Culture | Salto Afternoon

Nimmerland in Smartphonehand

Eine Pressekonferenz und anschließender Proben-Besuch stellten gestern die neue Auftragsoper „Peter Pan - The Dark Side“ der Haydn Stiftung vor. Es wird keine Kinderoper.
Peter Pan - The Dark Side, Probenbild
Foto: Francesco Bondi
Man will sich, was anfangs widersprüchlich klingt, verstärkt auf die Originale von J. M. Barrie beziehen (als Stück 1904, als Roman 1911) besinnen und die Handlung ins heute versetzen. Die Besetzung der Schlüsselaufgaben des am Samstag, 25. März Premiere feiernden Stücks wurde auch erörtert. Während die Musik für Orchester und Elektronik (später mehr hierzu) vom Osttiroler Wolfgang Mitterer stammt, ist der Britische Dramaturg und ehemalige Direktor der Bregenzer Festspiele (2004-14) David Poutney fürs Libretto zuständig. Die genannte Gewichtung bei der Stückentwicklung geht 40 zu 60 Prozent zu Gunsten der Musik. Die musikalische Leitung übernimmt der Dirigent mit viel Haydn Erfahrung Timothy Redmond, die Regie ist mit der Film-, Theater- und Opernregisseurin Daisy Evans ebenfalls britisch besetzt. Sie sprach als erste vertiefend über das Werk, sprach von einem „Einkochen“ des Stoffs, von „Britishness“ und dem verlorenen „Punk“ in Bezug auf den kürzlichen Tod von Modelegende Vivienne Westwood und die Kostüme des Stücks (Loren Elstein). Gleichzeitig sprach sie auch von „Unehrerbietigkeit“ gegenüber dem Original, da Rollen und Themen neu bewertet werden - Hook (Andreas Jankowitsch) ist nicht mehr eindeutig „böse“ und Peter Pan (Karim Sulayman) nicht mehr eindeutig gut.
 
 
Wendy (Rosie Lomas), Michael (Jakob Pejcic) und John (Dominic Kraemer) sind die Pflegekinder von Hook und Tyger (Gweneth Ann Rand), deren „Nimmerland“ im Internet, zwischen Videospielen, Fake News und den sozialen Medien zu finden ist. Ein Nimmerland, welches wie jenes der „lost boys“ des Originals die Versuchung hervor streicht. Im Proben-Einblick sehen wir Hook und Tyger als scherzende Eltern auf dem Weg zu einer Halloween-Party (als Wonder Woman und Batman verkleidet), die ihren sich pubertär benehmenden Kindern peinlich zu sein scheinen. Die englische Sprache des Stücks (zur Premiere dann auch mit deutschen und italienischen Übertiteln) ist vulgär, wie auch die Gestik der beiden „Jungs“ und es dauert keine Minute bis zum ersten „Fuck“ - von der sprachlichen Substanz des Originals wird wohl recht wenig bleiben. Wir sehen Pan, zu erkennen am charakteristischen Hell- und Dunkelgrün der Jacke, als Schatten im Hintergrund und „flirty, dirty, squirty“ Tinkerbell (Claire Wild) im Disko-Outfit in zu knappen Hotpants. Der Feenflügel entledigt sie sich beim Einstieg durchs Fenster, als die Eltern aus dem Haus sind und Michael und John von ihren Süßigkeiten naschen. Es bleibt abzuwarten, wie akkurat das „Stranger Danger“-Gefühl, die Angst vor suspekten Fremden ist.
Musikalisch ist die Oper bislang durch rasche Wechsel, zwischen verschiedenen Genreeinflüssen (man denke an Gershwins „Porgy and Bess“), bei den für Orchester anspruchsvollen Taktwechseln, etwa zu 7/8, aber auch zwischen laut und leise. Hier erinnerte Redmond in der Konferenz daran, dass bei den Proben mit einer lediglich annehmbaren digitalen Annäherung eines Orchesters die „Tiefenunschärfe“ fehle, die ein Orchester bieten kann. Die Elektronik, welche das Orchester unterstützt, wird eine „menschliche“ sein, soll heißen das Orchester wird nicht zu einen vorher durchkomponierten Track mit allen digitalen Elementen spielen, sondern diese werden einzeln, als mehr als 100 auf einem Keyboard registrierte Bausteine ins Orchesterspiel eingefügt. Dies machte bei der Probe einen bombastischen, aber guten Eindruck, das Zusammenspiel mit dem Haydn Orchester bleibt jedoch abzuwarten.
 
 
Problematisch an dem Stück könnte am Ende sein, dass in den 15 Minuten Einblick, welcher den Pressevertretern geboten wurde, das Smartphone ein omnipräsenter Faktor war. Es bleibt zu hoffen, dass aus dem „swipenden“, also wischenden Zeigefingern keine moralischen werden, die es sich mit analog - gut, digital - schlecht zu einfach machen könnten. Abzuwarten bleibt auch, wie sehr am Ende das demographische Problem einer Opernaufführung von Peter Pan ein Störfaktor ist. Anfänglich wirkt das ein wenig, als würden 30-jährige Hollywood-Schauspieler in einem Highschool-Teenager-Drama einen Part spielen für den sie zu alt sind, aber hier braucht es vielleicht nur etwas mehr Gewöhnungszeit und einfache Lösungen bieten sich nicht. So oder so, es versprechen am 25. März spannende 80 Minuten zu werden.
 

Ausblick und Termine

 
Man versäumte es bei der Präsentation auch nicht, auf die weiteren Opern-Produktionen der Haydn-Stiftung hinzuweisen, die zwischen Bozen und Rovereto am Spielpan stehen. Unter dem Saisonsmotto „When Night Falls“ will man sich mit dem vom künstlerischen Leiter Matthias Lošek zusammengestellten Programm an der Grenze zwischen Wachzustand und Traumwelten bewegen. Es soll ins Unterbewusste gehen, wenngleich das Programm-Vorwort mit dem Peter Pan Zitat eines „awfully big adventure“ endet, das ja doch den Tod meint. Angefangen wird „dekonstruiert und poppig neu gedeutet“ mit Franz Schuberts „Die Winterreise“ als italienische Erstaufführung der Fassung von Clara Frühstück (Komposition, Klavier, Gesang) und Oliver Weiter (Komposition, Gitarre, Gesang). Der dazugehörige Tour-Termin ist am Sonntag den 19. März auf der Studiobühne des Stadttheaters ab 18 Uhr.
 
 
Nach „Peter Pan - The Dark Side“ - zu sehen am 25. (19 Uhr Einführung, 20 Uhr Vorführung) und 26. März (16 Uhr Einführung, 17 Uhr Vorführung) im großen Saal des Stadttheaters, möchte man mit „Hanjo“ die Opernfans nach Trient ins Teatro Soziale locken und wies darauf hin, dass ein Shuttle-Dienst zwischen Bozen und Trient eingerichtet werde, der beim Kartenvorkauf gebucht werden muss. Die Kammeroper des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa beschäftigt sich mit dem Warten und kann -trotz Haydn-Orchester - als Gegenstück zum sicherlich maximalistischeren „Peter Pan“ gesehen werden, auch durch die Bezüge zum Nō-Theaterstück gleichen Namens von Yukio Mishima, welches als Grundlage dient. Wir folgen in der  englischen Koproduktion mit der Catapult Opera aus New York der Geisha Hanako. Diese wartet für Jahre auf ihren Geliebten, nur um diesen, als er endlich heimkehrt nicht mehr zu erkennen, was die Protagonistin an den Rand des Wahnsinns bringt. Die Termine für „Hanjo“ sind der 1. (19 Uhr Einführung, 20 Uhr Vorführung) und 2. April (16 Uhr Einführung, 17 Uhr Vorführung) am Trientner Teatro Sociale.
In Rovereto wieder aufgenommen wird schließlich noch „Curon/Graun“ von 2018, dem Gewinnerprojekt der ersten Ausgabe des von der Stiftung ins Leben gerufenen Musiktheater-Wettbewerbs „Fringe“. Das Stück ohne Darsteller, zu Stücken von Arvo Pärt ist am 4. April um 20.30 Uhr im Zandonai Theater zu sehen und soll 2024 auch wieder in Südtirol am Programm stehen.
Angekündigt aber noch nicht mit Termin oder weiteren Details versehen wurde auch eine Opernproduktion im Herbst, für die der designierte Intendant der VBB, Rudolf Frey verantwortlich zeichnen soll. Man darf noch warten.