Culture | Salto Afternoon

Der anonyme Fotograf

Das Fotoforum in Bozen zeigt viele Fotos und viele Menschen unter dem Schlagwort "Gehfotografie". Wer zur Finissage am Samstag hingeht, erlebt auch eine Buchpräsentation.
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Foto: Salto.bz

„Das sind die nicht abgeholten Streifen“, erklärt Kurator Nicolò Degiorgis zu den vielen Archivfotos die noch bis einschließlich Samstag (6. Mai) in der Bozner Galerie Fotoforum gezeigt werden. Die von ihm gemeinsam mit der Sammlerin Mila Palm kuratierte Ausstellung Der Grazer Gehfotograf widmet sich einem fotografischen Phänomen der Zwischenkriegszeit. Sogenannte Gehfotografen waren zwischen 1927 und 1935 auf den Straßen der Großstädte oder in touristischen Orten unterwegs und knipsten Leute auf der Straße. Im Anschluss drückten die Fotografen ihren Protagonisten oder Protagonistinnen ein Kärtchen in die Hand, wo diese die gemachte Fotoreihe nachsehen und im besten Fall das ausgewählte Foto bezahlen und abholen konnten. Palm und Degiorgis entwickelten rund um die Bilder des anonymen Gehfotografen nicht nur eine Ausstellung, sondern auch ein Buch, das zur Finissage am Samstag (ab 11 Uhr) der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
 


Urheber der Fotos ist ein „anonymer Fotograf“ der von seinem Stativ aus, die Motive einfing. Dass die Reaktionen der Menschen beim Anblick der Kamera nicht immer positiv waren, ist ebenso zu sehen, wie auch überraschte, lächelnde, misstrauische oder irritierte Gesichter. Nur ein kleiner Teil der Abgebildeten nutzte die Chance, „das Bild mitzugestalten und zu posieren.“
Außerdem geben die Fotos einen guten Einblick in das Stadtleben von Graz der 1920er und 1930er Jahre, bieten sie doch „einen einmaligen Querschnitt der Grazer Gesellschaft“, nachdem auch Personen erfasst wurden, die sich  „Fotografien nicht leisten konnten.“ 
 


In Zeiten wo die feige und versteckte Videoüberwachung auf den Straßen zum Alltag geworden ist, würde man sich gerne freundliche Straßenfotograf*innen herbeisehnen. Die gezeigten Bilder werfen nachdenklich stimmende Fragen über die Privatsphäre von heute und damals auf. Die Fotos erinnern in gewisser Weise auch an die 2005 in Innsbruck gezeigten Fotoausstellung Pierre Bourdieu, In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung. Der bekannte französische Soziologe hatte in jungen Jahren aus dem Handgelenk heraus Leute auf den Straßen Algeriens fotografiert. Seine Bilder sind in ihrer Gesamtheit ein wichtiges Zeitdokument der Gegend und der Menschen. Ähnlich auch die Fotos des anonymen Fotografen in Graz. Auch wenn diese vom Stativ kommen, dokumentieren sie „auf subtile und kaleidoskopische Weise, wie der Bürgersteig zum Laufsteg wurde.“
Und vielleicht erkennt jemand auf den vielen, vielen Fotos sogar den damals kleinen und später großen und berühmten Architekten Raimund Abraham, dessen Eltern aus dem Südtiroler Weindorf Girlan kommend bereits in den frühen 1920er Jahren nach Graz ausgewandert waren. Gut möglich. Mit einer derartigen Vorgabe wird die Ausstellung im Fotoforum zu einem riesigen, beinahe unendlichen Suchbild.
 


Die Ausstellung Der Grazer Gehfotograf im Fotoforum in Bozen ist noch bis 6. Mai (Finissage mit Buchpräsentation ab 11 Uhr) zu sehen.