Culture | Salto Afternoon
Gott spielen in Abhängigkeit
Foto: Jean-Marc Turmes
Das vom Südtiroler Kulturinstitut programmierte Gastspiel des Münchner Metropoltheaters ist ein bisschen „Gattaca“ und ein bisschen Menschheitsanalyse und Überlebensguide im 21. Jahrhundert von Yuval Noah Harari (am bekanntesten für „Eine kurze Geschichte der Menschheit“). Regisseur Jochen Schölch lässt sein Stück auf humorvolle Weise beginnen, wobei dieser Humor ebenso sehr Spiegel sein soll, wie das technisch klug ausgearbeitete Bühnenbild von Thomas Flach. Diese erlaubt einen großen Einwegspiegel nach Bedarf auf Schienen in die Bühnentiefe zu rollen und zu rotieren.
Die Ansprache von „Alekto“ Darstellerin Katharina Müller-Elmau ist dabei ebenso wenig subtil wie dem Publikum gleich zu Beginn einen Spiegel vorzuhalten, aber Subtilität ist hier nicht der Name des Spiels, dieser lautet Provokation und Satire. Alekto („die niemals rastende“, aus dem Altgriechischen), in Anlehnung an Alexa trägt den Namen einer Rachegöttin, was nicht ganz zu passen scheint, da statt einer starken Emotion die Abwesenheit von Gefühlen ihr Handeln bestimmt. Kalte Maschinenlogik, oft - nach Nutzereinstellungen überdeckt mit einer Schicht übertriebener Emotion, in allen Versionen von Müller-Elmau als eigenständige Figur ausgearbeitet. Vorab gibt es von ihr gleich schon einmal die Nutzungsbedingungen des Stückes mit „Art-Tech“ Integration in Zusammenarbeit mit Google und Amazon. Glasfaser-Sensoren in den Stühlen und Kameras mit Gesichtserkennung und Eye-Tracking würden Daten Sammeln, so Alekto. Am Ende des Abends gab es dann doch den im SKI üblichen Stimmzettel zum Einwerfen in die „+“, „~“ oder „-“ Säulen. Soviel zur Datenauswertung.
Wie in der „nicht allzu fernen Zukunft“ des am Anfang genannten Science-Fictions von 1997 spielen unsere Gene eine wichtige Rolle, auf natürliche Weise gezeugte Kinder sind mittlerweile in der Minderzahl. Statt dessen hat in unsere DNS ein Trend Eingang gefunden, der heute im Wellnessbereich und Autogenen Training zuhause ist: Selbstoptimierung, noch vor der Geburt der eigenen Kinder und in diesem Fall - bis auf die Clownfisch-Option, bei der ein Kind sein Geschlecht später selbst aussuchen kann - alles andere als Selbstbestimmt. „Die Natur ist nicht beteiligt.“, meint Dr. Stefan Frank (Hubert Schedlbauer, aus humoristischer Sicht ein Highlight) beim Tüfteln mit den Genpools von Lana (Vanessa Eckart) und Rene (Jakob Tögel), nicht ohne Zynismus. Den beiden Schauspielern gelingt es auf der Bühne authentischen Paarstreit darzustellen, der mit der Zukunft des Kindes auch motiviert und glaubhaft wirkt.
Dabei kommt man schnell zu moral-philosophischen Fragen, die zwischen den Lachern des satirischen Stücks in den Raum gestellt werden. Ist es rechtens vorab die Neigung zur Depression eines Kindes zu entfernen, oder ist das eine emotionale Kastration?
Die Einführung grenzenloser Möglichkeiten schafft auch eine neue Klassen-Gesellschaft: Wie beim Kauf eines Neuwagens wird den Eltern in spe zuerst ein „Basis-Model“ angeboten, dann diverse Upgrades, die nicht von der Versicherung gedeckt werden. Nicht ohne eine gewisse Logik wird ein gänzlicher Verzicht auf Intervention im Erbgut als asozial gesehen, da er statistisch für höhere Kosten im Gesundheitssystem sorgt. Lana und Rene könnten sich dabei kein „Survivor-Paket“ leisten, welches im neuen Klima der Welt zu einer Lebenserwartung über 50 führt, haben allerdings das „Glück“ die richtigen Gene für ein experimentelles, kostenloses Model mitzubringen. Die Universität Berkley tüftelt mit „Leaders of the Future“ an den perfekten Menschen, welche unsere Spezies in die Zukunft der Zukunft führen sollen. Der Preis: Kontrolle und der Zweitname Berkley.
Auch andernorts, bei der zweiten großen Thematik des Abends ist der freie Wille im Verfall. Es geht um unsere Abhängigkeit von unseren Erfindungen, die Teils komische, Teils existenzielle Züge annimmt: Rene verweigert ein mit der Stimme seiner Mutter sprechender Kühlschrank den Zugang zu überschüssigen Kalorien, der Doktor weiß zuhause ohne die Künstliche Intelligenz nicht, wie er sich fühlt. Vereinsamung und eine Kluft, die durch Beziehungen - etwa die von Dr. Frank und seinem Mann Ricki (Marc-Philipp Kochendörfer), mit welchem er nur noch in der Virtuellen Realität intim wird.
Auch werden von Alekto mehrere selbsterfüllende Prophezeiungen in Gang gesetzt. Nicht die Maschinen dienen uns, wir dienen den Maschinen. Eine schleichend eintretende, sehr viel überzeugendere Dystopie als die Machtübername durch feindselige Kampfroboter. Bei Renes Ex, Tatjana (Mara Widmann begegnet den absurdesten Szenarien des Abends mit Ernsthaftigkeit), welche Sympathien für zu Klimaflüchtlingen gewordenen Holländern zeigt, die sich zum Teil (wie Waldorffschüler) zu Ökoterroristen radikalisieren, nimmt der Deus-In-Machina Mechanismus absurde Züge an: Über das Futur 2 hinaus werden zusehends absurdere Zeitformen erfunden, um polizeiliche Repressalien wegen „zukünftiger“ Verbrechen gerechtfertigt.
Dennoch bewegt man sich, wie an vielen Stellen des Abends auf einem schmalen Grat, von dem man bei einer Ansprache mit eingeschaltetem Saallicht etwas abrutscht. Einmal erinnert das an einem ansonsten sehr scharfsinnigen Abend an von den Generationen Y und Z an „Smartphone bad“-Memes der Babyboomer-Generation, man findet allerdings zum Ton des Stückes zurück und senkt den moralischen Zeigefinger wieder.
Einfache Lösungen für ein krankhaftes System, auf welches wir uns in vielerlei Hinsicht zubewegen bietet der Abend nicht und auch kein glattes Ende… Man spekuliert, dass die nächsten 20 Jahre mehr Veränderungen als die letzten 500 unserer Geschichte bringen werden, mit kleinem Versprecher auf der Zielgeraden eines ausgesprochen dichten, komplexen Stücks. Man wird sehen.
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