Culture | Salto Afternoon
Klänge aus dem Keller
Foto: Rotierendes Theater
Eigentlich wäre das Stück - beziehungsweise der ihm zu Grunde liegende Roman von ’92 - und das halbfiktive Dorf Eschberg in Vorarlberg angesiedelt, ein sich im 19. Jahrhundert vom Rest der Welt abschottendes Dorf lässt sich aber auch sehr gut in einem abgeschiedenen Südtiroler Seitental vorstellen. Bis auf eine Hexenverbrennung in Vorarlberg, an die sich der Dorfpfarrer sehnsuchtsvoll erinnert verweist wenig direkt auf diese nahe ferne Außenwelt und der Klerus kam ja auch im Laufe der Geschichte bereits von andernorts.
So kann und darf man das Stück gern als eine Parabel mit Aussagekraft über den nicht-österreichischen Alpenraum verstehen, von der Ausgrenzung des andersartigen Protagonisten, die überspitzt engen Verwandtschaftsverhältnisse, welche mit nur zwei Familiennamen für Verwirrung sorgen können und die seltsam eigenbrötlerische, mystisch ausgeschmückte Sicht auf Gott und die Welt.
Während das Stück als szenische Lesung beginnt, mit Taschenbuchausgabe von Schneiders Roman in der Hand, schnappt sich diese rasch David Thaler, der hinter dem Publikumsraum seine Erzählstimme in den kleinen Kapuziner-Keller schickt. Die große Stimme bringt das rechte Maß an Strenge und Autorität für die trostlose Handlung und das Setting mit.
Letzteres wird auf einer spartanisch eingerichteten Bühne angedeutet. Magda Giraldoni (Ausstattung) hat aus ungefärbtem Karton ein verstellbares Bühnenbild gefertigt, welches von der Sprache des Stückes nicht ablenkt, gleich den schlichten Kostümen: Die schwarzen Umhänge mit Kapuze erinnern gleich zu Beginn des Stückes wieder an die Bronzestatue des Haspinger, welche direkt vor der Tür steht.
Zwei Schauspielerinnen und ein männlicher Kollege teilen sich die Rollen des Stückes auf, rotieren ab und zu, die beiden Hauptrollen übernehmen Annalena Lanthaler (Johannes Elias Alder, genannt Elias) und Theresa Prey (als dessen Cousine Elsbeth), Serafin Schaller schlüpft am häufigsten in jene des Freunds und Cousins Peter, Elsbeths Schwester. Aber auch Scheller scheut sich nicht, eine Geschlechtergrenze zu überschreiten und spielt oft kleinere weibliche Rollen. Diese sehr freie Zuteilung von (Geschlechter-)Rollen schafft einen reizvollen Kontrast zu den strikten, festgefahrenen Vorgaben einer Dorfgemeinschaft des frühen 19. Jahrhunderts.
Die Geschichte vom Sonderling Elias, der nach einer Eingebung im Alter von fünf Jahren beginnt, fast Unhörbares zu hören und dessen Augen sich gelb verfärben ist eigentlich sehr schwer mit anzusehen, im schlanken Stückformat, das rasch voranschreitet hat sie allerdings etwas Soghaftes. Die tragische Liebe zur fünf Jahre jüngeren Elsbeth - wir erinnern daran, in Eschberg ist jede mit jedem verwandt - wird intensiv und ohne ausformuliertes Problembewusstsein ausgespielt. Die Regie (Martine Mairhofer; Dramaturgie: Emma Mulser) trifft dabei die kluge Entscheidung nicht alles auszuspielen - Gewalt etwa wird symbolisch repräsentiert - und das Stück, besonders im dritten Drittel zu straffen. Übrig bleiben eine schonungslose Milieustudie und eine tragische Liebesgeschichte. Letzteres greift dem Stück nicht wirklich vorweg da es mit den Worten „Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.“, am Ende der Chronologie und Hoffnung ansetzt.
Auch die „Musik“ (mit vier Mitwirkenden am Sounddesign: Marcin Beck, Martine Mairhofer, Simon Schneider und Serafin Schaller; Ton: Sound Revolt Studio) ist als spärlich aber wirkungsvoll eingesetztes Stilmittel nennenswert: Die Sphärenmusik welche Elias im Buch hört und die Stücke, die er selbst schreibt, haben in der Romanvorlage den Vorteil, dass sie ganz und gar der Fantasie des Lesers überlassen bleiben, das Stück hat diesen Luxus nicht. Man entschied sich für weißes Rauschen und Noise, welche die Fantasie anregen, die mit den Klängen einhergehende parareligiöse Entrückung der Figuren wird in Tanz und Gesten traumhaft dargestellt. Dieses Wummern der soundhafen Musikandeutung war es auch, das zur Eröffnungsrede von Elisabeth Freis „Wachstum und Gewachsenes“ eine Etage darüber aus den Kellerfenstern drang.
Dem Rotierenden Theater ist mit sehr kleinen, nachzusehenden Textunsicherheiten und einer Minipanne am Bühnenbild ein spannender Fiebertraum gelungen, der Geschlechterrollen nebenbei aufhebt, aufrichtig aber nicht mit Pathos überladen gespielt wurde und das Publikum im Kapuzinerkeller überzeugen konnte.
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