Economy | Kriegsfolgen

Auf Null gestellt

Während in der Ukraine Menschen sterben, muss Südtirol zum Glück nur wirtschaftliche Nachteile hinnehmen. Nichtsdestotrotz für manche Betriebe ein großes Problem.
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Foto: Handelskammer Bozen
„Angesichts der Opfer ist eine wirtschaftliche Bewertung alles andere als leicht und ich mache mir sehr große Sorgen wegen der momentanen Kriegssituation“, so Georg Lun, Direktor des WIFO – Abteilung Wirtschaftsforschung, sichtlich bewegt. Primär stünden auch nicht die wirtschaftlichen Überlegungen im Vordergrund, sondern humanitäre wie beispielsweise die Flüchtlingsströme sowie die geplante Aufrüstung der europäischen Staaten.
Dabei haben die Kriegshandlungen in der Ukraine durchaus direkte Auswirkungen auf die Südtiroler Wirtschaft. Auch wenn das Handelsvolumen mit der Ukraine sich auf „nur“ rund zehn Millionen Euro beläuft und mit Russland auf rund 40 Millionen Euro pro Jahr, gibt es einige Südtiroler Betriebe, die sich auf den Handel mit Russland spezialisiert haben und nun massiv unter den Einschränkungen leiden. Die Exporte nach Russland brachen bereits 2014 stark ein, als im Zuge der Krim-Annexion Sanktionen verhängt wurden. Von 70 Millionen Euro sank das Handelsvolumen auf 40 Millionen. Betroffen war vor allem der Landwirtschaftssektor; so wurden beispielsweise kaum noch Äpfel oder Milchprodukte exportiert. Zwar war es möglich, über Drittländer wie beispielsweise die Türkei Exportlieferungen durchzuführen, aber auch dieser Weg ist nun stark eingeschränkt worden. Technische Anlagen für Skigebiete, wie beispielsweise Liftanlagen oder Schneekanonen, waren nicht betroffen und konnten bis zu den kürzlich erfolgten Sanktionen weiterhin nach Russland exportiert werden.
 
 

„Reines Gift für die Wirtschaft“

 

„Nun stehen wir aber vor einer vollkommen anderen Situation, weil die gesamte wirtschaftliche Aktivität praktisch auf Null gestellt wurde“, erklärt Lun. Nach dem Ausschluss vieler russischer Banken aus dem SWIFT-System können keine Zahlungen mehr getätigt werden und damit ist letztendlich auch kein Handel mehr möglich. Während man in der Vergangenheit mit verschiedenen Kooperationsabkommen versucht habe, die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen, sei in der derzeitigen Situation keine vernünftige Zusammenarbeit mehr möglich. „Die langfristigen Folgen sind sehr massiv“, so Lun, allerdings weniger wegen der Exporte, sondern wegen der Importe. Insbesondere bei den Gaslieferungen zeige sich eine starke Abhängigkeit von Russland, erkennbar an den seit einiger Zeit sehr stark angestiegenen Gaspreisen. In der Folge haben sowohl Unternehmen als auch Konsumenten mit enorm gestiegenen Kosten zu kämpfen. „Reines Gift für die Wirtschaft“, kommentiert Lun die Situation. Andererseits wird dadurch der bereits eingeschlagene Weg des Green Deal – also die Abkehr von den fossilen Energieträgern hin zu alternativen – forciert. „Innerhalb von ein, zwei Jahren ist das allerdings nicht machbar“, erklärt der Direktor des WIFO. Zwar werde die Entwicklung Richtung Nachhaltigkeit beschleunigt, allerdings rechne man mit einer Umstellung von mindestens zehn Jahren. Diesen Zeitrahmen sieht übrigens auch die EU vor. Bis es soweit ist, muss Europa seinen Bedarf an fossilen Energieformen anderweitig decken und versuchen, Abkommen mit Algerien, der Türkei oder auch der USA, die Flüssiggas liefern können, zu treffen. „Allerdings geht auch das nicht so schnell, wie manche sich das vielleicht wünschen würden“, so Lun. Ebenso könne man davon ausgehen, dass auch der Preis ein höherer sein wird. „Die Preise für fossile Energieformen werden sicher nicht mehr auf das Niveau von vor der Krise sinken. Aber es besteht zumindest die Hoffnung, dass sich der Preis auf ein akzeptables Niveau einpendeln wird.“