ob ein Arbeitsplatz gewählt wird. Diese Angebote sind ein Wettbewerbsvorteil beim heutigen Fachkräftemangel. Wir sind überzeugt: Begeisterung macht Energie frei“

Die dritte Runde startete mit einem am Vortag aufgezeichneten Videointerview mit Myrko Leitner von AL-KO Tech, da er für diesen Abend lieber bei seinem neugeborenen Baby war. Im Anschluss berichteten Barbara Jäger, Gründerin des Business Poll Austria, Auditorin und Vorsitzende der Dienstleister beim HDS sowie Elisabetta Bartolocci, Auditorin und Mitarbeiterin beim Unternehmerverband über ihre Erfahrungen.

- Barbara Jäger: „Es braucht eine Professionalisierung der Führung, damit die Mitarbeiter/innen nach Ergebnis und nicht nach Anwesenheit im Büro bewertet werden. Für traditionelle Unternehmer ist die Präsenz wichtiger als die Leistung. Damit finden sie nicht die besten Köpfe, nur gute Unternehmen ziehen Talente an. Väterzeiten wird in Unternehmen noch kaum thematisiert, da gibt es noch Luft nach oben! Das Thema Elternschaft ist noch immer ein Frauenthema! Väter werden zum Teil auch schief angeschaut und brauchen viel Mut, wenn sie in Väterzeit gehen. Wir Frauen müssen Väter es auch zutrauen.“

- Elisabetta Bartocci: „Rigide Arbeitsplätze sind in Zukunft nicht mehr aktuell. Die Bezugsmodelle müssen sich ändern. (Ci sono modelli di riferimento diversi). Das Audit macht Familienfreundlichkeit sichtbar. Viele Betriebe bieten aber bereits jetzt auch schon familienfreundliche Maßnahmen an. Das Thema Familienfreundlichkeit muss politisch und gesellschaftlich noch mehr diskutiert und auch angestrebt werden, das ist ein Prozess.“

Danach gab es einen Faktencheck präsentiert von Michael Bockhorni. Über 65% der Männer in Südtirol würden gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen (Studie Lebenswelten Südtirol), aber nur 9,8% nehmen Elternzeit in Anspruch. Die Zahl in der Privatwirtschaft in der Region Trentino - Südtirol steigt aber in den letzten Jahren an, von 12% im Jahr 2010 auf 17,1% im Jahre 2015 (AFI/NISF). In Österreich hat sich der Bezug des Kindergeldes durch Väter von 2006 auf 2012 verdoppelt, in Deutschland von 2006 auf 2016 fast verzehnfacht (30%). 75 -80% aller Paare lehnen ein Allein-Verdienermodell ab und planen daher vor der Geburt des ersten Kindes sich die Familien- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich zu teilen. Aber nur ein Drittel schaffen es diesen Plan auch zu realisieren.

Nach Berechnungen der bekannten Unternehmensberatung Roland Berger GmbH bringen Investitionen in väterfreundliche Maßnahmen im Betrieb eine Rendite von bis zu 40% durch geringere Fehlzeiten und schnelleren Wiedereinstieg. Der Anteil zufriedener und motivierter Mitarbeiter_innen steigt signifikant an. 40% der Väter geben an, dass sie durch Home-Office ihre berufstätige Partnerin entlasten können und 72% der Unternehmen gibt an durch flexible und mobile Arbeitszeitmodelle Produktivitätssteigerungen erreicht zu haben (Quelle: Renditepotenziale der neuen Vereinbarkeit 2016).

Familienzeit bringt auch einen Kompetenzgewinn. Bei Vätern steigert sich die Kommunikationsfähigkeit, ihr Verantwortungsgefühl, Stressmanagement und ihre Empathie. Unterschiedliche Meinungen werden als Chance verstanden, Kritik kann so formuliert werden, dass sie angenommen werden kann, sie werden herzlicher und die Teamatmosphäre verbessert sich (AT Kearney 361° Familienstudie).

Die Möglichkeiten für Unternehmen sind vielfältig: Telearbeit, Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, vertikale Elternzeit bzw. Teilzeit nach der Rückkehr, auch für Führungskräfte (das heißt 1-2 ganz Tage in der Familie, 3-4 Tage im Betrieb ist zumeist leichter, als jeden Tag Teilzeit), Flexibilität im Falle von Erkrankung der Kinder bzw. schulischen Notwendigkeiten. Für das alles braucht es eine offene proaktive Kommunikation (auch zu und mit den Vätern), die das Bewusstsein für Familienthemen schafft sowie die Möglichkeit zur Information, Beratung und Austausch (z.B. in Väternetzwerken).

Unternehmen in Südtirol, die diese Potentiale schon erkannt haben und aktiv nutzen sind u.a. Dr. Schär, Oberalp AG, Südtiroler Volksbank, Ganter Interior, Loacker Remedia, Leitner Ropeways, Apperatebau, Pompadour Tè, ProMinent Italiana GmbH, Sarner Holz Group, Spedition Mayr Manuela, Electro Peer uvm.

Nachdem Faktencheck kamen die Vertreter von Männer-, Väter- bzw. Familienorganisationen zu Wort. Michael Bockhorni (väter aktiv) berichtete aus den Vätermodulen in den Geburtsvorbereitungskursen, in denen viele Väter planen bei der Geburt dabei zu sein und sich danach 1-2 Wochen frei zunehmen, um die Partnerin zu entlasten und die ersten Tage des Kindes zu erleben. Doch zu den Papa Start Up Kursen für frischgebackene Väter in denen Austausch und Informationen geboten werden hat sich noch niemand durchringen können.

- Roland Feichter (treff.familie des Südtiroler Kinderdorfs): „Väter sind nicht Mama Ersatz! Väter dürfen ein gutes Selbstwertgefühl für sich entwickeln, dass sie es gut mit den Kindern hinkriegen, auch ohne die Mutter. Vätern tut es gut, wenn sie untereinander in Austausch treten. Es ist gut wenn sie in die männliche Kraft gehen. Wir müssen die Neugier wieder wecken in Beziehung zu gehen. Es ist ein Reichtum, diesen gilt es auch im Geschäftsleben und im Wirtschaftsleben einzubringen.“
Kinder öffnet uns das Herz, das ist ein Zugang zu den Gefühlen, den wir neu entwickeln müssen.

- Erich Daum (Caritas Männerberatung): „Väter sind heute nicht mehr nur Ernährer. Frauen fordern heute zu Recht, zeige Dich, sei präsent, ich will in Beziehung gehen. Das macht bei einigen auch eine große Verunsicherung. In der Männerberatungsstelle findet man auch noch das patriarchale - ich bringe ja das Geld nach Hause - viele Männer identifizieren sich häufig sehr stark über ihren Beruf. Über die Leistung bekommen Männer sehr viel Anerkennung und positives Feedback. Mit der Zeit wird Leistung jedoch destruktiv. Entspannung ist wichtig, eigene Bedürfnisse wiederentdecken. Wichtig ist, dass Unternehmen auch kommunizieren, dass Vaterschaft Männern gut tut“.

Zum Abschluss nahmen Landesrätin für Familie, Dr.in Waltraud Deeg und der Generalsekretär der Wirtschafts- und Handelskammer, Alfred Aberer zu den an diesem Abend gehörten Erfahrungen und Wünschen Stellung.

- Alfred Aberer: „Es gibt sehr unterschiedliche Betriebe in Südtirol: nämlich kleine und große Betriebe mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Realitäten. Die Wirtschaft könnte flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen.“
- Waltraud Deeg: „Die Väter sollen ihre positiven Erfahrungen in die Betriebe und Unternehmen bringen. Betriebe müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Die Wirtschaft muss das Thema in ein Netzwerk bringen. Es ist wichtig eine Kultur für Familie zu entwickeln, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Als Beispiel nannte sie das österreichische Netzwerk „Unternehmen für Familie“, welches vor kurzem von der Familienministerin Karmasin in Bozen vorgestellt wurde.

treff.familie: Elisabeth Kußtatscher, Tel. 342 3350083, [email protected]

väter aktiv: Michael Bockhorni, Tel. 389 1930032,[email protected]

 

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