Veruntreute Fraktionsgelder?
Pius Leitner erlaubt sich eine Bemerkung: „Mir scheint, dass die Ermittler den Unterschied zwischen Partei und Fraktion nicht genau kennen“. Mehr will der Freiheitliche Landtagsabgeordnete und Fraktionssprecher noch nicht sagen. Er weiß, dass die Materie überaus brisant ist.
Am Mittwoch waren Pius Leitner und Ulli Mair beim stellvertretenden Staatsanwalt Igor Secco zur Anhörung geladen. Am Donnerstag sollen die beiden ehemaligen SVP-Abgeordneten Elmar Pichler-Rolle und Walter Baumgartner vor dem Staatsanwalt aussagen.
Das freiheitliche Duo Leitner-Mair haben die Einladung der Staatsanwaltschaft ausgeschlagen. Ebenso werden die beiden SVP-Abgeordneten nicht im Justizpalast erscheinen.
Das Nichterscheinen ist eine Vorgabe der Anwälte der vier Politiker. Denn Pius Leitner, Ulli Mair und Elmar Pichler-Rolle haben mit dem Bozner Strafverteidiger Alessandro Tonon denselben Anwalt engagiert. Walter Baumgartner wird hingegen von Marco Mayr vertreten.
Die Wahl ist kein Zufall. Waren es doch Tonon und Mayr, die die Meraner Stadträtin Heidi Siebenförcher im Fall „Kaufleute Aktiv“ mit Erfolg vertreten haben. Siebenförcher wurde freigesprochen.
Leitner, Mair, Pichler-Rolle und Baumgarten haben vergangene Woche einen Ermittlungsbescheid zugestellt bekommen. Die Ermittlungen führt die Finanzwache, koordiniert von den beiden stellvertretenden Staatsanwälten Igor Secco und Giancarlo Bramante. Es ist eine hochpolitische Ermittlung, die seit fast zwei Jahren läuft.
Ausgangspunkt ist die Eingabe eines Politikers. Der ehemalige Sterzinger SVP-Bürgermeister Thomas Egger war 2008 für die Freiheitlichen in den Landtag eingezogen. Im Laufe der Jahre verschlechterte sich das Klima innerhalb der Freiheitlichen Fraktion aber deutlich. Im Frühjahr 2013 trat Egger deshalb aus der Partei aus und gründete im Juni 2013 mit „Wir Südtiroler“ eine eigene Bewegung.
„Ich habe mich damals zum ersten Mal mit den Bestimmungen zu den Fraktionsgeldern im Landtag und in der Region beschäftigt“, sagt Thomas Egger zu salto.bz. Am Ende verzichtete Egger als Einmann-Fraktion auf die Fraktionsgelder. Es ist ein Schritt, den bisher noch niemand getan hat.
Thomas Egger: Namentliche Eingabe beim Rechnungshof
Dem Sterzinger Juristen fallen jetzt aber einige Ungereimtheiten auf, die es – seiner Meinung nach – im Umgang seiner früheren Partei mit den Fraktionsgeldern gegeben hat. Thomas Egger macht eine Eingabe beim Rechnungshof. Mit seinem Namen unterschrieben. Es ist der Startpunkt für die Ermittlungen. Der Rechnungshof leitet die Eingabe direkt an die Staatsanwaltschaft am Bozner Landesgericht weiter. Obwohl sich Thomas Egger in seiner Eingabe nur auf die Freiheitliche Fraktion bezieht, weitet man dort die Ermittlungen auf alle Fraktionen aus. Anfang 2014 beschlagnahmen Beamte der Finanzpolizei im Südtiroler Landtag die Abrechnungen und Unterlagen aller politischen Fraktionen.
Für die zwei größten Fraktionen im Landtag gehen die Ermittlungen jetzt in die entscheidende Phase: die Freiheitlichen und die SVP. Die Hypothese der Ermittler: Die Fraktionsgelder wurden nicht für die Fraktion verwendet, sondern ein Teil der Gelder floss in die Parteiarbeit. Genau das ist aber gesetzlich strengstens verboten. Es wäre illegale Parteienfinanzierung mit öffentlichen Zuwendungen.
Pius Leitner ist der Fraktionssprecher der Freiheitlichen, Ulli Mair seine Stellvertreterin. Elmar Pichler-Rolle war bis zu seinem Kurzauftritt als Landesrat Fraktionssprecher der SVP, Walter Baumgartner sein Stellvertreter.
Elmar Pichler-Rolle im SVP-Fraktionsbüro: Gelder in Richtung Partei?
Die Fraktionssprecher müssen jährlich beim Landtag eine genaue und detaillierte Erklärung und Aufstellung über die Verwendung der Gelder abgeben. Sie sind rechtlich dafür verantwortlich. Deshalb wurden jetzt auch diese vier Politiker in das Ermittlungsregister eingetragen.
Dabei ist die Ausgangslage zwischen der Regierungs- und der Oppositionspartei auch in diesem Fall unterschiedlich.
Die Südtiroler Freiheitlichen dürften ein größeres Problem haben.
Die größte Oppositionsfraktion bekam im Landtag in der Legislatur 2008 bis 2013 rund 530.000 Euro an Fraktionsgeldern. Der Löwenanteil davon entfiel – wie bei fast allen Fraktionen - auf die Personalkosten. Zwischen 78.000 und 106.000 Euro geben die Freiheitliche Fraktion jährlich für ihr Personal aus. Der Rest wurde für Verwaltungstätigkeit, Informationsmaterial oder Veranstaltungen ausgegeben.
In der Eingabe Thomas Eggers wird aber eines unmissverständlich dokumentiert. Die Südtiroler Freiheitlichen haben ihren Parteisitz zwar offiziell in Terlan, am Hof des Landtagsabgeordneten Sigmar Stocker, doch dort wird nicht gearbeitet.
Die gesamte Parteiarbeit verrichten die Sekretärinnen und der freiheitliche Landessekretär im Büro der Landtagsfraktion im Südtiroler Landtag. Dort werden nicht nur die Presseaussendungen der Partei geschrieben und verschickt, sondern auch die Parteitage vorbereitet, die Mitgliederlisten geführt und alle Verwaltungstätigkeiten der Partei durchgeführt.
Nicht nur das Partei- und das Fraktionsbüro sind identisch, auch das Personal. Damit aber wird mehr als klar, dass mit den Fraktionsgeldern auch die blaue Parteiarbeit finanziert wird.
Pius Leitner und Ulli Mair und ihr Verteidiger werden sich schwer tun, dem Staatsanwalt das Gegenteil zu beweisen.
Pius Leitner, Ulli Mair: Parteibüro und Fraktionsbüro in einem.
In der SVP ist man derzeit ahnungslos. „Ich weiß nur, dass sie damals alles mitgenommen haben, mehr aber nicht“, sagt der aktuelle SVP-Fraktionssprecher Dieter Steger. Auch an der SVP-Spitze kennt man die Details der Ermittlungen nicht.
Über die Vorhaltungen der Staatsanwälte informiert sind nur Elmar Pichler-Rolle, Walter Baumgartner und ihre Verteidiger.
Hier dürfte die Ermittlungshypothese aber anders gewichtet sein. Zwischen 2008 und 2013 erhielt die SVP-Fraktion 1.370.000 Euro an Fraktionsgeldern. Auch die Volkspartei gibt jährlich zwischen 88.000 und 126.000 Euro für das Personal aus, das im Fraktionsbüro für die Abgeordneten arbeitet. Zudem war die SVP bis 2013 – dann ändert die Monti-Reform die Spielregeln – die einzige Fraktion im Landtag, die ihre Fraktionsspitze entschädigt hat. Zwischen 48.000 und 69.000 Euro brutto erhielt Fraktionssprecher Elmar Pichler-Rolle zusätzlich zur Abgeordnetendiät.
Im Fokus der Ermittler liegt aber ein anderer Posten in der Abrechnung der SVP-Bilanz. Unter den Verwaltungsausgaben gibt es unter anderem drei Posten:
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Ausgaben für Tätigkeiten der Fraktion, die an Außenstellen erfolgen
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externe Dienst- und Serviceleistungen
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Miete für Räume außerhalb des institutionellen Fraktionssitzes
In den offiziellen Abrechnungen wurde hier jährlich immer nur eine Pauschale angegeben. Insgesamt gab die SVP-Fraktion in den fünf Jahren auf diesen drei Positionen stolze 450.000 Euro aus.
Offizielle Rechnungslegung der SVP-Fraktion (2009): Details im Kleingedruckten
Hinter diesen Posten versteckt sich eine interessante Umwegfinanzierung. Denn die Räume, die außerhalb angemietet und bezahlt werden, sind die SVP-Bezirksbüros oder die Büros der Organisationen am Parteisitz. Auch die externen Dienst- und Serviceleistungen werden vom Parteiapparat erbracht. Im Klartext: Die 450.000 Euro sind so aus der Fraktionskasse im Landtag in die Parteikasse in die Brennerstraße geflossen.
Das genau das eine juridische Gradwanderung ist, weiß man innerhalb der Volkspartei schon lange. Die Beamten der Finanzwache gehen jetzt davon aus, dass diese Finanzierung nicht rechtens ist.
Die beiden Staatsanwälte Igor Secco und Giancarlo Bramante werden in den nächsten Monaten die Ermittlungen abschließen. Nach der Zustellung der Vorhaltungen haben die vier Politiker dann nochmals die Möglichkeit Dokumente zur ihrer Verteidigung vorzubringen oder eine Anhörung zu verlangen. Erst dann wird die Staatsanwaltschaft entschieden, ob sie die Einleitung des Hauptverfahrens oder die Archivierung beantragt.