Society | Interview

„Mediensucht stark angestiegen“

Sven Lienert, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, erklärt die Vor- und Nachteile von Medienkonsum bei jungen Menschen – auch während der Covid-19-Pandemie.
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Foto: Privat

Salto.bz: Herr Lienert, welche Vor- und Nachteile hat der Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen?

Sven Lienert: Wir wissen derzeit immer noch viel zu wenig zu den Langzeitauswirkungen; Deutlich ist allerdings, dass wir zwar einerseits während der Corona-Pandemie „connected“ (also verbunden, online) waren, was ja theoretisch der sozialen Isolation entgegenwirkt. Auch ist es eben ein allgegenwärtiges Kommunikations- und Organisationsmittel, über dass sich sogar das individuelle Gesundheitsverhalten beeinflussen lässt, was Selbsthilfe bei psychischen Störungen oder – besonders wichtig in der heutigen Zeit – die Integration sozialer Minderheiten ermöglicht. Andererseits sehen wir, dass die Dauer der Bildschirmzeit (also „over connected“ zu sein, zu viel online zu sein) zum Beispiel bei Kindern unter zwölf Jahren mit Verhaltensproblemen wie Aggressivität, Unaufmerksamkeit, Ängsten, Depression assoziiert ist.  

 

Deutlich ist allerdings, dass wir zwar einerseits während der Corona-Pandemie „connected“ (also verbunden, online) waren, was ja theoretisch der sozialen Isolation entgegenwirkt.

 

 

Welche problematischen Auswirkungen hat die Covid-19-Pandemie auf den Medienkonsum insbesondere auf Kinder und Jugendliche?

Hier sehen wir derzeit eine deutliche Zunahme der Konsumzeiten auf mehrere Stunden am Tag. Und leider auch eine Zunahme der „Internetabhängigkeit“, was zu mehr sozialem und geistigem Rückzug führt. Aus ganz aktuellen Studien wissen wir, dass die Mediensucht während Corona stark angestiegen ist und dass 4,1 Prozent aller 10- bis 17-Jährigen in Deutschland Computerspiele krankhaft nutzen. Und aus aktuellen Studien wissen wir auch, dass – nicht erst während Corona – das Hirn Pausenzeiten benötigt. Und diese werden durch die mediale Dauerpräsenz möglicherweise verhindert. Damit kommt es zu den oben genannten Symptomen, was zum Beispiel auch Lernerfolge verhindern könnte: Bevor im Hirn „gespeichert“ wird, findet schon wieder eine „Überschreibung“ statt. 

 

Und dieser Umgang kann natürlich nur gut gelingen, wenn alle an der Kindererziehung und -betreuung Beteiligten gut geschult an das Thema herangehen.

 

Wie kann ein gesunder Umgang mit Medien bei Kindern und Jugendlichen gefördert werden? 

Hier dürfte nur das Erlernen des frühen Umgangs helfen. Und zwar der gesamten Familie aber auch des Betreuungssystems (also Kinderbetreuung, Schule, etc.). Kürzlich ist von Prof. Perry Wilson der amerikanischen Eliteuniversität Yale ein Kommentar erschienen: „Es könnte an der Zeit sein, Kindern soziale Medien zu verbieten“. Dies führt sicherlich zu weit, zeigt aber, wie wichtig der begleitete Umgang von Beginn an ist. Und dieser Umgang kann natürlich nur gut gelingen, wenn alle an der Kindererziehung und -betreuung Beteiligten gut geschult an das Thema herangehen. Natürlich gehören hierzu aber auch Therapeut*Innen und Ärzt*Innen, ein Grund, warum wir zum Beispiel jährlich seit vielen Jahren auch in Brixen, Südtirol unsere jährliche Veranstaltung der Ärztlichen Akademie für Psychotherapie abhalten; zudem fördern wir über unsere Stiftung genau solche Projekte. Aber vielleicht diskutieren wir dies gemeinsam heute abends im Plenum? Ich freue mich auf Ihr Kommen.