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EU-sei Dank!

Ein häufiges Argument der EU-Gegner: „Nur ein kleiner Teil profitiert davon“. Aber muss man wirklich Weltmensch sein, um Positives von der EU zu haben?
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Foto: Heinich-Böll-Stiftung
Ich gebe es zu- Ich gehöre zu denen, die von der EU profitieren: ich studierte in Deutschland und jetzt in Estland- visumfreies Reisen kommt mir also gelegen. Ich spreche mehrere Sprachen- ein Job in einem anderen EU-Land oder gar den Institutionen der EU ist durchaus vorstellbar. Und als Teil der Global Generation, mit Freunden aus Amsterdam, Paris und Berlin, konnte mir die EU kein besseres Geschenk machen, als kostenloses Roaming (Junker sei Dank!).
Mit diesem kostenlosen Roaming surfe ich gerade in der kleinen estnischen Stadt Tartu auf Facebook. Und wie ich so durch die Facebook-Seiten meiner Facebook-Freunde stöbere, stoße ich auf eine höchst interessante Seite, gepostet und geteilt von einer Freundin aus Deutschland, die gerade in Dänemark studiert (Erasmus sei Dank!).Die Seite heißt: Das tut die EU für mich.
Ich gebe es zu- Ich gehöre zu denen, die von der EU profitieren: ich studierte in Deutschland und jetzt in Estland- visumfreies Reisen kommt mir also gelegen. Ich spreche mehrere Sprachen- ein Job in einem anderen EU-Land oder gar den Institutionen der EU ist durchaus vorstellbar. 
Nun habe ich diesbezüglich wirklich keinen Zweifel, dass die EU viel für mich tut, danke ich ihr, seit meinem Auslandsstudium, doch jedes Mal, wenn ich in diesem nordischen, kalten Land in eine saftige Orange aus Süditalien beißen darf (Binnenmarkt sei Dank!).Und wer weiß, wie lange meine Fernbeziehung halten würde, könnte ich mich am Wochenende nicht spontan in ein Flugzeug setzen und zu meinem Freund fliegen (Schengen sei Dank!) (Und an dieser Stelle auch: Estland sei Dank, für die Erfindung von Skype).
Aber für Alle, die nicht ohne mit der Wimper zu zucken, Positives von der Union auflisten könnten, zurück zur eigentlichen Frage: Muss man wirklich Weltmensch sein, um gleichzeitig auch einen Nutzen aus der EU zu ziehen? Profitieren nur jene von der Union, die im Ausland studieren, arbeiten, leben? Nur die Elite, die sich jedes zweite Wochenende einen Kurzurlaub in Südfrankreich leisten kann? Nur Brüsseler Bürokraten, die hohe Gehälter aus den Institutionen beziehen? Ein genauer Blick auf die Seite Das tut die EU für michzeigt, gerade Local-Lovers hätten vieles zu schätzen an diesem bürokratisch guten Krümelmonster namens Europäische Union. 
 
Ich klicke mich durch die interaktive Karte in der Sparte „In meiner Region“, und stoße auf die Überschrift „Trentino-Südtirol, Italien.“ Dort kann ich schwarz auf weiß nachlesen, wie meine Heimat von Projekten, Gesetzen und Finanzierungen der EU profitiert. Einige Beispiele aus dem Informationsportal:
„Ein mit mehr als 2 Mio. EUR von der EU finanziertes Projekt trug dazu bei, die klimatischen Veränderungen und Naturgefahren im Alpenraum besser zu verstehen und Methoden zu entwickeln, um die Risiken zu erfassen und einzudämmen und die Gewässer zu verwalten.“
„Über sieben Millionen Euro wurden zur Einführung neuer Technologien für die Steuerung des öffentlichen Verkehrs in der Provinz und über zehn Millionen Euro zur Förderung des öffentlichen Verkehrs in Bruneck und Brixen aufgewendet.“
„Durch die europäische Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums und die EU-Mittel zur Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen sind von 2008 bis 2015 mehr als 560 Mio. EUR dorthin geflossen. Darüber werden durch das europäische Gütesiegel der geschützten geografischen Angabe Äpfel und Speck aus Südtirol geschützt und gefördert.“
Solche und ähnliche Angaben zu allen Regionen der EU bietet diese Informationsplattform. Sie zeigt auch Regionen übergreifend, wie die EU den Alltag jedes einzelnen EU Bürgers verbessert: Vom höchsten Verbraucherschutz weltweit, über den Kampf gegen Monopolisierungen großer Technikbetriebe (EU-Kommissarin Margrethe Vestager sei Dank!), bis hin zur Förderung von Forschungsprojekten. Was in vielen Politikbereichen klar wird: Noch liegt die Umsetzung zahlreicher Gesetzesvorlagen in der Hand der nationalen Regierungen, weshalb die Implementierung häufig erschwert und hinausgezögert wird. Und klar, die Fördergelder sind nicht immer ganz gerecht oder ökologisch verteilt, ihr Umweltbewusstsein muss die EU noch ausbauen. Aber wir kommen wieder vom Thema ab.
Muss man wirklich Weltmensch sein, um gleichzeitig auch einen Nutzen aus der EU zu ziehen? Profitieren nur jene von der Union, die im Ausland studieren, arbeiten, leben?
Die Frage, die an dieser Stelle durch meinen Kopf geht, ist: Wie um alles in der Welt konnte der Ruf der EU so in den Keller stürzen? Und mit Blick auf Großbritannien: Wie konnte es passieren, dass jene Stimmen, die Kritikpunkte der EU aufzählten, teilweise mit unwahren Aussagen, mehr gehör fanden, als jene, die Vorzüge betonten (Populisten-sei Undank!)?
Nach der Brexit-Entscheidung machte die Ernüchterung Platz für Fakten, und man erfuhr: Jene Regionen, in denen die Brexit-Stimmen am lautesten gerufen hatten, waren häufig strukturarme Gebiete, die am meisten EU-Fördergelder erhielten. So stimmten die Bewohner von Wales mehrheitlich für den Brexit, obwohl sie zu den größten Nutznießern gehören, wie Deutschlandfunk berichtet. Rund 760 Millionen Euro erhält das Land im Jahr von der EU. Nach Angaben der walisischen Regierung erhielten dank Fördermittel 73.000 Menschen einen Job in zehn Jahren, 12.000 gründeten ein Unternehmen. Und trotzdem stimmten 53% der Waliser dafür, die EU zu verlassen. 
 
Was kann man der EU also vorwerfen? Wahrscheinlich verfehltes Marketing! Der EU ist es nicht gelungen, ihre Vorzüge den Menschen zu kommunizieren. Sie wird weiterhin als komplexes, fernes Bürokratiemonster wahrgenommen. Es ist aber nicht in allen Ländern so. Estland geht mit gutem Marketing-Beispiel voran. Bereits an meinen ersten Tagen an der Universität bemerkte ich Schilder, die anzeigten: Dieses Gebäude wurde mit EU-Fördermitteln gebaut. Im Park jogge ich regelmäßig an einem EU-Förderschild vorbei. Alle Projekte, Bauten, Veranstaltungen, an denen die EU beteiligt ist, werden deutlich sichtbar von EU-Logos flankiert. Tatsächlich steht ein Großteil der Bevölkerung hinter der EU, auch wenn Estland vor Rechtspopulisten nicht immun ist. Auch da spielen allerdings Anti-EU Parolen nicht die Hauptrolle, denn damit gewinnt man in diesem Land keine Stimmen.

 

Was kann man der EU also vorwerfen? Wahrscheinlich verfehltes Marketing! Der EU ist es nicht gelungen, ihre Vorzüge den Menschen zu kommunizieren.

 

Traurig aber wahr, komme ich zu dem Schluss: Es reicht nicht, immer wieder zu sagen: Die EU ist geil! Man muss konkret aufführen: An diesem Gebäude, in diesem Projekt liegt die Geilheit der EU- und ihr Geld. Leider reicht Gelabereüber Weltfrieden und Zusammenhang der Nationen heutzutage nicht mehr. Da wird man höchstens als Gutmensch belächelt. Der Krieg liegt zu weit zurück, die Menschen haben sich zu sehr an den Frieden gewöhnt. Man tendiert dazu, das Gute als selbstverständlich anzusehen. Vielleicht hilft es erst, wenn man das Geld den Leuten unter die Nase hält, um ihnen den Wert der EU zu verdeutlichen. Die neue Infoseite Das tut die EU für michist vielleicht ein erster Schritt der besseren Erfolgskommunikation und Bürgernähe (Internet sei Dank!).