Weg vom Pranger
1.778 von 4.779 oder 37,2 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich in der ersten “Impfrunde” in 76 Südtiroler Seniorenwohnheimen gegen Covid-19 impfen lassen. So die Mitteilung aus dem Sozialressort von Landesrätin Waltraud Deeg am 22. Februar. Die Impfbereitschaft in den Seniorenheimen sei bedenklich niedrig, flammte sogleich Kritik auf. Zum Vergleich: Bei den Heimbewohnern lag die Impfrate mit 70 Prozent doppelt so hoch.
Auch über eine Impfpflicht für Angestellte der Seniorenheime wurde nachgedacht. Kathrin Huebser und Marta von Wohlgemuth haben die Diskussion mit Sorge verfolgt. Die Vorsitzende und die Geschäftsführerin des Landesverbands der Sozialberufe (LVS/APPS) finden es “einfach nur traurig, wie wenig darüber nachgedacht wird, warum es diese Zögerlichkeit unter den Gesundheits- und Sozialberufen in den Seniorenwohnheimen gibt”. Die scheint inzwischen überwunden.
Woran es mangelt(e)
Eines schickt die Führungsspitze des Landesverbands der Sozialberufe voraus: “Sich impfen zu lassen, ist ein Akt der Solidarität und hier geht es neben den Grundrechten des Einzelnen auch um das Interesse und den Schutz der Allgemeinheit bzw. der öffentlichen Gesundheit.” Dessen seien sich auch die Mitarbeiter in den Seniorenwohnheimen bewusst, betonen Kathrin Huebser und Marta von Wohlgemuth. Und doch prangern sie an, dass Gesellschaft, Gesundheitswesen und Politik “völlig selbstverständlich” davon ausgingen, dass es die absolute Pflicht dieser Berufe sei, sich gegen Corona impfen zu lassen. In Italien gilt weiter eine Empfehlung für die Corona-Impfung, es ist eine Kann-, keine Muss-Bestimmung.
Der triftigste Grund dafür, warum sich bis vor zwei Wochen nur 37 Prozent des Personals hat impfen lassen, stellt für Huebser und von Wohlgemuth der Mangel an Wissen dar: “Um eine persönliche Entscheidung zu treffen, braucht es klare, verständliche Informationen und eine kontinuierliche und transparente Information über die Wirksamkeit der Impfung und möglicher Risiken.” An der habe es vor allem in der Anfangsphase der Impfkampagne gemangelt, pflichtet Moritz Schwienbacher, Präsident des Verbandes der Seniorenwohnheime (VdS/ARpA) bei. “Viele Mitarbeiter haben es vorgezogen, sich noch einmal besser zu informieren.”
Huebser und von Wohlgemuth plädieren: “Wenn diese Berufsgruppen jetzt eine geringere Bereitschaft zeigen wie allgemein angenommen, und Sorge haben sich impfen zu lassen, sollten wir sie verstehen und ihnen ausreichend Möglichkeiten zur Information anbieten. Denn Abwertung, Unverständnis und Diskriminierung sind wiederum Zeichen, welch geringe Wertschätzung unsere Gesellschaft genau diesen Berufen entgegenbringt.”
Steigende Bereitschaft, aber Wunde bleibt
Der Bedarf an und die Forderung nach Information wurde ernst genommen. So hat etwa der VdS Online-Info-Veranstaltungen mit verschiedenen Experten, darunter auch dem Sarner Immunologen Bernd Gänsbacher, organisiert. Präsident Schwienbacher stellt fest: “Nach dem anfänglichen Zögern ist die Impfbereitschaft in den Seniorenwohnheimen nun groß.” Laut seinem Kenntnisstand haben sich inzwischen fast 65 Prozent der Mitarbeiter impfen lassen oder warten darauf. Schwienbacher liefert einen Überblick: In allen 78 Seniorenwohnheimen sind derzeit 4.968 Personen angestellt. 2.249 haben die Impfung erhalten (das sind knapp zusätzlich 500 geimpfte Mitarbeiter in zwei Wochen) - 45 Prozent. Laut einer VdS-Umfrage warten derzeit weitere 984 Mitarbeiter (20 Prozent) auf die erste Impfdosis. Bei den restlichen Mitarbeitern ist die Entscheidung noch offen.
Auch von den Heimbewohnern sind mittlerweile 90 Prozent geimpft bzw. wollen sich impfen lassen, berichtet Schwienbacher. “Bei den restlichen Heimbewohnern handelt es sich um Senioren, die entweder aktuell an Covid -19 erkrankt sind oder in den letzten drei Monaten erkrankt waren, Heimbewohner, die Kontraindikationen zu einer Impfung aufweisen oder bei denen die Entscheidung noch offen ist.”
Alles in allem, gibt es also Grund, zuversichtlich zu sein. “Wenn alle, die auf ihre Impfung warten, geimpft sind, kann hoffentlich bald wieder etwas mehr Normalität in die Südtiroler Seniorenwohnheime einkehren”, meint Schwienbacher. Kathrin Huebser und Marta von Wohlgemuth vom Landesverband der Sozialberufe appellieren ein weiteres Mal eindringlich, nicht mit dem Finger auf die Mitarbeiter in den Heimen zu zeigen: “Die Professionalität der Gesundheit– und Sozialberufe in den Seniorenwohnheimen an der Impfbereitschaft zu messen, ist der verkehrte Weg, denn es wird derzeit viel zuviel auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen und sie bieten die perfekte Projektionsfläche für die Bedürfnisse einer virusgebeutelten Gesellschaft.”