Environment | Nachhaltigkeit

Malser Mutmacher

Mit dem Besuch des alternativen Nobelpreisträgers Hans Rudolf Herren wird Mals einmal mehr zum Impulsgeber für einen Kurswechsel in der Landwirtschaft.

Es ist still geworden um das kleine Vinschger Dorf Mals. Nach all der Aufregung um die Pestizid-Abstimmung, nach Schlagzeilen im In- und Ausland und nach den erbitterten Kämpfen zwischen Vertretern einer konventionellen und einer biologischen Landwirtschaft ist das Thema im vergangenen Jahr aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. Das bedeutet aber nicht, dass die Malser ihr Ziel, eine pestizidfreie Gemeinde zu werden, aus den Augen verloren hätten, versicherte Bürgermeister Ulrich Veith am Mittwoch Abend in der Aula Magna des Oberschulzentrums Mals. „Ich habe versprochen, das Votum für eine pestizidfreie Gemeinde umzusetzen“, erklärte er. „Und ich werde es auch umsetzen. Denn ich bin überzeugt, dass eine Gemeindeverwaltung ihren Bürgern das Umfeld schaffen darf und soll, dass sie sich wünschen – und genau das werden wir schon bald machen.“

Sein Versprechen gab der Malser Bürgermeister vor einem prominenten Zeugen ab: Hans Rudolf Herren, Pionier der biologischen Schädlingsbekämpfung, Gründer von Biovision, einer Stiftung für ökologische Entwicklung, sowie Präsident des Millenium-Institutes. Kurzum, ein weltweit bekannter Apostel einer nachhaltigen und ökologischen Landwirtschaft, der vor allem in seinem jahrzehntelangen Wirken in Afrika bewiesen hat, dass die Weltbevölkerung auch ohne Biotechnologie, Gentechnik und Pestizide ernährt werden kann. Zum Beispiel, indem Schädlinge wie die Schmierlaus, die in den Achtziger Jahren auf Maniok-Feldern in 30 afrikanischen Ländern die Lebensgrundlage von Millionen Menschen bedrohten, durch einen natürlichen Feind wie die Schlupfwespe in Griff bekommen werden können. „Weiter wie bisher ist keine Option“, lautete der Titel seines Plädoyers für einen Kurswechsel in der Landwirtschaft. Umfangreich festgehalten ist es im 2008 erschienen Weltagrarbericht, an dem der gebürtige Schweizer als Co-Vorsitzender mitarbeitete und in dem sowohl die Gründe für das Scheitern einer intensiven industriellen Landwirtschaft als auch Vorschläge für eine Landwirtschaft der Zukunft geliefert werden.

Wo ist der Landesrat?

Auch in Mals zeigte der Träger des Alternativen Nobelpreises Right Livelihood Award auf, welche katastrophale Auswirkungen eine stark von fossilen Energieträgern und Chemikalien geprägte Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten weltweit auf Gesundheit, Umwelt und Klima hatte. Das meiste von dem, was Herren über anhaltenden Hunger und Armut, über erodierende und kaputte Böden, über den Verlust von 75% unserer Biodiversität oder zu günstige Lebensmittel erzählte, ist nicht neu. Doch es wird politisch immer noch viel zu wenig zur Kenntnis genommen, erklärte der Wissenschaftler, der Stammgast auf allen internationalen Klima- und Agrarkonferenzen ist. Eigens für Entscheidungsträger angefertigte Kurz-Zusammenfassungen des 2000 Seiten starken Weltagrarberichts würden in Schubladen verschwinden; die Weltbank, aber auch die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO würden wissenschaftlich belegte Alternativen der Agrarökologie einfach ignorieren.

Hans Rudolf Herren im Interview mit Moderatorin  Gudrun Esser

Muster, die sich auch auf das kleine Südtirol umlegen lassen. Trotz der persönlichen Einladung der gesamten Landesregierung und aller Landtagsabgeordneten war in der bis auf den letzten Platz gefüllten Malser Aula Magna am Mittwoch Abend nur die Grüne Abgeordnete Brigitte Foppa zu entdecken. Landwirtschafts-Landesrat Arnold Schuler ließ sich durch seinen persönlichen Referenten vertreten. Der übermittelte in einer von RAI-Journalistin Gudrun Esser moderierten Publikumsdiskussion zwar die besten politischen Absichten, die Entwicklung in Richtung biologische Landwirtschaft zu beschleunigen. Aussagen des prominenten Vortragenden wie „Die integrierte Produktion ist nur eine Ausrede, um nicht weit genug zu gehen“ oder „Biolandwirtschaft ist wissensintensiv und dementsprechend müssen die Bauern dabei unterstützt werden“ entgingen der offiziellen Landespolitik – und das kurz nach Bekanntwerden einer Bauernbund-internen Umfrage, laut der sich knapp 60 % von Südtirols Bauern für eine biologische Landwirtschaft aussprachen.

90 % der Forschung fließt in konventionelle Landwirtschaft

Vorerst unbeantwortet blieben auch Publikumsfragen wie jene, ob Schulers Vorgänger es verabsäumt hätten, in Südtirol rechtzeitig die Weichen in Richtung Nachhaltigkeit zu stellen, oder wie viel Prozent des Forschungsetats in der Laimburg für eine nachhaltige Landwirtschaft zur Verfügung steht. Einen Anhaltspunkt konnte Hans Rudolf Herren anhand internationaler Daten liefern: „90 % der Forschung weltweit fließt immer noch in die konventionelle Landwirtschaft“, sagt er. Deshalb sei das Potential der Agrarökologie noch weit größer als heute absehbar ist. Doch bereits ohne die massive wissenschaftliche Unterstützung und die Förderungen, die der konventionellen Landwirtschaft bis heute zuteil werden, gibt es laut Hans Rudolf Herren ausreichend Beispiele dafür, dass eine nachhaltige Landwirtschaft bei gleicher oder vielfach größerer Produktionsmenge für bessere Böden, weniger Wasser und Landverbrauch, weniger Abholzung und mehr Beschäftigung sorge.

Was es dafür braucht? Mehr Ideen- und Wissensaustausch unter allen Beteiligten, das Rückgreifen auf natürliche Prozesse, selbstregulierende Systeme und alte Sorten, lauteten einige der Antworten. Eine zentrale Rolle kommt auch den Konsumenten zu, unterstrich der Wissenschaftler. Wer Biodiversität fördern will, muss auch Diversität auf dem Teller haben, meinte er und forderte zu einer Umstellung von einer Ernährung, die sich stark an Fleisch- und Milchprodukten orientiert, zu mehr Gemüse und Früchten auf. Vor allem was den Preis von Lebensmitteln angehe, brauche es ein Umdenken und mehr Respekt vor der Leistung von Landwirten, so Hans Rudolf Herren.

Just do it

Wie groß die Rolle sein wird, die Mals bei einem solchen Umdenkprozess spielt, werden die kommenden Jahre zeigen. Für die Umweltschutzgruppe Vinschgau als Hauptveranstalter des gestrigen Events war es jedenfalls eine bewusste Entscheidung, den prominenten Vortrag in der Vinschger Gemeinde abzuhalten. „Mals hat als Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit der Pestizidproblematik Bahnbrechendes geleistet“, erklärte Vorsitzende Eva Prantl. Bürgermeister Veith interpretierte die Rolle seiner Gemeinde in gewohnt unaufgeregter Art. „Es bringt nichts, auf den Landesrat in Bozen, Minister in Rom oder in Brüssel zu schimpfen, wenn man Veränderung will“, sagte er. „Man muss eben selber beginnen.“ Einmal mehr hob der Malser Bürgermeister dabei hervor, dass ein Pestizidverbot nicht den konventionellen Landwirten schaden, sondern den nachhaltig Wirtschaftenden helfen soll. „Wir müssen Pestizide verbieten, damit Biodiversität und eine biologische, nachhaltige Landwirtschaft eine Chance bekommen.“