Warum wir am Samstag streiken
Man kann es auch als Warnschuss sehen. Rund 10.000 Handelsangestellte sind an diesem Samstag allein in Südtirol zum Streik aufgerufen. Zum ersten. Denn falls sich nach diesem Samstag nichts tut, steht schon der zweite Termin. Am 19. Dezember, mitten im schönsten Weihnachtsgeschäft. Es ist der Protest einer Kategorie, die zu viel über sich ergehen hat lassen. „Basta, wer jetzt nicht streikt, dem ist nicht zu helfen“, sagt Piero. Seit 1988 ist er im Handel tätig. Seit vielen Jahren arbeitet er für einen der großen Handelsbetriebe im Land. Namen will er nicht nennen, man muss sich die Probleme nicht suchen. Im Gegensatz zu vielen seiner jungen Kolleginnen und Kollegen hat Piero keinen befristeten Vertrag, der alle sechs Monate wieder ausläuft. Dank Altersvorrückungen verdient er mehr als jene 1000 Euro, die CGIL-Gewerkschafter Maurizio Surian als Durchschnittslohn angibt. „Ich bin zufrieden mit meinem Arbeit, froh, dass mein Gehalt jeden Monat pünktlich überwiesen wird und mein Betrieb auf soliden Beinen steht“, sagt er. Dennoch wird Piero am Samstag nicht an seinem Arbeitsplatz erscheinen, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen. „Denn ich will, dass sie endlich verstehen, dass wir Menschen und keine Roboter sind.“
Spätestens seit der vollkommene Liberalisierung der Öffnungszeiten im Jahr 2012 sind solche Töne aus dem Handelssektor immer öfters zu hören. Als wäre es nicht genug, dass Sonn- und und Feiertage vor allem für die Angestellten der großen Handelsketten zu normalen Arbeitstagen wurden, kamen die aktuellen Vertragsverhandlungen hinzu. Seit Oktober 2013 stehen die Handelsangestellten ohne Kollektivvertrag da. Keine Lohnerhöhung, keine Altersvorrückungen, all das liegt seit zwei Jahren auf Eis. Und das bei weitem nicht nur wegen Uneinigkeiten über Tarife.
"Wie werden immer mehr zu Objekten, die einzig und allen den Bedürfnissen der Unternehmen dienen sollen."
Da ist zum Beispiel auch die geplante Streichung des permesso retribuito, bezahlte Freistellungen für Arztbesuche oder andere wichtige Termine, die nicht außerhalb der Arbeitszeiten möglich sind. Bis zu 32 Stunden im Jahr standen den Angestellten dafür bisher zur Verfügung, erzählt Piero. Künftig sollen sie sich in solchen Fällen Urlaub nehmen. Gestrichen werden sollen auch zwei Gehaltsklassen. Am meisten Unmut erregt aber die Forderung der Arbeitgeber nach noch mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeiten. „Die Unternehmen wollen völlig freie Hand bei der Einteilung der Arbeitsstunden“, erklärt Piero. „Wie werden immer mehr zu Objekten, die einzig und allen den Bedürfnissen der Unternehmen dienen sollen“, kritisiert der Handelsangestellte.
Betroffen davon auch die Teilzeit-Verträge, in denen die Arbeitszeiten gewöhnlich schriftlich festgelegt und somit vorab fixiert sind. Bisher. Auch hier soll die Flexibilität erhöht werden, sollen die Stunden je nach Bedarf festgelegt werden. Vielfach von Woche zu Woche, wie eben die Turnusse eingeteilt werden, sagt Piero. „Wenn sich das durchsetzt, kann man nicht einmal einen Kurs oder eine fixe Freizeitaktivität einplanen, weil man nie weiß, ob man nicht doch Dienst hat.“
"Wir müssen endlich wieder einen Schritt vorwärts machen statt ständig zurückzufallen"
Doch würden solche vertragliche Möglichkeiten in Südtirol tatsächlich so erbarmungslos ausgenutzt? Färbt die Kultur der Familienbetriebe, in denen man gewohnt ist, bei Arbeitszeiten auch ohne Kommas von Kollektivverträgen ein Auskommen zu finden, hier nicht auch auf die grande distribuzione, die großen Handelsketten und Supermärkte, ab? „Die Antwort darauf fällt von Filiale zu Filiale unterschiedlich aus“, sagt Piero. „Es hängt oft weniger von den Unternehmen selbst als von den jeweiligen Managern ab.“
Willkommen im Zeitalter der Flexibilität und Liberalisierung. Was bringt es da, sich gegen die Notwendigkeiten zu wehren, die eine Branche in extremen Preis- und Konkurrenzdruck hat? „Ja, es sind schwierige Zeiten“, räumt Piero ein. „Doch als ich vor 27 Jahren in den Handelssektor eingestiegen bin, waren die Zeiten auch nicht rosig. Und dennoch haben wir am Samstag um 13 Uhr zu arbeiten aufgehört, der Sonntag war ein Sonntag und der Feiertag ein Feiertag - und es gab trotzdem viel mehr Arbeit und mehr Absicherung als heute.“
Wir müssen endlich wieder einmal einen Schritt vorwärts machen statt ständig zurückfallen, lautet das Motto für den Streik am kommenden Samstag. Dem sollten wohl nicht nur die Handelsangestellten selbst etwas abgewinnen.