Das gefährliche Leben türkischer Journalisten
Dem Chefredakteur war eine mit Fotos und Videos belegte Exklusivreportage zum Verhängnis geworden, die von türkischen Waffenlieferungen an syrische Anti-Assad-Rebellen berichtete. Weil hohe Geheimdienstleute diese Waffentransporte begleiteten, könnte die Affäre weitreichende internationale Folgen haben. Immerhin handelt es sich bei Syrien um ein Nachbarland der Türkei, dessen höchste Regierungsstellen den Sturz Assads offensichtlich mit Waffen unterstützen.
Früher, als Assad noch ein Diktator von NATOs Gnaden war, verbrachte er mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten den Sommerurlaub. Dann : die plötzliche Abkehr Erdogans von seinem langjährigen Freund. Jetzt herrscht offener Hass. Dass der aber soweit geht, syrische Rebellen mit Geld und Waffen auszustatten, um Assad zu stürzen, hatte bisher niemand beweisen können. Deshalb ist die Cumhuriyet-Story so gefährlich für den türkischen Staatschef, der seine Macht so bald als möglich durch eine Verfassungsreform weiter festigen möchte.
Dem Chefredakteur wird Hochverrat vorgeworfen, weil er Geheimdienst-Operationen veröffentlicht habe. Und auf Hochverrat steht lebenslang, so die Logik des Staatsanwaltes, der sich mit dem Fall beschäftigt. Am Tag nach dieser abstrusen Anklage veröffentlichte Cumhuriyet auf der Titelseite die Fotos aller Journalisten und Mitarbeiter, die sich aus Solidarität mit dem Chefredakteur alle selbst anzeigten.
Den Rachefeldzug gegen den freien Journalismus in der Türkei will Erdogan fortsetzen. Massenfestnahmen stünden bevor, nicht nur von Journalisten, sondern auch von unabhängigen Staatsanwälten , Richtern und Gerichtsmedizinern , schreibt das Pseudonym Fuat Avni auf Twitter.
Ministerpräsident Davutoglu, der ebenfalls der Erdogan Partei AKP angehört, fürchtet Stimmenverluste bei den Parlamentswahlen am Sonntag, sollten diese Festnahmen tatsächlich stattfinden. Deshalb sei er verzweifelt damit beschäftigt, Erdogan diese Massenfestnahmen auszureden, heisst es in türkischen Medien.
Dass es mit dem freien Journalismus in der Türkei schlecht bestellt ist, zeigt die jährliche Statistik der Organisation "Reporters sans frontiers" über die Pressefreiheit in der Welt. Die Türkei steht immer ganz oben, wenn es um inhaftierte und verfolgte Medienleute geht. Insofern ist die jüngste Hetze gegen kritische Journalisten nichts Neues.
Zu Jahresbeginn wurde die gesamte Führungsspitze der Zeitung Zaman ins Gefängnis geworfen. Ihr wurde vorgeworfen , der verlängerte Arm des exilierten Erdogan-Gegners Fethullah Gülen zu sein. Wie viele seiner Vorgänger wird auch Erdogan von Panik befallen, wenn Kritik an ihm laut wird. Wenn diese Kritik dann auch Korruptionsvorwürfe beinhaltet, sieht der Staatspräsident rot. Baris Ince, Chefredakteur der oppositionellen Tageszeitung BirGun wartet noch immer im Gefängnis auf seinen Prozess, nachdem er 2013 eine Artikelserie über die türkische " Tangentopoli" berichtete, in die auch Erdogans Familie verwickelt war.
Auf diesem Hintergrund sind die selbstzerstörerischen Aussagen der von mir sonst geschätzten FF-Chefredakteurin Alexandra Aschbacher unverständlich. Wie kann man relativ harmlose und gerechtfertigte Reportagen über die einseitige und unseriöse Wahlberichterstattung der "Tageszeitung" als hysterisch, aufgebauscht und giftig kritisieren? Wie kann man als Journalistin selbst gegen die Pressefreiheit derart zu Felde ziehen ? Ist das nun vorauseilender Gehorsam oder die vielzitierte Schere im Kopf, die dazu führen, einen Kollegen zu massregeln, der den unguten "Mainstream" in Südtirols Medienlandschaft beschreibt ? Müssen wir nicht versuchen, die - noch - existierende Pressefreiheit zu nutzen , anstatt sie in masochistischer Manier selbst zu beschneiden? Die Türkei zeigt mir jedenfalls täglich, welch hohes Gut die Pressefreiheit ist.