Environment | Artenschutz

Die Saubermacher

Tierkadaver sind Brutstätte gefährlicher Keime. Werden sie von Aasgeiern gefressen, hilft das auch Menschen. Die EU hat das Liegenlassen toter Weidetiere aber verboten.
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Foto: Nabu / Patrick Donini
Die Geier haben es schwer. Ihr schlechter und von Mythen umwobener Ruf hat dazu beigetragen, dass sie in der Vergangenheit gejagt und vergiftet wurden. Auch heute noch sterben die Vögel an vergifteten Kadavern. Denn die toten Tierkörper tragen oft Giftköder, Bleimunition oder das Medikament Diclofenac in sich, das in der Nutztierhaltung gegen Schmerzen und Entzündungen verabreicht wird. Außerdem finden sie oft kaum noch Nahrung. Es sind also keine idealen Voraussetzungen, um die Populationen von Aasgeiern zu erhöhen.
Ihre sehr ätzende Magensäure macht die Erreger unschädlich.

Schutz vor Krankheiten

 
Wissenschaftler:innen betonen, dass Aasgeier als Putzpatrouille der Natur eine wichtige Funktion erfüllen. Denn sie ernähren sich von Tierkadavern, die Nährboden für Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten sind. Ihre sehr ätzende Magensäure macht die Erreger unschädlich. Fehlen die Geier, können sich Krankheiten aus dem Tierreich, sogenannte Zoonosen, schneller verbreiten.
Beispielsweise häuften sich in Indien und Pakistan die Fälle von Milzbrand und Tollwut, da Aasgeier dort wegen Diclofenac innerhalb weniger Jahre fast ausgestorben sind. Seit 2006 ist die Verwendung des Medikaments in diesen Ländern verboten. In Europa ist es noch in Italien, Spanien, Estland, Lettland und Tschechien in Tierarzneien erlaubt.
Kaum ein Landwirt, der auf so traditionelle Weise produziert, darf seine Erzeugnisse exportieren und in Europas Supermarktketten verkaufen.
Der Schutz von Geiern hat seine Ursprünge in den österreichischen Alpen in den Achtzigern. Damals galt der Bartgeier seit 1930 in dem Hochgebirge als ausgestorben. Auch der Nationalpark Stilfserjoch beteiligt sich seit 1990 an der Wiederansiedelung dieser Vogelart. Neben dem Bartgeier, der auf das Skelett toter Tiere spezialisiert ist, gibt es in den Alpen noch drei weitere Arten: Der Gänsegeier zieht Muskelfleisch und Weichteile vor, der Mönchsgeier Haut, Knorpel und Sehnen und der Schmutzgeier frisst das, was die anderen ihm übriglassen.
 
 

Wiederansiedelung

 
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen der Vögel, die mit Flugzeugen, Windkraftanlagen und nicht isolierten Strommasten noch erschwert werden, kann die Wiederansiedelung in Europa Erfolge feiern: Erstmals seit einem Jahrhundert haben sich Aasgeier wieder von Bayern bis zum Balkan ausgebreitet. Spitzenreiter beim Geieransiedeln ist Spanien mit rund 3.000 Tieren. Dort richtete man früh Futterstellen ein, wo Bauern Aas abgeben dürfen, ohne gegen EU-Auflagen zu verstoßen. Denn diese hat im Jahr 2002 in Reaktion auf den Rinderwahnsinn den Viehzüchtern verboten, Kadaver toter Weidetiere für die Geier in der Landschaft liegen zu lassen.
In Südtirol hat der Bartgeier mit Fallwild offenbar ausreichend Nahrung.
Die strengen Hygiene-Auflagen der EU lassen den Landwirt:innen außerhalb der Massentierhaltung wenig Spielraum: So schreibt die Zeit-Journalistin Dagny Lüdemann in ihrer Reportage zu Aasgeiern in Europa: „Das Paradoxe: Wo glückliche Kühe in trüben Tümpeln baden, während auf derselben Weide Schafe und Ziegen grasen, Kälber im Freien geboren werden, Hütehunde herumspringen und Geier Kadaver abnagen, ist es unmöglich, alle Hygiene-Auflagen der EU zu erfüllen. Kaum ein Landwirt, der auf so traditionelle Weise produziert, darf seine Erzeugnisse exportieren und in Europas Supermarktketten verkaufen.“
 

Aktueller Bestand

 
In Südtirol hat der Bartgeier mit Fallwild offenbar ausreichend Nahrung. Wenn sich andere Tiere wie Steinadler, Kolkrabe oder Fuchs bereits bedient haben, schlägt er zu. Seine aggressive Magensäure, die im pH-Wert der Salzsäure entspricht, kann die kalkhaltigen Skelettknochen auflösen. Heute lebt er im eurasischen Raum und eine kleinere Unterart in einigen afrikanischen Ländern wie Äthiopien oder Südafrika.
2019 waren im Vinschgau vier Bartgeier-Paare heimisch, zwei davon im Nationalpark Stilfserjoch. Der alpenweite Bestand wird vom Nationalpark Stilfserjoch auf 280 Vögel geschätzt, laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) gibt es weltweit derzeit zwischen 1.700 und 6.700 erwachsene Vögel. 2022 hat die Südtiroler Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz außerdem einige Mönchs- und Gänsegeier beobachtet.