Politics | Brenner

Was bleibt vom Zaun?

Vor einem Monat begann die Debatte um das "Grenzmanagement" am Brenner. Kronbichler zieht Bilanz: "Keine Anzeichen für Chaos." Gibt Österreich seine Pläne auf?

Es war vor genau einem Monat. Am Freitag, 5. Februar, verschickte die Handelskammer Bozen eine Aussendung, in der sie über die Absicht der Tiroler Polizei, Zäune am Brenner und den anderen Grenzübergängen zwischen Südtirol und Österreich zu errichten, informierte. “In vier Wochen könnten sämtliche Grenzübergänge geschlossen sein”, warnte die Handelskammer und sprach sich mit einem “Nein zum Zaun am Brenner!” klar gegen die Sperrung der österreichischen Grenzen Richtung Süden aus. Die vier Wochen sind mit dem heutigen Tag um. Von Zäunen oder sonstigen Absperrungen ist weder am Brenner noch sonst wo etwas zu sehen. Doch es hat sich viel getan inzwischen. Krisentreffen, Appelle, Protestaktionen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Und die Ankündigung der österreichischen Regierung, mit April das mittlerweile berühmt-berüchtigte “Grenzmanagement nach dem Vorbild Spielfeld” auch am Brenner aktivieren zu können. In Südtirol bereitet man sich dieser Tage “auf alle Eventualitäten” vor, diskutiert im Landtag über die Aussetzung des Schengen-Abkommens und steht im regen Austausch mit den Euregio-Partnern, der österreichischen und italienischen Politik und den Sicherheitskräften, wie Landeshauptmann Arno Kompatscher vor wenigen Tagen bestätigte.


Kronbichlers Bilanz: Denkt Österreich nicht mehr daran?

Nach einem Monat voller Widersprüche was Informationen und (nicht) geplante Maßnahmen am Brenner angeht, und in dem sich im Hinblick auf die viel geforderte “europäische Lösung” nicht viel getan hat, während einzelne Staaten autonom Vorkehrungen zur Grenzsicherung getroffen haben, zieht der Südtiroler Parlamentarier Florian Kronbichler ein erstes Mal Bilanz. Der Abgeordnete stellt sich dazu eine Frage: “Wird am Brenner Angst geschürt vor Zuständen, die nicht bestehen und gar nicht eintreten werden?” Er hat die Geschehnisse der vergangenen Wochen rund um den Brenner aufmerksam verfolgt und kommt zum Schluss: “Die öffentliche Debatte über die Flüchtlingskrise wird tatsächlich weitab von der Wirklichkeit und an ihr vorbei geführt.” Seine Vermutung: “Das Chaos am Brenner” werde vielmehr herbeigeschrieben als dass es tatsächlich existiere.


Florian Kronbichler: Er rät zur rhetorischen Abrüstung.

Es gebe Anzeichen und Erklärungen, so der Abgeordnete der Sinistra Italiana, die ein bevorstehendes “Chaos am Brenner” unwahrscheinlich, jedenfalls nicht unmittelbar bevorstehend erscheinen ließen. Kronbichler berichtet, dass er Mitte der Woche die Gelegenheit hatte, Staatssekretär Sandro Gozi (PD), der für die italienische Regierung die EU-Agenden hält, auf die Causa Brenner anzusprechen. Im Rahmen einer Anhörung der Europa- und Außenpolitik-Ausschüsse von Kammer und Senat habe ihm Gozi bezeugt, dass die Konferenz der EU-Regierungschefs vorige Woche Österreich für seinen Alleingang bezüglich einer Obergrenze für Asylbewerber und Grenzsicherung deutlicher gerügt und vor Ultimaten gestellt habe, als bekannt gegeben worden sei. “Staatssekretär Gozi bestätigte, dass ‘Bundeskanzler Faymann in großen Schwierigkeiten’ stecke”, erklärt Kronbichler: “Österreich habe sich jedoch ausdrücklich verpflichtet, so Gozi, ‘das Schengen-Abkommen zur Gänze einzuhalten, also auch nicht in Teilen auszusetzen’”. Außerdem habe ihm der Staatssekretär wörtlich mitgeteilt, dass er glaube, “dass Österreich inzwischen gar nicht mehr daran denkt, das angekündigte Grenzmanagement auch umzusetzen”.


Sandro Gozi: Der Staatssekretär glaubt nicht daran, dass Österreich sein Grenzmanagement umsetzen wird.
 

Viel beschworen, aber nix dahinter?

Für seine Annahme, dass das “Chaos am Brenner” nicht eintreten werde, spreche zudem die Realität, so Kronbichler: “Es gibt bis dato am Brenner weder einen Flüchtlingsnotstand noch österreichseits ein ‘Grenzschutz-Management’, das diese Schreckensbezeichnung verdienen würde. Alle Sonderberichterstatter, die von dem Alarmgetöne zum Brenner geeilt sind, kommen mit der Erkenntnis zurück: Es ist nix. Seit Anfang des Jahres kommen am Brenner nicht mehr als zwei Dutzend Flüchtlinge pro Tag an. Weit höher ist die Anzahl derjenigen, die von Österreich und Deutschland nach Italien ‘rückverwiesen’ werden. Der viel beschworene ‘Zaun’ würde somit eher die gegenläufigen Fluchtströme unterbinden, was kaum die Absicht seiner Erbauer gewesen sein dürfte. Südtirol muss laut staatlichem Verteilungsschlüssel 0,9 Prozent der in Italien aufgenommenen Flüchtlinge beherbergen. Das beträgt in absoluten Zahlen, Stand Ende Februar, 976 Personen. Im Vergleich: Das Bundesland Tirol bringt knapp 6.000 Flüchtlinge unter. Soviel zum Flüchtlingsnotstand im Land.”

Kronbichlers Conclusio: “Wenn wahr ist, dass ‘Europa sich am Brenner entscheidet’ (wie EU-Kommissionspräsident Juncker gegenüber dem Tiroler Landeshauptmann Platter verkündet hatte), dann wäre die dringendste Maßnahme zur Rettung Europas eine rhetorische Abrüstung am Brenner. Weniger dramatisieren hilft Flüchtlingen wie Einheimischen mehr.” Ob Kronbichlers und auch Gozis Vermutungen zutreffen, wird sich wohl erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Bekanntlich wird mit der milderen Wetterlage im Frühling auch ein Anstieg des Flüchtlingsstroms über den Seeweg erwartet.