Chronicle | "Forza" Italia?

Rette sich wer kann

FI hat inzwischen mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten und Senatoren verloren. Der Rest streitet sich und bangt um die Pfründe. Der Chef schaut dem Chaos zu.
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Oh je. Jetzt hat sogar der unnachahmliche Sandro Bondi, der einstige glühende Verehrer und Hofbarde Berlusconis („An Silvio, geliebtes Leben, lebendiges Leben, strahlendes Leben …“) Forza Italia verlassen und sich der FI-Abspaltung ALA (Alleanza Liberalpopolare Autonomie) von Denis Verdini angeschlossen. Bondi, der 2011 als Kulturminister zurückgetreten wurde, nachdem in Pompei mal wieder ein paar Denkmäler zusammengebrochen waren, bekam schon beim Nennen des Namens seines Idols feuchte Augen. Jetzt, wo es mit Berlusconis Strahlen vorbei ist, erhält er plötzlich seine Sehkraft zurück: „Berlusconi ließ uns nur so lange mit Politik und Ideen spielen, so lange wir nicht das Wesen seiner persönlichen Interessen und seiner Macht berührten“, erklärte der ernüchterte Poet seinen Lagerwechsel in einem Interview.

FI-Fraktionen auf die Hälfte geschrumpft

Mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten und Senatoren hat Forza Italia seit Beginn der Legislaturperiode im März 2013 verloren. Im Senat zählt die Fraktion nur noch 41 Mitglieder, 51 haben das Weite gesucht. In der Abgeordnetenkammer sind es noch 54, 44 haben die Seiten gewechselt. Die meisten von ihnen zu Verdinis Gruppe, einige zu den „Conservatori Riformisti“ des Apuliers Raffaele Fitto oder zum mitregierenden „Nuovo Centrodestra“ von Innenminister Alfano.

Etwas Panik auf der Titanic

Etwas Panik auf der Titanic

Der Zustand der Partei ist nicht nur personell, sondern auch finanziell desolat. Alle 81 hauptamtlichen Mitarbeiter mussten Ende Dezember entlassen werden. In einem Schreiben an die Mitglieder erklärte Schatzmeisterin Rossi – Spitzname „la badante“ („Die Pflegerin“), weil sie nie von Berlusconis Seite weicht – die Entlassungen mit dem 2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Parteienfinanzierung, mit dem nicht nur ihre öffentliche Finanzierung abgeschafft, sondern auch eine Höchstgrenze von 100.000 für private Spenden festlegt wurde.

„Alle wissen, dass die 1994 gegründete Forza Italia zur größten Partei Italiens allein Dank ihrem Gründer und Präsidenten Silvio Berlusconi wurde, der sie nicht nur führte, sondern auch für ihre wirtschaftliche und finanzielle Tragfähigkeit sorgte“, schreibt Rossi. Sehr wahr. FI ist eine „persönliche“ Partei, die ihr „Besitzer“ vornehmlich zu dem Zweck gründete, seine eigenen und unternehmerischen Interessen auch politisch abzusichern. Er finanzierte sie großzügig, so wie er auch andere bezahlte und kaufte. Das darf er jetzt laut Gesetz nicht mehr. Und die Spendenmoral der Parteimitglieder tendiert gegen Null. Die erwarten umgekehrt von ihrem Boss, dass er sie mit Posten und Pöstchen versorgt.

Führerpartei ohne Führer

Aber auch dafür sind die Aussichten inzwischen düster, ein weiterer Grund für Absetzbewegungen in Parlament und Senat. Berlusconi ist nicht mehr im Spiel, was sich zuletzt bei der notwendigen Nachwahl von drei Verfassungsrichtern zeigte: kein von FI unterstützter Kandidat setzte sich durch, Renzi zog es – nach einem monatelangen Verhandlungsmarathon, auch mit Berlusconi – vor, sich mit der 5-Sterne-Bewegung auf drei Namen zu einigen.

Und in der geschrumpften FI-Fraktion wächst das Chaos proportional zu den schwindenden Aussichten, wieder gewählt zu werden: Die einen drängen darauf, den Gesprächsfaden mit Renzi wieder aufzunehmen, und warnen davor, sich dem Führungsanspruch der Lega unterzuordnen. Die anderen erhoffen sich im Gegenteil das Heil von einem radikaleren Oppositionskurs im Schlepptau von Salvini. Eine parteiinterne Strategie-Diskussion, die diesen Namen verdient, findet nicht statt, sie ist dem Wesen von FI fremd. Dafür gibt es reichlich gegenseitige Beschimpfungen und öffentliche Streitereien, meist verbunden mit der fast verzweifelten Aufforderung an Berlusconi, er möge doch endlich durchgreifen und irgendeine Entscheidung treffen. Der Fraktionsvorsitzende im Senat Romani und der Präsident der Region Ligurien Toti fordern hingegen kühn die Bildung einer „Nationaldirektion“. Aber wie soll sie zustande kommen? Nicht einmal Kandidaten für die kommenden Kommunalwahlen kriegt die FI zusammen, geschweige denn eine neue Führungsriege – etwa ohne Berlusconi? -, die den Zerfall aufhalten könnte.

Der Aderlass ist noch lange nicht beendet. „Die Partei existiert nicht mehr, die FI-Gruppen in Senat und Abgeordnetenkammer leben von der Hand in den Mund“, so die ehemalige Präsidentin der Region Latium Renata Polverini. Und deutet an, sich ebenfalls in Richtung Verdini, dem einstigen Berlusconi-Berater und heutigem Renzi-Fan, bewegen zu wollen. Verdinis Werbekampagne ist in vollem Gang. Mit Regierungsposten kann der erfahrene Strippenzieher zwar (noch) nicht locken, aber mit Posten „di sottogoverno“, also unterhalb der direkten Regierungsebene, schon. Denn schließlich ist Renzi – vor allem im Senat, wo die Mehrheitsverhältnisse knapp sind – auf seine externe Unterstützung angewiesen.

Zerfall fördert die Polarisierung

Indessen lässt sich Berlusconi in Rom kaum noch blicken. Er entscheidet nichts, widerspricht sich, verhält sich gegenüber Renzi wie ein enttäuschter Liebhaber und ist von seinen eigenen Leuten nur noch genervt. Sein Verhältnis zu Salvinis Lega erinnert an Mozarts Zerlina gegenüber Don Giovanni: „Vorrei e non vorrei, mi trema un poco il cor …!“. Seine wenigen öffentlichen Auftritte – in geschlossenen Sälen vor ausgewähltem Publikum – sind langweilig, seine Ankündigungen, wieder mit Aplomb auf die politische Bühne zurückkehren zu wollen, eher peinlich.

Auch wenn man Berlusconi und seiner Truppe keine einzige Träne nachweint: ihr Zerfall bedeutet nicht die Etablierung einer „normalen“ bürgerlichen Rechten in Italien, im Gegenteil. Der moderate Flügel, der nicht einfach aus opportunistischen Gründen ins Regierungslager wechseln will, fühlt sich heimatlos. Der rechtspopulistische Flügel übernimmt Salvinis antieuropäische und fremdenfeindliche Parolen. Und es ist alles andere als sicher, dass es am Ende Renzi – mit seinem Streben nach einem „partito della nazione“ – sein wird, der von dieser politischen Polarisierung profitiert. Zumal die „Grillini“ auch noch da sind.