Eiskalt erwischt
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Unter der Leitung von Elke Hartmann (Regieassistenz: Emma Muller) gehen in „Gletscher“ Jasmin Mairhofer und Margot Mayrhofer auf die Bühne, um eine Mutter-Tochter-Beziehung zu vivisezieren, die sich am Rand einer gut sichtbaren Lücke über die Jahre hinweg entwickelt. Im Hotel fehlen die Gäste, am Fuße des schmelzenden Riesenferners fehlt der Schnee und Destina (Margot Mayrhofer) ihr Verlobter Hanno. Florinda (Jasmin Mairhofer), die Tochter der beiden, die ihren Vater nicht kennenlernenkonnte, hängt mal an den Lippen der Mutter, mal lehnt sie sich gegen den Abwesenden auf. Hanno verstarb am Gletscher, der im Hintergrund des Stückes steht und beim Blick aus dem Fenster des Familienhotels zu sehen ist, wohin wir unsere Szene legen.
Die vierte Akteurin auf der Bühne ist die Zeit, die eine Südtiroler Kellerbühne vor die Herausforderung stellt, fast 60 Jahre Geschichte und Hintergrundgeschichte in rund 90 Minuten auf den Punkt zu bringen. Dafür finden sich in Regie und Schauspiel einige Kniffe, die den Dialog aufbrechen und uns dafür ein Gefühl geben, dass immer wieder Jahre vergehen (mal explizit, mal implizit), in denen wenig bis gar nicht gesprochen wird oder zumindest nichts Neues zur Sprache kommt. Teilweise sind Florindas und Destinas Dialoge zyklisch in für die Figuren alt bekannten Mustern festgefahren und die eine äfft präventiv auf der Bühne die Argumentation der anderen nach. Man hat im Unverständnis zwischen den Generationen recht wenig zu sagen, sagt es sich aber trotzdem in Ermangelung eines weiteren Gesprächspartners. Ist die jüngere der beiden Frauen anfänglich auch der passive Teil der Unterhaltung, so findet Jasmin Mairhofer doch auf der Bühne zusehends zu einer stärker in Kontrast mit jener der Mutter stehenden Stimme und zu mehr Selbstbewusstsein.
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Die Tochter nabelt sich zusehends von Margot Mayrhofers extrovertierterer, auf den verschollenen Hanno ausgerichteten Rolle ab und kratzt am in der Zeit unscharf festgefrorenen Bild des rumänischen Gastarbeiters. Während die Mutter im Laufe der Jahre - oft erotisierend - an den Verlobten zurückdenkt und beim Publikum das Bild des Märchenprinz aus der Provinz zeichnet, macht die Tochter den Eltern Vorwürfe und hadert mit ihrem Los. Von peinlichen Kosenamen bis zur Form von Hannos Hinterkopf erleben wir die Witwe als unzuverlässige Quelle, Florinda kann uns auch nicht mehr über den Mann erzählen, der letztendlich eine Idee bleibt und nie wirklich greifbar wird. Auch als der „Gletscher“ gegen Ende des Abends die Leiche von Hanno frei gibt, so bleibt von ihm am Ende nicht mehr, als ein toter Körper, oder eben, in der gegenwärtigen Stückfassung, ein aus der Mode gekommener Ski-Anzug.
Überhaupt ist der Ausstattung in Person von Sara Burchia ein Glückwunsch auszusprechen für die vielen, kleinen Bausteine, die scheinbar auf Flohmärkten zusammengetragen wurden um das in die Jahre gekommene Alpenhotel wenn auch nicht mit Leben, so doch zumindest mit dessen Spuren zu füllen. Für die unheimliche Stimmung in diesem Ort zwischen gestern und heute, an dem mal die Welt zu Gast war und der nun die Protagonistinnen von der Welt fern hält. Stefano Bernardi hat vor allem die spannende Aufgabe, in Momenten des Übergangs, oder des Blicks auf den Gletscher, wenn über die Lautsprecher das Knacken des Riesenferner zu hören ist, als Live-Musiker vor der Bühne den rechten Ton zu finden. Das Schrammen des Geigenbogen über eine Zitter unterstreicht, wie fremdartig die Welt des Gletschers ist und mit geschlossenen Augen könnte es sich beim unkonventionellen Spiel auch um ein Instrument aus Japan oder China handeln.
Es fällt schwer über „Gletscher“ nicht auch in Kriterien der Schuld zu lesen, wo man allerdings nicht weit kommt. Woher weiß man, wenn einer nicht zurückkommt? Wie lange sollte man auf einen geliebten Menschen warten? Lässt sich ein Vater dafür hassen, dass er Mutter und Tochter allein gelassen hat? Das Stück breitet seinen Fragenkatalog allmählich aus, die Figuren können sie sich gegenseitig beantworten, da sie jeweils eine andere Sprache sprechen. Die Mutter singt „Wish you were here“ und die Tochter „In die Berg bin i gern“. Um sich gegenseitig auf der Bühne nichts und dem Publikum einen Theaterabend zu schenken, nutzt man dieses Scheitern der Kommunikation immer wieder auch für Humor, der dafür sorgt, dass das Publikum zwischen den vom Klimawandel langsam talwärts getriebenen Eismassen aufgerieben wird.
Viel an Ironie, Spitzfindigkeiten und auch Situationskomik können Mairhorfer und Mayrhorfer den Dialogen entnehmen, die mit großer sprachlicher Dichte geschrieben sind und den beiden jede auf ihre Weise starken Frauen erlaubt, trotz der Langsamkeit einzelner Bühnenprozesse auch noch so etwas wie Leichtigkeit oder zumindest Erleichterung zu finden.
„Gletscher“ wird bis 21. April dreimal Sonntagsvorführung mit Beginn um 18 Uhr (7., 14. und 21. April), sowie mittwochs (10. und 17.), freitags (12. und 19.) und samstags (13. und 20. April) mit Beginn um 20 Uhr in der Brixner Dekadenz gespielt.