„Eine Form des Vertrauens“
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„Ein ganzes Leben“, das ist jenes des fiktiven Bauern Andreas Egger, einem unehelichen Kind, das in jungen Jahren am Hof des Onkels Gewalt erfahren hat. Während der Roman ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts fast acht Jahrzehnte abdeckt, in denen die Rolle der Traumata von Egger durchscheinen, wird man auf der Bühne kaum Platz haben für ein ganzes „ganzes Leben“ haben. Wir haben den Haupt- und Solodarsteller Roman Blumenschein am frühen Dienstag-Nachmittag gesprochen, als letzte Proben vor der „szenischen Einrichtung“ am Samstag noch anstanden, um zu wissen, was für ein Leben wesentlich ist.
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SALTO: Herr Blumenschein, Sie spielen in „Ein ganzes Leben“ allein auf der Bühne einen Mann, der dabei ist, sich eine Familie und ein Leben aufzubauen und durch die Natur, das alles verliert. Wie kann man sich als Vater an diesen Verlust annähern?
Roman Blumenschein: Der Umstand, dass ein Kind erwartet wird, wird ja nur so leicht angedeutet in diesem Roman. Rein aus der Perspektive der Figur würde ich sagen, dass die Familienidee noch eine sehr abstrakte ist und keine wirkliche. Es ist nicht so, dass die Familie mit Kindern da wäre, es ist noch nichts Greifbares. Der Verlust ist auf alle Fälle sehr konkret auf die Frau bezogen, die natürlich für den Protagonisten eine Riesenbedeutung hat. Das ist auch so, weil er als Kind sehr viel Gewalt erfahren hat und sich dadurch wahnsinnig schwertut, Menschen zu vertrauen, sich zu öffnen und anzudocken. Wie ich mich da jetzt als Familienvater annähere? Ich glaube, als Schauspieler würde ich sagen, es gibt da keine direkte Verbindung, keinen direkten Mechanismus, den ich bediene, um auf irgendetwas Privates zuzugreifen. Es gibt durchaus Schauspielmethoden, die das machen. Ich würde sagen, ich als Mensch habe da einen Erfahrungsschatz, zu dem auch gehört, dass ich viele Menschen um mich habe, die ich sehr liebe und die mir wichtig sind. Ich glaube, ich greife eher unbewusst auf diesen Erfahrungsschatz zu.
Das Motiv des Rückzugs infolge des Schmerzes ist sehr zeitgemäß. Geht das für Sie mehr in Richtung Religion oder in Richtung einer Auseinandersetzung mit dem Selbst, die weltlicher ist?
Es sind viele spannende Aspekte, die Sie da ansprechen. Der Begriff Religion macht natürlich ein weites Feld auf, wo sich wieder fragen lässt, was Religion ist. Ist sie nicht auch eine Form von Vertrauen? Religion kann vieles sein, aber im besten Fall ist sie eine Form des Vertrauens ins Leben. Man sagt, in etwas Höheres, in Geborgenheit oder einfach ins Leben. Ich glaube, darum geht es viel im Stück, wie auch um diese Zurückgezogenheit nach dem Schmerzerlebnis.
Die Zurückgezogenheit fängt ja schon ganz früh an. Die fängt eigentlich an, wenn der Hauptdarsteller groß wird, das kindliche Umfeld verlässt und beginnt, sich davon abzukapseln, nachdem er den Hof verlässt, auf dem er wirklich sehr schlecht behandelt wurde. Irgendwie beginnt dort sein eigenes Leben. Da ist ein Punkt an dem er sich sagt, er könne einfach besser alleine als mit anderen. Für ihn ist das leichter, er läuft keine Gefahr, dass irgendwas passiert. Das bringt ihn in diese Zurückgezogenheit. Wenn man im Laufe dieser Geschichte, im Laufe seines Lebens - das er aus seiner Perspektive sieht - erkennt, dass er eigentlich die Voraussetzung dafür hat, asozial zu sein und keine Sozialkontakte zu knüpfen, dann merkt man, er wagt viel und ist mutig. Da ist etwa Marie oder dann später noch eine Lehrerin, denen er begegnet. Als er am Ende Bergführer wird und seine Kundschaft hat, geht er durchaus auch aus sich heraus, aus dieser Abkapselung.
Mit der Übersetzung vom Roman zum Stück hat man mit dem Theater ein Medium, als dessen Stärken die Gegenwart und das Live-Erlebnis gesehen werden. Wie bringt man ein Stück, das „Ein ganzes Leben“ heißt, in dem es um Zeitabläufe, um Dauern geht, am besten auf die Bühne?
Wie schafft man es, dass das Leben auf die Bühne kommt? Ja, das war die spannende Frage, mit der wir als Kollektiv an das Projekt rangegangen sind. Es gibt natürlich auch die Ebene des Schauspielers, der einfach in diesem Raum steht, der isst, lebt, etwas tut. Wir haben Handlungsabläufe geplant, die das Ganze auf eine Situation herunterbrechen, beziehungsweise die erkunden, wie man Verbindung zum Publikum darstellt. Es gibt die Jetzt-Situation: ein Mann, der im Keller oder im Theater steht und die Geschichte erzählt; dann gibt es natürlich Momente in der Geschichte, in die man eintaucht und die dann lebendig werden. Diese beiden Ebenen zu verknüpfen, ist natürlich eine Aufgabe, der wir uns gestellt haben.
An der Monologfassung von Seethalers Roman haben Sie gemeinsam mit Rudolf Frey, Daniel Theuring und Ayşe Gülsüm Özel auch mitgeschrieben. Wie war da die Rollenaufteilung?
Wir haben schon sehr früh angefangen, uns zusammenzuschalten und haben über Zoom-Sessions die Aufgaben verteilt, uns ausgetauscht über die Fassung, über unsere Eindrücke beim Lesen und Aspekte, die uns wichtig erschienen. Das sind Aspekte, die uns hängen geblieben sind und zu denen uns für die theatrale Umsetzung eine Idee in den Sinn kam. Anfänglich versuchten wir uns an das Original zu halten und haben versucht, jeder für sich wichtige Stellen zu markieren. Dann haben wir die Rollen aufgeteilt, zusammengefasst und geschaut, wie der Stand der Dinge war und begannen dann mit Änderungen und das Stück weiterzuentwickeln.
Im Kino gibt es den Trend, dass gerade auch Literatur-Verfilmungen öfter Überlänge haben. Im Theater gibt es das zum Teil auch, aber es scheint doch so, als ob man sich an die Längen hält, die für ein Publikum noch angenehm sind. Wieso, glauben Sie, muss man im Kino immer größer und immer länger werden und im Theater nicht?
Literatur-Filme waren immer schon länger. Ich weiß gar nicht, ob es eine richtige Länge für das Publikum gibt. Ich war schon inTheatervorstellungen, in denen man fünf Stunden sitzt und sich im Nachhinein sagt: „Das war vielleicht mühsam und anstrengend, aber im Nachhinein war es nötig oder gibt mir genau aus dem Grund etwas.“ Ich finde das schwierig, solche Maßeinheiten oder einen Plan, an irgendwas festzumachen. Ich habe das Gefühl, dass es gerade beim Film - im Fernsehen, aber auch beim Kinofilm - ganz viele Faktoren gibt, die die Zeit mitbestimmen. Im Theater hat man da noch mehr Freiheiten.
Bei uns ist es so, dass natürlich, wenn nur ein Mensch auf der Bühne steht, 90 Minuten meistens schon zu lang sind. Da haben wir noch ein paar Tage vor uns und müssen das noch ein bisschen zusammenschneiden, damit das Stück im besten Fall eine Stunde, zehn bis eine Stunde, fünfzehn Minuten dauern wird. Ein bisschen über eine Stunde ist meiner Erfahrung nach - ich habe ja schon ein bisschen Erfahrung mit so Solo-Stücken - eine gute Länge für das Publikum.
Worin liegt bei einem Solo-Stück die größte Herausforderung? Woran hapert es am meisten nach den 90 Minuten?
Die größte Herausforderung oder das größte Abenteuer und Risiko ist, dass man als Gesprächspartner das Publikum hat. Manchmal mehr, manchmal weniger aber die Verbindung zum Publikum ist natürlich noch mal eine andere als wenn man auch Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne hat, mit denen man in eine Situation einsteigt. Man ist immer verbunden mit demPublikum aber es ist trotzdem eine andere Interaktion, da ist das Publikum ein klarer Spielfaktor, ein Gestaltungsfaktor. Es beeinflusst sehr viel von dem, was auf der Bühne passiert. Das finde ich sehr spannend und aufregend, zu sehen, was da passiert.
Wie geht es Ihnen als Schauspieler auf der Bühne damit, dass Sie eben genau das, worum es im Stück auch geht, nicht haben, dass ihnen als Solodarsteller kein Rückzug erlaubt ist?
Wir suchen gerade nach diesen Möglichkeiten. Ich glaube, es gibt die Möglichkeit, sich auch vor dem Publikum zurückzuziehenund dass das für das Publikum auch sehr spannend ist, wenn sich da einer zurückzieht, der offensichtlich angeschaut wird von100 Leuten. Danach suchen wir gerade: Wo ist es möglich, sich zurückzuziehen? Wo braucht man doch wieder eine direkte Verbindung zum Publikum, da man ja eine Geschichte erzählt? Wie es mir damit geht, da müsste man noch einmal nach den ersten Vorstellungen reden. Es wird sicher spannend, wie man sich diese Abkapselung, auch trotz des Publikums - holen kann.
TermineDie Premiere von „Ein ganzes Leben“ findet an diesem Samstag, 20 Uhr, auf der Studiobühne des Stadttheaters statt. Ebenfalls derzeit bei den Vereinigten Bühnen Bozen zu sehen ist die Produktion des Jugendtheaterclubs in Zusammenarbeit mit dem Theaterpädagogischen Zentrum Brixen, „Die Nacht so groß wie wir“, mit Premiere morgen Vormittag, 10 Uhr, ebenfalls auf der Studiobühne. Eine Besprechung folgt.