Society | Trennungen

Nicolussi-Leck: "Die Eltern müssen sich stabilisieren"

Jede vierte Ehe in Südtirol wird geschieden, jede dritte Ehe getrennt. Mittlerweile leben 25.000 Kinder hierzulande in Trennungssituationen. Im Gespräch die Kinder und Jugendanwältin Vera Nicolussi-Leck.

Was brauchen Kinder in Trennungssitutationen?

Vera Nicolussi-Leck: Allgemein ist es ganz schwierig das zu sagen. Jede Familie ist anders und hat individuelle Bedürfnisse. Das Wichtigste ist, dass Eltern, auch wenn es schmerzvoll ist, lernen mit ihrem Schmerz um zu gehen. Sie müssen für ihre Kinder wieder stabile Eltern werden.

In wie weit darf für die Gefühle der Eltern Platz sein?

Die Eltern sollen ihre Trauer zeigen, aber sie sollen präsent sein für die Kinder.  Die Kinder spüren genau ob die Eltern wirklich anwesend, oder nur mit ihren eigenen Geschichten beschäftigt sind.

Stehlen sich viele Eltern aus der Verantwortung?

Es gibt Beispiele wo es sehr gut funktioniert, aber es gibt eben sehr oft Fälle wo vordergründig eine einvernehmliche Trennung da ist und die Streitigkeiten im Hintergrund toben. Den Eltern muss bewusst sein: Sie bleiben Mama und Papa und sie haben auch eine Verantwortung für den Partner. Trotz Trennung. Dass sie nicht mehr miteinander reden müssen, das ist eine Illusion. Es bleibt eine lebenslängliche Verantwortung.

Und wie sollte diese Verantwortung ausschauen?

Es geht um eine emotionale Verantwortung, die Eltern müssen den Kindern als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Aber es geht auch um eine finanzielle Verantwortung. Die Frage, die sich Mutter und Vater bei einer Trennung stellen müssen ist: Wie kommen wir in Zukunft finanziell über die Runden? Und das gemeinsam. Es betrifft immer beide. Aus einem Haushalt werden zwei, das ist eine finanziell sehr belastende Situation.

Die Frage, die sich Mutter und Vater bei einer Trennung stellen müssen ist: Wie kommen wir in Zukunft finanziell über die Runden? Und das gemeinsam. Es betrifft immer beide.

Was ist das Wichtigste für die Kinder?

Kinder wollen einfach ganz normale Kinder sein. Sie wollen nicht abgestempelt werden als Trennungskinder. Und ja, insgeheim wünschen sie sich eine intakte Familie. Was ich immer wieder beobachte: geht es den Eltern wieder gut, kommen die wieder auf die Beine, geht es auch den Kindern gut.

Spezielle Situationen gibt es immer. Beispiel Spielsucht. Verantwortung übernimmt da nur mehr ein Elternteil.

Wenn Sucht oder Gewalt ins Spiel kommt, dann wird alles noch schwieriger. Das typische Muster einer Sucht ist ja, der Verantwortung aus zu stellen. Was soll man mit einem Spielsüchtigen tun, er seine Sucht nicht einsieht. Da kann eine Frau nicht viel machen. Das ist sehr schwierig, für die Partnerin und für die Kinder.

Papa bleibt Papa, das ist ihre Devise.

Natürlich. Auch ein Süchtiger bleibt Vater. Nur weil er spielsüchtig ist, heißt es ja nicht, dass er in den Augen der Kinder nicht doch ein toller Papa sein kann. Wenn der Aufgabe gewachsen ist.

Wenn ich als Familie faktisch zusammen leben, dann sollten die Eltern auch dazu stehen. Das hat einen anderen emotionalen Wert, als den, den ich den Kindern vermittle, wenn ich sage, ich bin allein erziehend und bin es aber gar nicht.

Falsche Alleinerziehende contra falsche Familien. Was sagen Sie zu der Tatsache, Menschen, die in einer Beziehung leben sich nicht zu dieser bekennen um finanzielle Vorteile aus zu schöpfen?

Wenn ich als Familie faktisch zusammen leben, dann sollten die Eltern auch dazu stehen. Das hat einen anderen emotionalen Wert, als den, den ich den Kindern vermittle, wenn ich sage, ich bin allein erziehend und bin es aber gar nicht. Oft denke ich, die Frauen wissen nicht, was es heißt zusammen zu leben und sich trotzdem als allein stehend aus zu geben. Sie ist nicht erbberechtigt, bekommt keine Hinterbliebenenrente.

Frau Ida Lanbacher sprach von 20.000 Kindern, die in solchen de facto Familien leben. Kennen Sie diese Zahl?

Nein, die Zahl kenne ich nicht. Was mir wesentlich hier zu sagen ist: es geht um Verantwortung, die Eltern übernehmen müssen. Auch für die Form, wie sie zusammen leben. Wir müssen wieder zurück zu gewissen Werten. Für die Gesellschaft, für die Kinder und auch für die Wirtschaft. Wenn ich Steuern hinterziehe, dann nehm ich meine Verantwortung ja auch nicht wahr. Natürlich kann man sich fragen, warum lässt das System es zu, dass Schlupflöcher gefunden werden. Aber dann muss sich jedeR Einzelne fragen: Übernehme ich Verantwortung? Denn von den Kindern und Jugendlichen fordern wir das ja auch ein. Dass sie Verantwortung zu übernehmen. Das Vorbild der Erwachsenen ist deshalb nicht banal, sondern fundamental.