Gibt es böse Menschen?
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Jeder tut, so gut er oder sie kann. Und das, wovon er oder sie glaubt, dass es richtig sei. Holz zu hacken, beispielsweise, stundenlang durch den schneebedeckten Wald spazieren, Rehe beobachten, an einer Quelle glasklares Wasser in Kanister füllen, den Weg zurückschleppen, rauchen, die Tochter vergessen, kochen und gemeinsam essen, die Ruhe eines dörflichen Idylls genießen. So geht es den Figuren aus Evil does not exist von Ryūsuke Hamaguchi. Jedenfalls jenen, die in einer kleinen Ortschaft außerhalb von Tokio leben und dort ein beschauliches Leben führen. Zu Beginn erzählt Hamaguchi diesen Alltag aus der Perspektive des alleinerziehenden Vaters Takumi und dessen kleiner Tochter Hana. Er ist der arbeitende Mann, der sich um alles ein bisschen kümmert, dabei auch mal innehält und nachdenklich rauchend in die schöne Natur starrt. Sie besucht die Schule und geht, sobald der Unterricht endet, allein durch den Wald nach Hause. Letzteres vor allem, da ihr Vater auf sie vergisst, weil er wieder mit seiner Arbeit beschäftigt war. Hamaguchi zeigt uns das im ersten Drittel seines Films in großer Langsamkeit. In seinen Filmen ticken die Uhren anders. Augenblicke dürfen atmen, manchmal, bis es schmerzhaft real wird.
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Einmal raus in die Natur
Es hätte alles so weitergehen können. Irgendwann entschließt sich Hamaguchi dann aber doch dazu, äußere Umstände in das Leben der Dorfbewohner eingreifen zu lassen. Ein Unternehmen aus Tokio schickt zwei Vertreter, die der Gemeinde ein geplantes Projekt schmackhaft machen sollen: Ein Glamping-Areal, was nichts anderes heißt als schickes Campen, das teils auf dem Gelände des Dorfs gebaut werden soll. Damit sich gestresste Menschen aus Tokio am Wochenende in die Natur zurückziehen können. Einmal frei sein, einmal Mensch sein. Was lustig klingt, hat für Takumi und die anderen Dorfbewohner ernste Folgen. Nicht nur scheint niemand so recht Lust auf temporären Zuwachs von außen zu haben, schlimmer noch, es würde das Abwasser der Anlage in den Fluss der Ortschaft geleitet werden. Das Dorf selbst, aber auch alle tiefer liegenden Orte würden verschmutztes Wasser erhalten. Das wollen die Bewohner verhindern. Mit lieben Worten geht das nicht, gute Argumente wollen ausgesprochen werden, und verlangt wird nach dem CEO des Unternehmens. Der wagt sich nämlich nicht in das dörfliche Idyll, das bald schon von großen Sorgen gestört wird.
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Das Gewissen ruft
Jeder tut, so gut er oder sie kann. Wie eingangs erwähnt, glauben zunächst alle Figuren, das Richtige zu tun. Erst nach und nach kann ein Umdenken stattfinden. Aber ist es dann nicht schon zu spät? Auf subtile Weise erzählt Hamaguchi in weniger als zwei Stunden eine Geschichte, die unter die Haut geht. Langsame Einstellungen voller poetischer Kraft werden von einer Filmmusik untermalt, die von Anfang an gegen das Idyll arbeitet. Die Klänge haben eine Dringlichkeit, zerren an den Nerven, sind schwer und tragisch. Als wüssten sie bereits, was noch kommt. Der strenge Naturalismus von Hamaguchi wird dadurch etwas aufgebrochen. Und am Ende öffnet der Regisseur die Erzählung sogar für Interpretation. Sein neuer Film ist kleiner und bescheidener als das dreistündige Epos Drive my Car von 2021. Aber er ist nichtsdestotrotz extrem dringlich. Die Geschichte von Takumi, der sein Ein und Alles in Gefahr sieht, kann als Parabel auf unsere gesamte Welt gesehen werden. Sie wird durch wirtschaftliche Interessen zerstört, und findet kein Umdenken in den Köpfen der Verantwortlichen statt, ist sie nicht zu retten. Egal ob man das dann skrupellos, gutgläubig, dumm, blind oder schlicht böse nennt.
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(c) Hamaguchi