Vom Borkenkäfer inspiriert
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Carlo Vidoni, ein Bildhauer aus der Provinz Udine, hat über viele Jahre hinweg seine Leidenschaft für Bildhauerei mit einem tiefen Interesse an fotografischer Forschung und Zeichnung verbunden. Durch die Verbindung dieser verschiedenen Ausdrucksformen hat er faszinierende Kunstwerke geschaffen, in denen sie als flexible und austauschbare Werkzeuge ineinander übergehen.
Ein zentraler Fokus seiner künstlerischen Forschung in den letzten 2 Jahrzehnten liegt auf der Analyse und Neuinterpretation des Verhältnisses zwischen Zivilisation und Natur. Vidoni beobachtet aufmerksam, wie diese beiden Entitäten in einem fortwährenden Dialog stehen und gelegentlich aufeinanderprallen können.
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Zeichen der Natur
In den letzten Jahren hat sich seine Beobachtung besonders auf Zeichen in der Natur verlagert, insbesondere auf die Reproduktion von Zeichnungen unter der Rinde abgestorbener Bäume. Diese Zeichen werden von einem winzigen Insekt erzeugt, das umgangssprachlich als „Buchdrucker“ oder Borkenkäfer bekannt ist und wissenschaftlich als zur Familie der Scolytidae gehörig. Der Käfer gräbt eine Höhle in den subkortikalen Teil des Baumes, um dort seine Eier abzulegen. Wenn die Larven schlüpfen, beginnen sie, kleine Höhlen im Holz zu schürfen, wodurch komplexe Muster entstehen. Vidoni fotografiert diese minimalistischen „Zeichnungen“ und reproduziert sie dann auf verschiedenen Materialien, von Rohholz bis MDF, von Eisen bis Stein und Plexiglas. Dabei versucht er, das gefundene Zeichen so originalgetreu wie möglich zu reproduzieren und metaphorisch die Arbeit des Insekts mit der des Bildhauers zu vergleichen. Natürliche Materialien werden häufig durch vom Menschen verarbeitete ersetzt, um die Kontinuität der natürlichen Prozesse zu betonen, selbst wenn sie Teil des menschlichen Produktionszyklus werden.
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Faszinierende Spuren
In einer kürzlichen Zusammenarbeit mit den Architekten Luigina Gressani, Paolo Muzzi und dem Forstwissenschaftler Giuseppe Iob bildete Vidoni mit der Gruppe Lidriis eine Großskulptur für die SMACH 2023, eine renommierte internationale Kunstbiennale in den Dolomiten unter freiem Himmel. Während dieser Zusammenarbeit wurde deutlich, dass große Teile der alpinen Landschaft von abgestorbenen Fichten geprägt sind, ein Phänomen, das mit dem massiven Borkenkäferbefall in Verbindung gebracht wird.
Die Verbindung zwischen Vidonis Kunst, seinem künstlerischen Schaffen und einem Ort, an dem die die Arbeit kleiner Insekten die Landschaft verändert, wirkt organisch. Von der Faszination für kleine, faszinierende Spuren führt der Weg zu einem ökologischen Maßstab. Vidonis Neugier geht über den ästhetischen Akt hinaus und öffnet die Tür zu einem interdisziplinären Projekt, das Biologen, Landschaftshistoriker, Anthropologen und Forst- sowie Alpinarbeiter miteinbezieht.
Diese radikale Veränderung setzt Vidonis Kunst in ein gegenwärtiges Projekt um, das die Menschen einlädt, sich an der Vermittlung von Inhalten von kollektivem Interesse zu beteiligen. Der Künstler öffnet sich so einer breiteren Perspektive und schafft eine Plattform für interdisziplinäre Zusammenarbeit, die über die Kunst hinausgeht.
Peter Righi, AVS-Referent für Kultur (erschienen im Bergeerleben, März 2024)
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Carlo Vidoni
Carlo Vidoni, Jahrgang 1968, lebt in Tarcento (UD), hat sich auf Grafik und Fotografie spezialisiert. Nach dem Besuch der Kunstschule absolvierte er ein Studium der zeitgenössischen Kunstgeschichte. Seine ausdrucksstarke Kunst beobachtet die Natur und von Menschenhand geschaffene Objekte, indem er sie quasi „anhört". Als scharfer Beobachter des sozialen und kulturellen Kontextes seiner Zeit erfasst er die ständige Interaktion zwischen Zivilisation und Natur, sei es in Momenten der Koexistenz oder des Zusammenstoßes, und prangert sie an. Seine künstlerische Forschung erstreckt sich über verschiedene Ausdrucksformen, von bildhauerischen und installativen Experimenten bis zu Fotografie und Zeichnung.