Wenn dieser Prozess
Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wird Italien endlich regierbar. Damit beginnt eine neue politische Ära, die tiefgreifender sein wird als der Beginn der zweiten Republik.
Für den langjährigen Präsidenten des Verfassungsgerichts Ugo De Siervo ist das neue Wahlrecht "un testo imperfetto, ma non pericoloso." Für den Politologen und prominentesten Wahlrechtsexperten des Landes, Roberto D'Alimonte , hat das Gesetz Schwachstellen, "ma é una legge che funziona." Das Italicum sollte besser Florentinum heißen. Obwohl keine Eile geboten war, hat Premier Renzi das umstrittene Wahlrecht in dem ihm eigenen Stil durchgezogen.Über 400 Tage dauerte allein die Behandlung im Parlament - ohne das vorausgegangene mehrjährige Tauziehen. Der Streit demonstrierte einmal mehr die Anomalien des italienischen Parlaments.
In keinem EU-Staat ist das Wahlrecht ein Diuskussions- oder gar Streitthema. In allen Ländern ist klar, daß Änderungen der Spielregeln mit möglichst großer Mehrheit beschlossen werden müssen. Nicht so in Italien, wo das Wahlrecht nach endlosem Parteiengezänk schließlich mit einer Reihe von Vertrauensabstimmungen durchgedrückt wurde.
An hysterischen Auftritten und apokalyptischen Visionen fehlte es nicht. Mit einer nur in Italien möglichen Flut von 60.000 Abänderungen versuchte die Opposition, das Gesetz zu stoppen. Drei Mal wurde der Text geändert. Forza Italia-Sprecher Renato Brunetta bezeichnete in der Schlußdebetatte das Gesetz, dem er selbst zweimal zugestimmt hatte, als "infames Machwerk" - Schizophrenie pur. Daß sich die SEL-Abgeordneten bei der Abstimmung eine schwarze Trauerschleife um den Arm banden, um der "Beerdigung der Demokratie" beizuwohnen, gehört zum üppig bezahlten Theater, das offenbar als unverzichtbares Requisit parlamentarischer Selbstdarstellung empfunden wird.
Das neue Wahlrecht, das erstmals de facto eine Direktwahl des Premiers vorsieht, wird erst am 1. Juli 2016 in Kraft treten – und auch dann nur, wenn bis dahin die Abschaffung des Senats beschlossen ist. Würde heute nach dem Italicum gewählt, wäre der Partito Democratico, der nach Umfragen bei 37 Prozent liegt, nicht der unangefochtene Sieger. Denn wer die 40 Prozent-Marke nicht erreicht, muß sich einer Stichwahl mit dem Zweitplatzierten stellen – in diesem Fall der Fünfsterne-Bewegung.
Das Italicum mag Renzi auf den Leib geschneidert sein. Ob es ihm 2018 den Sieg garantiert, bleibt fraglich. Wohl aber dürfte es zu einer Bereinigung der Parteienlandschaft führen. Besonders dann, wenn Berlusconi von der politischen Bühne abtritt und damit die Bildung einer konservativen Partei nach europäischem Muster zuläßt. Das Gesetz garantiert der stärksten Partei, die mindestens auf 40 Prozent kommt, einen in der EU einmaligen Mehrheitsbonus von 340 Sitzen – und damit eine klare absolute Mehrheit. Es führt eine Sperrklausel von drei Prozent ein. Die Spitzenkandidaten in den 100 Wahlkreisen werden direkt gewählt, die übrigen mit zwei Vorzugsstimmen, von denen eine an einen männlichen und die andere an einen weiblichen Kandidaten gehen muß. In Südtirol kehrt man zu den früheren Ein-Mann-Wahlkreisen zurück, in denen vier Kandidaten ins Parlament gewählt werden können.
Die Appelle der Opposition an den Staatspräsidenten, das neue Wahlrecht nicht zu unterzeichnen, werden wohl ungehört verhallen. Abzuwarten bleibt, welche Folgen der Bruch zwischen Renzi und den 46 PD-Abgeordneten haben wird, die gegen das Wahlrecht gestimmt haben. Pippo Civati hat bereits angekündigt, daß er in Zukunft für eine andere Partei kandidieren wird. Bis dahin wärmt er seinen Sitz im Parlament. Auch seine Parteikollegen dürften kaum Interesse daran haben, ihr Mandat vorzeitig loszuwerden. Ähnlich denken auch viele Forza Italia-Abgeordneten, die am Ast nicht sägen wollen, auf dem sie sitzen – zumal die Entstehung des geplanten Partito Repubblicano noch ungewiss scheint.
Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wird Italien endlich regierbar. Damit beginnt eine neue politische Ära, die tiefgreifender sein wird als der Beginn der zweiten Republik.