Die Frage der gerechten Strafe
Am Freitag, den 4. März, ist am Bozner Schwurgericht unter großem medialem Interesse der Prozess gegen Benno Neumair gestartet. Die Stimmung ernst und angespannt. Hinter dem Angeklagten standen vier Polizisten, neben ihm saßen seine beiden Anwälte Angelo Polo und Flavio Moccia, weiter hinter ihm die Nebenklägerin und Schwester Madé Neumair. Dem 31-jährigen Bozner wird vorgeworfen, am 4. Januar 2021 seine Eltern Laura Perselli und Peter Neumair erdrosselt zu haben. Nach wochenlanger Leugnung gestand er den Doppelmord bekanntlich. Beim Prozess geht es um die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten.
Das Gerichtsgutachten geht bei Neumair davon aus, dass psychische Störungen „den Wert einer Krankheit erlangt“ haben. Deshalb sei er beim Mord an den Vater nur teilweise zurechnungsfähig, bei jenem an der Mutter aber voll zurechnungsfähig gewesen. Wenn das achtköpfige Schwurgericht dieser Einschätzung zustimmt, steht der Verhängung einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe so gut wie nichts mehr im Weg. Kann die Verteidigung hingegen das Schwurgericht davon überzeugen, dass Neumair nicht zurechnungsfähig und damit schuldunfähig war, würde das Gerichtsverfahren einen anderen Ausgang nehmen.
In diesem Fall würde sich zudem die Frage des Rechts auf ein verkürztes Verfahren stellen. Polo und Moccia reichten dafür einen Antrag ein, der vom Schwurgericht abgelehnt wurde. Die beiden Anwälte vertreten Benno Neumair als Vertrauensverteidiger, das heißt er persönlich muss sie nicht bezahlen – und die Namen der Anwälte sind in den Schlagzeilen.
Verschiedene Gutachten zum Fall
Neben den Gutachten des Gerichts und der Verteidigung wurden auch Gutachten der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger von insgesamt elf Expert:innen aus der Psychologie, Psychiatrie und Kriminalistik erstellt. Die Nebenkläger sind neben der Schwester des Angeklagten auch die Schwester der ermordeten Mutter Carla Perselli.
Die Anwältin Elena Valenti vertretet Carla Perselli: „Sie ist nur aus einer Motivation hier, nämlich um die Wahrheit herauszufinden, die jedenfalls schmerzhaft wird. Sie hat ihren Neffen Benno und ihre Nichte Madè aufwachsen sehen.“
Wie Madé Neumair im Gespräch mit Medien sagte, ist es für sie schwer „meine Gefühle bei diesem Prozess in Worte zu fassen“. Von ihrem Bruder habe sie seit der Beschlagnahmung der Wohnung ihrer Eltern im Januar letzten Jahres nichts mehr gehört.
Eine Frage der Zurechnungsfähigkeit
Alleine das Gutachten der Verteidigung sieht in Benno Neumair einen jungen Mann der während seiner Tat durch die starke Ausprägung seiner psychischen Störungen nicht oder zumindest eingeschränkt zurechnungsfähig war. Aus dieser Perspektive drängt sich die Frage auf, ob die Tat durch eine Behandlung wie etwa therapeutische Maßnahmen verhindert hätte werden können. Moccia, der Neumair vertretet, spricht zu Prozessbeginn von einer „schweren Krankheit“ und verweist auf das Gutachten der Verteidigung.
Die Gutachten der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger appellieren hingegen an die Eigenverantwortung des Täters. Die festgestellte Persönlichkeitsstörung sei eher „ein Lebensstil“ und „keine Krankheit“. Die Gutachterin der Nebenkläger Anna Palleschi schätzt Neumair als Narzissten ein. Mit Bezug auf die Fachliteratur führt Palleschi aus, dass Narzist:innen auch töten, weil „sie den Mord als etwas Richtiges betrachten“, um letzten Endes „das eigene Selbstwertgefühl zu schützen“.
Wegweisende Entscheidung für ähnliche Fälle
Im Laufe des Prozesses sollen zahlreiche Zeugen sprechen, davon hat die Anklage 50 Zeugen namhaft gemacht, die Nebenkläger rufen weitere 28 Zeugen auf, die Verteidigung 20. Zu den Zeugen zählen etwa die Ex-Freundinnen Neumairs, die Zugehfrau der Familie und mit dem Fall betraute Polizeibeamte. Beim Prozess entscheiden sechs weibliche Laienrichterinnen, nur einer der drei Ersatz-Schöffen ist männlich. Die beiden Berufsrichter des Schwurgerichts sind Carlo Busato im Vorsitz und Ivan Perathoner als Beisitzer.
Der nächste Gerichtstermin ist am 18. März, wo die Zeugenanhörung beginnt. Benno Neumair befindet sich zurzeit im Gefängnis von Bozen und erhält monatlich geistlichen Besuch: Der Priester Guido Todeschini stand bereits dem Doppelmörder Pietro Maso bei, der 1991 mit zwei Komplizen seine Eltern ermordet hatte.
in Österreich müssen "geistig
in Österreich müssen "geistig abnorme Rechtsbrecher" z.B. auf Grund einer psychischen Störung bzw. Erkrankung und (tlw.) Unzurechnungsfähigkeit ihre Strafe in speziellen Haftanstalten in voller Länge absitzen und können sogar darüber hinaus in Haft bleiben, wenn ihre "Gemeingefährlichkeit" weiter besteht (was menschenrechtlich durchaus umstritten ist). Wie sieht da in Italien aus?
In reply to in Österreich müssen "geistig by Michael Bockhorni
Ich kann dir inzwischen mal
Ich kann dir inzwischen mal eine erste vage Antwort geben. Ich hoffe, dass sie dann durch Kenner ergänzt oder korrigiert wird.
Erst letzthin gab es eine Meldung in den Südtiroler Medien, dass ein Muttermörder, der auch in diese Kategorie von "geistig abnorme Rechtsbrecher" fällt, nach wenigen Jahren Verwahrung bald schon wieder Freigang bzw. prov. Freiheit erhalten könnte (wird?), da sich sein psych. Zustand wesentlich verbessert habe. Er ist/war in der geschlossenen forensischen "Psychiatrie-Anstalt" von Pergine im Trentino, der ehemaligen "Irrenanstalt", zur Pflege und Therapie untergebracht. Anscheinend habe sich dessen Zustand unerwartet gut entwickelt, dass er nicht mehr als allgemein-gefährlich eingestuft wird.
Ich glaube, dass bei uns die forensischen Psychiatrie ein offeneres Konzept verfolgt als in Österreich, wo mehr Gewicht auf Verwahrung und Wegsperren gelegt wird.