Chronicle | Corona-Epidemie

Forderungen nach Öffnungen werden laut

Die bislang vorsichtige Haltung des Landeshauptmanns in Sachen Corona ist sicherlich angebracht, aber der Druck wird immer stärker.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Fabio Petrini

Sogar einige Vertreter der Landesregierung machen Stimmung und fordern weitere Öffnungen in vielen Bereichen. Schulen und Geschäfte sind nach bisherigen Erkenntnissen zwar keine Hotspots für die Verbreitung des Corona-Virus, Sorgen bereiten sollte allerdings, was sich in deren Umfeld abspielt.

Die zweite Welle, deren Ausmaß von allen unterschätzt wurde, ist das Ergebnis von falschem Sicherheitsgefühl, Sorglosigkeit und die Lässigkeit im Umgang mit dem Virus, aber manchmal auch von bewusster Verweigerung der Regeln im letzten Sommer. Man muss die Dinge als Ganzes betrachten, denn wenn jeder nur seinen Teil sieht, ist der Blickwinkel verzerrt.

Offene Geschäfte bedeuten, dass die Menschen sich bewegen. Bewegen sie sich gleichzeitig, kommt es ungewollt zu Ansammlungen in den Einkaufszentren, in den Innenstädten, vor den Geschäften und den Skigebieten. Will man dieses Risiko minimieren, kann man eben nur die Öffnungen oder die Bewegungsfreiheit reduzieren, unter Umständen auch beide.

Die Neuinfektionen, die Auslastung der Krankenhäuser und die Zahl der Toten erfordern in Südtirol weiterhin große Vorsicht. Diese Zahlen sinken nur langsam und der Druck auf die Krankenhäuser bleibt hoch. Eine dritte Welle wäre fatal. Nur auf das Verantwortungsbewusstsein der Bürger zu hoffen, hat bisher nicht funktioniert und die anstehenden Feiertage verleiten zusätzlich eher dazu, unvorsichtig zu sein.

Das Massenscreening war ohne Zweifel wichtig. Es handelt sich aber nur um eine Momentaufnahme. Dessen Aussagekraft für mögliche Lockerungen ist begrenzt. Ein negativer Befund ist kein Freibrief. Einen Pakt zwischen Bürger und Wirtschaft, um bei geringen Infektionsraten Öffnungen einzufordern, wie einige Wirtschaftszweige behaupten, hat es nie gegeben. Diese Argumentation ist völlig an den Haaren herbeigezogen.

Wir wissen sehr wohl, dass der Wintertourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Auch sind nicht die Skipisten selbst das Problem, sondern das Drumherum. Da es kaum möglich ist, dieses in den Griff zu bekommen, dürfte es bis zum Jahresausklang kaum möglich sein, größere Lockerungen zu verantworten, denn die Gefahr für eine dritte Welle würde steigen, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die zweite noch nicht gänzlich überwunden ist.

Die Leidtragenden wären dann wiederum die Südtiroler selbst. Es gilt nun, bis zu den angekündigten Impfungen Zeit zu gewinnen. Mit ein bisschen Glück dürfte es in den nächsten Wochen so weit sein und eine stufenweise Rückkehr zur Normalität ist dann möglich.   

Offen bleibt die Frage, was in Zukunft Normalität ist. Bisher versucht man auf Althergebrachten zu beharren. Besonders der Handel ist auf den Barrikaden. In der Vergangenheit hat man sich immer auf die Unterstützung der Politik verlassen können.

So hat man die Einkaufszentren lange Zeit mit Landesgesetzen verhindert, bzw. einen großen Teil der neuen Verkaufsflächen den lokalen Anbietern vorbehalten, während es anderswo große Veränderungen gab. Bereits damals begaben sich viele Südtiroler nach Innsbruck oder ins nahe Veneto zum Einkaufen.

Der Onlinehandel kommt nun einer Revolution gleich, denn er kennt keine Landesgesetze und keine Landesgrenzen. Letzthin kann man auch tagtägliche Dinge kurzfristig geliefert bekommen. Herr und Frau Südtiroler haben weniger Geld und sind preisbewusst geworden. Um billiger einzukaufen, müssen nicht einmal mehr weitere Reisen in Kauf nehmen.

Unsere kleine Handelsstruktur lässt aber wenig Spielraum in einem Preiskrieg, der nun neue Dimensionen annimmt. Waren früher bereits Parkplätze vor den großen Geschäften ein Wettbewerbsfaktor, kann man sich leicht vorstellen, was günstigere Preise, die Möglichkeit von zu Hause aus zu bestellen und die Gratis-Zulieferung zukünftig bedeuten. Bezahlungen mit Kreditkarte sind auch kein Problem mehr. Unter solche Voraussetzungen werden auch die Aufrufe an die Kunden, lokal einzukaufen, nicht sehr erfolgreich sein.

Wir fordern seit Jahren eine gerechte Besteuerung der digitalen Plattformen. Dass es hier allerdings in absehbarer Zeit nachhaltige Änderungen geben wird, die sich positiv auf unseren Handel auswirken könnten, ist eher unwahrscheinlich. Auch bleibt die Produktivität der Arbeit und die schlechte Behandlung der Bediensteten bei Amazon & Co, gegen die die Gewerkschaft seit Jahren kämpfen, ein weiterer entscheidender Wettbewerbsfaktor, aber in diese Richtung vermeidet man beim Südtiroler Handels- und Dienstleisterverband HDS leider jegliche Stellungnahme.   

Man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Die Pandemie hat die Digitalisierung beschleunigt, Politik und Sozialpartner müssen nach vorne schauen und sich den neuen Herausforderungen stellen. Für die Gewerkschaft sind die Steuergerechtigkeit, die Rechte der Arbeitnehmer aber auch die Nahversorgung wichtig, nicht zuletzt um die Peripherie lebenswert zu erhalten.

Bisher war die importierte Kaufkraft durch den Tourismus wahrscheinlich höher als der Abfluss. Ob dies auch in Zukunft gelten wird und unsere Nahversorgung absichern kann, ist noch unklar. Die aktuelle Forderung nach der Öffnung der Geschäfte ist aus der Sicht des Sektors nachvollziehbar. Das eigentliche Problem löst man dadurch nicht. Es braucht neue Ansätze sonst wird unsere lokale Handelsstruktur langsam in die Bedeutungslosigkeit absinken.

Alfred Ebner