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Depp (!)

Rund die Hälfte der Verfahren, in denen es um Gewalt an Frauen geht, wird archiviert. Ein Armutszeugnis unserer patriarchalischen Gesellschaft.
Depp, Heard
Foto: Polygon
Eines habe ich in der Kontaktstelle gegen Gewalt an Frauen gleich gelernt: Eine Anzeige im Falle häuslicher Gewalt bedeutet noch lange nicht die Lösung der Gewaltsituation. Vor allem bringt so eine Anzeige der betroffenen Frau bei weitem keinen Vorteil, sondern leitet vielmehr einen langen Prozess ein, bei dem ihr Leben auf der Suche nach potentiellem Fehlverhalten bis ins kleinste Detail durchleuchtet wird. Was soviel heißt, dass Gewalt an Frauen die einzige Straftat ist, bei der das Opfer mehr als der Täter durchleuchtet wird. Vielleicht ist das mit ein Grund, weshalb geschätzt die Hälfte der Verfahren archiviert werden. Klar wäre es für Statistiken und Gesellschaft wichtig, wenn tatsächlich alle Fälle häuslicher Gewalt zur Anzeige und dann vor Gericht kämen. Genauso, wie es für die Täter ein klares Zeichen wäre, wenn diese Fälle dann auch tatsächlich zu einem rechtskräftigen und nachvollziehbaren Schuldspruch führen würden.
 
Gewalt an Frauen ist die einzige Straftat ist, bei der das Opfer mehr als der Täter durchleuchtet wird.
 
Die Realität sieht aber anders aus. So wurde in Bozen beispielsweise erst kürzlich ein Mann zu nur drei Jahren verurteilt, der seine Frau nachweislich missbraucht und gefoltert hat. Es bestehen gute Chancen, dass er diese drei Jahre fern jedes Gefängnisses mit Bewährungshilfe verbringt. Im Vergleich dazu erinnere ich an den Schuldspruch jener Manifestanten, die 2016 am Brenner gegen die Grenzen protestiert haben und deshalb zu sechs Jahren Haft (!) verurteilt wurden. Bei diesem Anlass wurde niemand missbraucht, verletzt oder gefoltert. Ein weiteres Beispiel ist der Fall jener Frau, die 2019 in Bozen auf offener Straße und vor ihrem Kind von ihrem Ex-Mann niedergestochen wurde. Seitdem lebt die Frau in prekären Verhältnissen an einem geschützten Ort außerhalb unserer Provinz, während der Täter bis vor einer Woche (also drei Jahre nach der Tat) frei seinem gewohnten Leben nachgehen konnte.
Diese Beispiele allein reichen, um die Entscheidungen und noch mehr die Praxis der Justiz schwer nachvollziehbar zu machen. Stellen wir uns vor, die Täter würden dann auch noch im Nachhinein einen Prozess wegen Diffamierung gegen ihre Ex-Frauen anstreben. Und den auch noch gewinnen. Klingt das nicht absurd?
 
Stellen wir uns vor, die Täter würden dann auch noch im Nachhinein einen Prozess wegen Diffamierung gegen ihre Ex-Frauen anstreben.
 
Aber genauso war es im Grunde im vieldiskutierten Prozess von Johnny Depp gegen Amber Heard. Nachdem 2020 ein englisches Gericht Depp zwölf Fälle des Missbrauchs und der häuslichen Gewalt nachgewiesen hat, versuchte dieser erst erfolglos ein Verfahren wegen Diffamierung im Vereinigten Königreich und schaffte es dann, in den USA, damit durchzukommen und den entsprechenden Prozess auch noch zu gewinnen. Die Gewalt an Heard durch Depp wurde zwar eindeutig bestätigt, zu den traumatischen Erlebnissen äußern darf sie sich aber nicht. Ein weitreichendes Ereignis. Zum einen wird Frauen in Gewaltsituationen (und nicht nur dort) bestätigt, was sie eh schon vermuten: Keiner glaubt dir, bestenfalls wirst du als manipulative Lügnerin bezeichnet, und der Täter sitzt eh immer am längeren Hebel. Schlussendlich zieht Frau in diesem System immer den Kürzeren.*
 
Schlussendlich zieht Frau in diesem System immer den Kürzeren.
 
Außerdem hat dieser Schuldspruch in den USA, also dort wo #MeToo richtig losgetreten wurde und dort wo das Recht auf Abtreibung auf der Kippe steht, eine enorme Tragweite und steht für das allgemeine Bemühen, Frauen an ihren (unterlegenen) Platz zu verweisen, ihnen den Mund zu verbieten, jegliches kritische Aufbegehren im Keim zu ersticken. Dass Diffamierungsklagen nicht nur in den USA erfolgreich eingesetzt werden, um Frauen zum Schweigen zu bringen, kann ich aus erster Hand bestätigen. Ganz nach dem Motto „ne zittiamo una, per colpirle tutte”.
 
Ein weiteres unsagbar trauriges Armutszeugnis dieser patriarchalen Gesellschaft.