Environment | Die 26. Toblacher Gespräche

„Die sanfte Reise gibt es nicht“

Der Schweizer Torurismusexperte Hansruedi Müller über gefährliche Downhiller, Tempolimit im Flugverkehr und warum Zweitwohnungen dringend eingeschränkt werden müssen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Hansruedi Müller wünscht sich einen langsameren Tourismus und das seit 30 Jahren nunmehr. Der emeritierte Professor an der Universität Bern und Präsident des Schweizerischen Leichtathletik-Verbandes zählt zu den Schweizer Koryphäen in Sachen Tourismusforschung. An diesem Wochenende war er zu Gast bei den 26. Toblacher Gesprächen und ist mit dem sanften Tourismus hart ins Gericht gegangen. 

Herr Müller, Sie meinten in Ihrem Referat, dass der sanfte Tourismus als Tourismusform nicht tauglich sei. Ist er also doch eine Illusion?
Ganz abgesehen davon, dass ich Probleme mit der Wortwahl habe, bin ich überzeugt, dass die Fahrrad-, Wander-, Gesundheits- oder Ökotouristen nicht automatisch als sanfte Touristen bezeichnet werden dürfen. Nur weil sie im Urlaub eben viel Wandern oder viel Sport betreiben. Solange diese Gäste mit dem Auto oder per Flugzeug anreisen bleibt der sanfte Tourismus eine Illusion. 

Wir wissen aber zu gut, dass die Verkehrsverbindungen nicht immer optimal sind um mit öffentlichen Verkehrsmittel anzureisen?
Deshalb sage ich, es muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden. Geschehen kann das nur über die Geschwindigkeit. Sie ist die einzige echte Variable im System Mobilität. Wir müssen Geschwindigkeit aus dem System nehmen. Das vom Wuppertaler Institut definierte Tempolimit mag zwar provokant klingen, es ist aber das zentrale Element. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass wir die Geschwindigkeit im Privatverkehr auf 100 km/h beschränken sollten, im öffentlichen Verkehr auf 200 km/h und Flugzeuge dürfen nicht schneller als 400 km/h fliegen. Wir hätten nicht nur weniger Abgasemissionen sondern die Reisenden würden auch länger unterwegs sein. Irgendwann wären sie es dann leid so lange im Flugzeug oder im Auto sitzen und würden sich ganz automatisch für nähere Reiseziele entscheiden.

Ist die Anreise also wichtiger als unser Verhalten im Urlaub?
Beides ist wichtig, deshalb ist sanfter Tourismus ja auch ein so schwieriges Phänomen. Bewege ich mich nur während des Sports sanft, indem ich etwa keine Aufstiegsanlage benutze, hinterlasse ich noch lange keinen ökologischen Fußabdruck. Entscheidend ist, wie ich dort hinkomme. Bestes Bespiel: Wer mit dem Auto zur Skitour fährt, kann nicht von sanftem Tourismus sprechen. 

Würden Sie also sagen, Skitourengeher sind keineswegs besser als alpine Skiläufer?
Natürlich sind beim alpinen Skilaufen mit den vielen Aufstiegsanlagen oder Schneekanonen sehr viel graue Energien im Spiel. Gleichzeitig hat aber auch der Skitourengeher keine grüne Weste. Ich bleibe dabei: Solange er mit dem Auto anreist, ist sein Sport nicht nachhaltig. 

Ich hätte mir von Ihnen erwartet, Sie würden mit den Aufstiegsanlagen und den großen Skigebieten etwas härter ins Gericht gehen?
Wichtig ist, dass man den alpinen Wintersport konzentriert. Darauf kommt es an. Deshalb sage immer: Gebt doch gleich einen ganzen Berg dem Freizeitvergnügen preis und verursacht nicht kleine Schäden überall verteilt. Dazu kommt, dass viele Skigebiete heute sehr gut konzipiert sind. Sie schaffen es den Energieverbrauch zu drosseln, Beschneiungsanlagen und Transportsysteme verbrauchen heute weit weniger Energie als früher. Wenn ein solches Skigebiet dann auch noch langfristig rentabel arbeitet, warum also nicht. 

Um die Rentabilität der Aufstiegsanlagen zu verbessern, setzt man in Südtirol immer stärker auf den Sommertourismus mit speziellen Angeboten etwa für Radfahrer. Ist das der richtige Ansatz?
Es kommt auf den Gästemix an, jede Tourismusform sollte nicht mehr als 10 Prozent ausmachen. Denn jede Gruppe, die quantitativ Überhand nimmt, ist gefährlich. Es braucht das richtige Maß. Ich finde den Radtourismus im Pustertal grundsätzlich genial, aber wenn die Radwege und Züge überfüllt sind, dann macht das Ganze auch keinen Spaß mehr.

Und wie sieht es mit den Mountainbikern in Südtirol aus, die mit der Aufsteigsanlge hoch fahren und als Downhiller wieder runter? 
Grundsätzlich ist das Mountainbiken ein tolles Phänomen. Allerdings nur dann, wenn man diesen Sport richtig betriebt und eben nicht die Seilbahn benutzt. In Kanada wird diese Sportart regelrecht vermasst mit verschiedensten Trails, die in die Landschaft hineingebaut werden. Das kann es nicht sein. Zudem finde ich die Ausrüstung der Downhiller mit diesen schwarze Klamotten und dem Military-Look so was von störend. 

Was tun also mit den Downhillern?
Es reicht, wenn dieser Sport am richtigen Ort passiert. Bei uns in Bern hat man am Hausberg, dem Gurten, für die Downhiller eine eigene Abfahrtspiste eingerichtet und ihnen in der Standseilbahn ein Abteil reserviert. Damit kann ich leben, ein Ort darf sich nur nicht auf diese Gruppen spezialisieren. 

Sie haben die vergangenen Jahre in der Schweiz massiv den Ausverkauf der Heimat und das Thema Zweitwohnungen angeprangert. Während bei Ihnen jetzt drastisch durchgegriffen wurde, wird dieses Thema gerade im Hochpustertal immer mehr zum Problem. Was raten Sie der heimischen Politik?
Ich kann der Politik nur eines raten: Werft doch einen Blick in die Schweiz! Es braucht nicht nur raumplanerische Vorgaben, es braucht auch Kontingente, fiskalpolitische Abschreckungen und, wenn nötig, auch einen Stopp. Denn diese Entwicklung ist vor allem für die Einheimischen sehr gefährlich, da die Preise nach oben schießen. In der Schweiz wurde das Thema nun sogar in der Verfassung verankert. Seither dürfen in gewisse Orten, wo das Verhältnis Erst- und Zweitwohnung nicht mehr stimmt, keine neuen Wohnungen gebaut werden. Im Engadin etwa wurde 2012 die letzte Zweitwohnung errichtet. Dieser radikale Eingriff war sicher nötig.

Sie warnen in Ihren Vorträgen wiederholt von den Nachwehen einmaliger Großereignisse. Ende des Monats endet die Weltausstellung Expo 2015 in Mailand, befürchten Sie eine „Nach-Expo-Depression“?
Ich war selbst auf der diesjährigen Expo und ich denke schon, dass Mailand entsprechende Vorkehrungen getroffen hat, dass es zu keiner Depression kommt. Aber grundsätzlich ist der Umgang mit einmaligen Großereignisse immer schwierig. Das betrifft auch die Olympischen Spiele oder eine Fußball-WM. Man muss bereits im Vorfeld ganz genau planen was im Anschluss mit der Bevölkerung und mit dem Gelände passieren wird. Wir hatten in der Schweiz 2002 die Expo und dort hat ein Nachhaltigkeitsindex vorgegeben, dass nach der Weltausstellung alles weggeräumt werden muss. Das finde ich auch wieder schade. So hinterlässt ein solches Großevent nicht mal positive Spuren. Denken wir nur daran, wie arm wir wären, hätte man damals den Eifelturm in Paris oder das Atomium in Brüssel abmontiert. Beides sind Übrigbleibsel von Weltausstellungen.