Society | Nachruf

Ein Kämpfer für Gleichberechtigung

Matthias Abram ist tot. Er hat sein Leben in den Dienst der Indios in Lateinamerika gestellt – und viel erreicht.
Matthias Abram
Foto: salto
Seit er nach mehreren Jahrzehnten in Lateinamerika nach Bozen zurückgekehrt war, gehörte er mit seinem stets unveränderten Bart und seinen langen Haaren ein bisschen zum Stadtbild. Verändert hatte er sich kaum. Matthias Abram war eine hochgebildete, polyglotte und belesene Person mit einem geschichtlichen Horizont und einem Allgemeinwissen, das den Durchschnitt bei weitem überragte. Er blieb stets ein Rebell – ob als Theologe oder Philosoph. 1943 als Sohn eines Architekten in Bozen geboren, studierte Matthias in Innsbruck und Tübingen Theologie und Philosophie. Bei einem Besuch in Tübingen nahm er mich eines Tages mit zu einer Vorlesung  seines Idols Ernst Bloch, an den ich seither eine lebhafte Erinnerung habe. Schon als Student der Theologie machte Matthias auf der Brixner Diözesan-Synode Ende der 60er Jahre mit seinen Plädoyers für eine radikale Kirchenreform auf sich aufmerksam. Jedesmal, wenn er sich zu Wort meldete, war das Unbehagen im Saal deutlich spürbar. 
 
Abram hat einen Grossteil seines Lebens in Lateinamerika verbracht – jenem Kontinent, dessen Geschichte er bis in die kleinsten Details kannte. Da er den Wehrdienst in Italien nicht absolviert hatte, durfte er für längere Zeit nicht nach Bozen zurückkehren.  In den letzten Jahren lebte er abwechselnd in seiner Wohnung in Bozen und in der auf Schlernhöhe gelegenen Hauptstadt Quito.
 
Über Jahre arbeitete er als Einsatzleiter des Deutschen Entwickungsdienstes DED in Ecuador. Dort habe ich ihn 1983 besucht und einige Zeit in seiner schönen Wohnung in der Altstadt Quitos verbracht, wo mich eine der ersten Wanderungen auf den Hausberg der Hauptstadt führte, den 4600 Meter hohen Vulkan Pichincha. Sein Lebensziel, an dessen Verwirklichung er unbeirrbar arbeitete, war die zweisprachige interkulturelle Bildung für die Indio-Kinder, die in den meisten Fällen nicht spanisch sprachen und somit ausgegrenzt waren. Relativ rasch lernte Matthias die im Hochland Boliviens gesprochenen, indigenen Sprachen Aymara und Quechua und sorgte für den Aufbau eines Schulsystems, das sie nicht mehr ausgrenzte.
 
In Lateinamerika (und nicht nur dort) galt Matthias Abram als unbestrittene Institution für interkulturelle Bildung. Sein profundes Wissen speiste er aus einem fast unerschöpflichen Fundus: seine Bibliothek umfasst mehrere tausend Werke über die Conquista, die Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier und Portugiesen. Jedes Jahr studierte er die Angebote der Antiquare akribisch und bereicherte seine Sammlung um wertvolle Exemplare. Zu seinen Schriften gehört eine kritische Ausgabe des Berichts des Tiroler Jesuiten Franz Niklutsch über die wilden Indianer im Maragnon von 1780.
 
Matthias Abram war zeitlebens ein Einzelgänger, der unmissverständlich auf der Seite der Armen und Unterdrückten stand und dem die Kritik der Kirche an der Unterdrückung in Lateinamerika vielfach zu lau war. Vor seinem Einsatz in Südamerika hielt er sich längere Zeit in Sri Lanka auf. In Südtirol stand er auf der Seite von Alexander Langer – einem kämpferischen Katholiken wie er selbst. 
 
Meine überraschendste Begegnung mit Matthias hatte ich in den frühen 90er Jahren in Guatemala. Als ich nach der Ankunft mit meinem Rucksack den Flughafen verliess, sass Hias mit einem Freund im Kaffee und wartete auf seinen Flug nach Quito. Wir unterhielten uns für eine Viertelstunde, dann trennten sich unsere Wege wieder. So war es auch in den letzten Jahren in Bozen. Man traf sich auf der Strasse, unterhielt sich, tauschte bei einem Glas Wein Erinnerungen aus. So auch letzthin. Nichts hatte auf seinen Tod hingedeutet. Mit ihm haben wir einen Freund verloren, dessen Ziel es war, etwas zu bewegen und zu verändern. Das hat in seinem ereignisreichen Leben zweifelsohne erreicht.
Auch sein Sohn lebt als Pendler zwischen Europa und Lateinamerika. Er konnte sich der magischen Anziehungskraft von Ecuadors altiplano mit seiner Gletscher- und Vulkanlandschaft nicht entziehen, wo er vor einigen Jahren eine Pension eröffnet hat.