Fürchtet Euch nicht
Wenn Hanspeter Staffler von seiner Mannschaft spricht, spürt man förmlich den frischen Wind, den der Generaldirektor des Landes seit seinem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren in Südtirols Landesverwaltung zu bringen versucht. „Wir haben eine Leistungskultur und eine Vertrauenskultur“, heißt es da etwa. Oder: „Fehler können und dürfen passieren. Besser man macht einen Fehler und korrigiert ihn, als man macht nie Fehler, aber bringt auch nichts weiter.“ Grundpfeiler einer modernen Verwaltung, die im Zuge der aktuellen Reform ihre Abläufe vereinfachen und beschleunigen will und transparenter und näher am Bürger arbeiten will. Doch wie auch Staffler einräumt, drohen seine Bemühungen von einer kräftigen Bremse unterminiert zu werden: der Angst der eigenen Mitarbeiter. Eine Angst, die nicht von übergeordneten Stellen innerhalb der Landesverwaltung ausgelöst wird, sondern von einem ihrer externen Kontrolleure – dem Rechnungshof. Dort werden bekanntlich nicht nur alle Akten der öffentlichen Verwaltung kontrolliert. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Österreich gibt es am italienischen Rechnungshof auch eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht, vor dem Verwalter und öffentliche Angestellte für Schäden zur Verantwortung gezogen werden können, die sie der öffentlichen Hand im Rahmen ihres Dienstverhältnisses zufügen. „Es gibt zwar wenige Schuldsprüche, dennoch ist die Angst vor dem Rechnungshof wie ein Damoklesschwert, das sehr stark in der Belegschaft gefühlt wird und die Motivation und einen reibungslosen Ablauf behindert“, sagt der Generaldirektor des Landes.
Das Thema ist keineswegs neu, wird aber als immer drängender wahrgenommen. „Derzeit herrscht sicher eine sehr große Übervorsicht“, sagt auch der Präsident des Südtiroler Gemeindenverbandes, Andreas Schatzer, über seine Kollegen in den Gemeindestuben des Landes. Hemmschuhe gebe es dabei viele. „Der Rechnungshof kontrolliert uns schließlich in jeglicher Hinsicht – von den einfachen Einkäufen bis hin zur Vergabe von Arbeiten oder auch Kleinigkeiten wie Repräsentationsausgaben.“ Wie negativ die damit verbundenen Ängste für den Bürger und das Land sind, sorgt mittlerweile selbst den Präsidenten der Südtiroler Anwaltskammer: „Der Schaden, den eine handlungsunfähige öffentliche Verwaltung verursacht, ist bei weitem größer als jener Schaden, der durch einen menschlichen Fehler beim engagiertem Einsatz zur Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung passieren kann“, erklärte Elohim Rudolph-Ramirez vergangene Woche bei der Eröffnung des Gerichtsjahres am Rechnungshof. Dort kündigte auch jener Mann seinen Rückzug an, dem bei diesem Thema gerne der Schwarze Peter zugeschoben wird: Oberstaatswalt Robert Schülmers von Pernwerth. „Der Mann, vor dem Südtirol zittert“, wie das Wochenmagazin ff ein Jahr nach Schülmers Amtsantritt im Jahr 2011 titelte. Im kommenden November muss der vielerorts gefürchtete Jurist seinen Stuhl in der Staatsanwaltschaft räumen und wird vermutlich in die Kontrollsektion des Rechnungshofes wechseln – aufgrund einer Gesetzesänderung, die die Amtsdauer für die Ausübung der leitenden Funktionen der regionalen Staatsanwälte auf fünf Jahre beschränkt.
501 Ermittlungsverfahren, 12 Klageschriften
Bei dieser Nachricht dürfte nicht nur Schülmers prominentestes Opfer Luis Durnwalder die Ohren gespitzt haben. Denn die Liste jener, denen der Oberstaatsanwaltschaft in den vergangenen Jahren zumindest auf den Zahn gefühlt hat, ist lang. Das beweist auch die Bilanz, die Robert Schülmers vergangene Woche bei seinem letzten Auftritt als Oberstaatsanwalt vorlegte: 501 Ermittlungsverfahren wurden im vergangenen Jahr von der Staatsanwaltschaft am Rechnungshof eröffnet – nach 364 im Jahr davor. Klageschriften gab es dagegen nur zwölf. Zahlen, die den Eindruck erwecken, dass viel aufgewirbelt wird und am Ende wenig tatsächliche Anklagen dabei herauskommen.
Auch so manche Anklage wurde im vergangenen Jahr aber von der rechtssprechenden Sektion des Rechnungshofes wieder zerschlagen. Dies galt zur Erleichterung des Lüsener Bürgermeisters Josef Fischnaller auch für das Hauptverfahren, das die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof im Vorjahr gegen seinen Gemeindeausschuss einleitete. Anlass war der Ankauf eines Gastlokals im Dorfzentrum. Das hatten die Gemeindeverwalter bei einer gerichtlichen Versteigerung zum halben Schätzpreis erworben, um darin Gemeindeeinrichtungen unterzubringen. Ein Schnäppchen, beim dem allerdings schnell zugeschlagen werden musste. Damit blieb auch keine Zeit, Zweifel auszuräumen, ob die damals medial angekündigte Aufhebung eines im Monti-Gesetz vorgesehenen Ankaufsverbotes von Immobilien bereits in Kraft war. „Die Immobile war derart günstig, dass wir damals dieses Risiko auf uns genommen haben“, sagt der Lüsener Bürgermeister. Angst vor dem Rechnungshof hatte Fischnaller dabei nicht. „Wir hatten eher Sorge, dass das Verwaltungsgericht den Schritt beanstandet. Doch von einem Schaden für den Steuerzahler kann bei einem solch vorteilhaften Deal wirklich nicht die Rede sein.“ Dennoch wollte die Staatsanwaltschaft am Rechnungshof den Bürgermeister und seinen Gemeindesekretär in der Causa zu einem Schadenersatz von je 57.800 Euro verurteilen; kleinere Summen standen für den gesamten Gemeindeausschuss im Raum. Letztendlich wurde die Klage von einem Rechnungshof-Richter aber als haltlos abgewiesen. Statt zahlen zu müssen, erhielt der Lüsener Gemeindeausschuss seine Anwaltskosten zurückerstattet.
„Wenn der Gesetzgeber klarere Regeln vorgeben würde, hätte auch ein Herr Schülmers weniger Arbeit“
Das Damoklesschwert, das viele Verwalter im Land dazu bringt, Entscheidungen an die nächsthöhere Ebene weiterzureichen oder ihre Handlungsspielräume nicht auszunutzen, wiegt mit jedem solcher Fälle aber noch schwerer. Dafür macht allerdings selbst der Lüsener Bürgermeister keineswegs nur den Eifer eines Oberstaatsanwalts verantwortlich. Das grundliegende Problem, so die weit verbreitete Meinung in der öffentlichen Verwaltung, ist ein immer unübersichtlicherer und komplexerer Gesetzesdschungel. „Vor allem seit dem Jahr 2000 hat die Zahl an Bestimmungen massiv zugenommen – vom Vergabewesen bis zur Arbeitssicherheit, von Korruption und Transparenz bis hin zu Stabilitätsgesetzen“, sagt Generaldirektor Hanspeter Staffler.
„Ein Abgeordneter in Brüssel, Rom oder Bozen trägt absolut kein Risiko“, kritisiert Josef Fischnaller. Die Zeche für schlecht gemachte und ständig veränderte Gesetze müssten vielmehr die Verwalter zahlen. „Wenn der Gesetzgeber klarere Regeln vorgeben würde, hätte auch ein Herr Schülmers weniger Arbeit“, ist der Lüsener Bürgermeister überzeugt. Umso interessanter ist der Aspekt, dass gar einige Ermittlungen des Rechnungshofes auf Landtagsanfragen beruhen oder von konkurrierenden politischen Kräften ausgehen.
Felders Frust
„Wenn man bei jeder Unterschrift, die man zu leisten hat, selbst alles kontrollieren würde, könnten wir zusperren“, sagt Hansi Felder. Der geschäftsführende Direktor der Abteilung Wirtschaft ist ein alter Hase der Landesverwaltung. Seit 1975 steht er mit einer Unterbrechung von sechs Monaten im Landesdienst. All seine Erfahrung verhinderte jedoch nicht, dass auch er in die Fänge des Rechnungshof geriet. Die Anklage, von der Felder im Vorjahr ebenfalls voll freigesprochen wurde, hängte sich auf zwei Umfragen auf, die seine Abteilung an das mittlerweile aufgelöste Umfragen-Institut Dr. Gruber & Partner vergeben hatte. Eine davon betraf die sogenannten Tante-Emma-Läden und diente als Basis für die neuen Richtlinien zur Nahversorgung; die zweite wurde im Zuge der Zusammenlegung der Landesgesellschaften zur heutigen IDM gemacht. Die Staatsanwaltschaft sah in der externen Auftragsvergabe einen Verstoß gegen ein Staatsgesetz, das öffentliche Verwaltungen dazu anhält, so weit wie möglich eigenes Personal einzusetzen. Im Falle eines Schuldspruchs hätte Felder die gesamte Auftragssumme von rund 30.000 Euro aus eigener Tasche zurückerstatten müssen.
Auch er wurde jedoch im vergangenen Herbst von der gerichtssprechenden Sektion des Rechnungshofes freigesprochen. Belastend war das aufwändige Procedere dennoch, sagt er. „Wenn man wie die allermeisten Verwalter, die vor dem Rechnungshof landen, nach bestem Wissen und Gewissen handelt und dann als Dankeschön noch draufzahlen soll, entsteht natürlich schon ein Frust“ sagt er. Der Abteilungsdirektor kann der peniblen Kontrolle allerdings auch positive Aspekte abgewinnen: „Heute gibt es sicher ein weit stärkeres Bewusstsein dafür, dass man im Umgang mit öffentlichen Ressourcen eine völlig andere Denke anzuwenden hat, als wenn das eigene Geld ausgeben würde.“ Dennoch empfindet auch Hansi Felder den Balanceakt zwischen einem lösungsorientierten Zugang zu den eigenen Aufgaben und der Wahrung des gesetzlichen Rahmens als immer schwieriger. Und: Wenn Verwalten immer mehr zum Spießrutenlaufen wird, sinkt auch die Bereitschaft Führungsaufgaben zu übernehmen. „Diesen Trend spüren wir derzeit schon“, sagt Felder. „Die Tendenz geht im Umkehrschluss eher in die Richtung Dienst nach Vorschrift.“
Begleitung statt Misstrauen
Der Ausweg? „Mehr präventive Kontrolle“, antwortet Hansi Felder. „Wir würden uns einen kontrollierend-begleitenden als eine kontrollierend-überprüfenden Rechnungshof wünschen“, sagt auch Generaldirektor Hanspeter Staffler. Denn, wie er meint: Was bringt es, im eigenen System bestimmte Werte und eine Fehlerkultur zu predigen, wenn der Kontrolleur keinen Fehler akzeptiert und der Verwaltung insgesamt wenig Vertrauen entgegen bringt? Ob solche Botschaften beim Rechnungshof ankommen?
Hoffnungsschimmer dafür sah zumindest der Präsident der Anwaltskammer in der Rede, die der Vorsitzende der Rechtsprechenden Sektion Paolo Neri bei der Eröffnung des Gerichtsjahres hielt. Denn der Richter hätte darin Urteile des Höchstgerichts zitiert, in denen man sich bei Freisprüchen an freizügigeren europäischen Normen statt ausschließlich am geltenden italienischen Recht orientiert hätte, so Elohim Rudolph-Ramirez. „Es ist keine Frage, dass es wichtig ist, Gesetze einzuhalten“, unterstreicht er. „Doch letztendlich geht es in der Rechtsprechung darum, Gesetzesnormen auf Einzelfälle anzuwenden, die das Gesetz selten ganz genau widerspiegeln.“ Jedes Urteil, mit dem diese Grauzone im Sinne des öffentlichen Gemeinwohls interpretiert wird, trägt dazu bei, dass die Gesellschaft sich im Positiven ändert, meint der Anwalt. Und daran sollten schließlich alle Kräfte im Staat interessiert sein.