Der Menschenfreund
Eigentlich wollte Franz Moroder aus St. Ulrich Chirurg werden. Aber in den 1940er-Jahren traten Söhne noch in die Fußstapfen der Väter und so wurde der heute 86-Jährige ein Bildhauer. Ende der 1960er-Jahre ging der junge Mann mit seiner Frau Gerdi und den beiden kleinen Töchtern nach Kanada, um einen Auftrag für Verzierungsarbeiten an 700 Bänken auszuführen. Ein Touristenpater war in Gröden auf seine Arbeiten aufmerksam geworden. Von Heimweh geplagt, kehrten seine Frau und die beiden Kinder 1970 zurück. Franz Moroder lehnte einen Folgeauftrag der Regierung in Ottawa ab und kam 1971 wieder heim. Seine Liebe zur französischen Sprache ist geblieben: Er betet bis heute auf französisch, schaut kanadisches Fernsehen, liest kanadische Online-Zeitungen und Bücher.
Als Anfang 2016 asylsuchende Männer aus ehemaligen französischen Kolonialgebieten ins Flüchtlingshaus „Casa Sole“ in St. Ulrich einzogen, bat ihn ein Gemeinderat, die Flüchtlinge, die nur der französischen Sprache mächtig waren, in ihr neues Leben zu begleiten und ihre Lebensgeschichten aufzuschreiben. Er tat das gerne. Englisch spreche er nicht so gut wie französisch, sagt der Mann, der an Knochen und Gelenken schon vielfach operiert wurde, aber trotzdem wöchentlich mit Freunden Wanderungen macht. Dabei wird philosophiert und politisiert: „Je älter man wird, umso weniger muss man sich ein Blatt vor den Mund nehmen“, sagt er und schmunzelt.
Wächter über die Wertstoffe
Seit acht Jahren wacht Franz Moroder im Weltladen Gröden über Karton, Plastik, Pellets und Papier. Endlich, sagt er, brauche er nur mehr arbeiten, wann er wolle. Er tut es oft: Jeden Freitag oder Samstag holt er mit seinem Auto den angefallenen Müll in der „Butëiga dl Mond“ in der Snetonstraße gegenüber dem Rathaus ab, sortiert ihn und bringt die Wertstoffe zum Recyclinghof. Seine Frau Gerdi hat ihn dazu animiert. Sie arbeitet seit der Gründung des Weltladens im Jahr 2007 jede Woche einen halben Tag lang als Verkäuferin mit, hat früher selbst ein Geschäft im Grödner Hauptort betrieben. Franz Moroder freut sich, sie als „Kartonmann“ unterstützen zu können.
Eine besondere Zuneigung hat er zur deutschen Kurrentschrift entwickelt. Im Archiv seines Vaters entdeckte er Dokumente seiner Vorfahren aus der beginnenden Neuzeit und alte Zeugnisse seines Großvaters. Mit viel Mühe entzifferte er die Unterlagen aus den vergangenen Jahrhunderten und lernte dafür auch die 100 Jahre alte Reformschrift von Ludwig Sütterlin lesen. Seit einigen Jahren hilft er beim Entziffern historischer Schriftstücke, die im Dachboden der Pfarre von St. Ulrich mit besonderer Sorgfalt aufbewahrt werden und überträgt sie in die heutige lateinische Schrift. Er staunt über rigide Eheverträge vor 150 Jahren und amüsiert sich über alte Beichtprotokolle.
Franz Moroder liebt das Neue, hat in seinem Arbeitsleben an 18 Bildhauerstätten gearbeitet; in St. Ulrich nach der Rückkehr aus Kanada mit anderen Bildhauern, Malern, Tischlern und Maurern eine Genossenschaft gegründet und eine gemeinsame Werkstatt eröffnet. Am liebsten schnitzte er Porträts, hat unter anderem die Köpfe seiner Kinder und Enkel in Lebensgröße in Holz gebannt. Gesichter interessieren ihn und vor allem die Geschichten dahinter. Daher schenkt das Ehepaar Moroder dem Grödner Weltladen nicht nur seine Zeit, sondern ist auch selbst gute Kundschaft. Zu wissen, dass die Produzenten fair bezahlt und die Lebensmittel fast durchwegs biologisch produziert wurden, erleichtert Franz Moroder. Das qualitativ hochwertige Olivenöl von mafiabefreiten sizilianischen Olivenhainen mag er besonders gern.
Auf dem Weg vom Weltladen zum Café trifft er einen früheren Bewohner aus dem Flüchtlingshaus „Casa Sole“, der inzwischen in einer kleinen Wohnung in St. Ulrich lebt: „Lavori?“, fragt er ihn. „Si“, antwortet dieser. „Dann ist es gut“, sagt er und winkt. Er werde den jungen Mann wieder mal zum Essen einladen, sagt Franz Moroder, den Termin wolle er mit seiner Frau abstimmen.
(Maria Lobis)