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„Literatur ist politisch“

Maxi Obexer hat gemeinsam mit Josef Haslinger den Interimsvorstand des PEN Deutschland übernommen. Ein Gespräch über erhaltenswerte Tradition und notwendige Neuerungen.
Maxi Obexer, 2017
Foto: Wikipedia-Userin Amrei-Marie (CC BY-SA 4.0)
Maxi Obexer, 1970 in Brixen geboren, hat sich nach und auch schon während des Studiums der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien und Berlin unter anderem mit Theaterstücken, Hörspielen, Romanen und Erzählungen und Essays einen Namen gemacht. Bekannt wurde sie dabei auch als Autorin mit starkem Sinn für Gerechtigkeit und Gespür für soziale Fragen wie Frauenrechte, Flucht und Migration, sowie Europa. 2017 nahm sie mit ihrem letzten Roman „Europas längster Sommer“ am Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis teil. Seit Mitte Mai ist Sie, nach dem Rücktritt von Deniz Yücel gemeinsam mit Josef Haslinger Co-Präsidentin des PEN (Poets, Essayists, Novelists) Deutschland.
 
Salto.bz: Frau Obexer, in Ihrer neuen Funktion als Co-Präsidentin des PEN Deutschland können Sie der Wahrnehmung des PEN als elitäre Vereinigung vielleicht entkräften. Welches waren die letzten Tätigkeiten des PEN Deutschland?
Maxi Obexer: Dass der PEN als elitäre Vereinigung gilt kann ich nicht bestätigen, es ist die weltgrößte Schriftstellervereinigung und ja, es gibt gewisse Auflagen für den Beitritt, man benötigt zwei Bürgen. Es ist eine Vereinigung, die seit über 100 Jahren existiert, also aus den Kriegen hervorgegangen ist, und die sich einsetzt für Autorinnen und Autoren, die aufgrund ihrer literarischen Äußerungen und ihres Widerspruchs zur Politik verfolgt, bedroht oder inhaftiert werden. Das ist die Hauptfunktion der Vereinigung und die ist extrem wichtig, gerade jetzt. Der PEN hebt auch noch mal die Bedeutung von Literatur und des freien Wortes deutlich hervor. Literatur ist politisch, das zeigt sich am deutlichsten in der Arbeit des PEN. Deshalb setze ich mich auch dafür ein, dass diese über 100 Jahre gewachsene Organisation einerseits bewahrt bleibt und andererseits erneuert wird.
 
 
Wie sieht es mit Beispielen für aktuelle Projekte aus?
Es gibt zwei Hauptprogramme, das „Writers in Exile“ und das „Writers in Prison“.
Im ersten werden Leute, die politisch bedroht sind oder im Gefängnis sind, nach Deutschland geholt, wo ihnen Exil angeboten wird, also eine Unterkunft und finanzielle Unterstützung. Auch in „Writers in Prison“ geht es um die enge Zusammenarbeit mit dem Internationalen PEN, mit Sitz in London. Kontakt zu den Autor:innen, die in Haft sind, Rechtsbeistand, Sichtbarkeit, Öffentlichkeit. Und natürlich mit dem Ziel, sie aus dem Gefängnis rauszuholen.
Es sind sehr viele Autorinnen derzeit in Deutschland im Exil, afrikanische Autor:innen, ukrainische, türkische, syrische, irakische, iranische … Demnächst führ ich ein Gespräch mit dem PEN-Präsident in Myanmar über deren Situation. Letzte Woche habe ich drei sudanesische Autor:innen getroffen, Stella Nyanzi, Stella Gaitano, Kakwenza Rukirabashaij. Das sind die laufenden Projekte. Erstmal wird dafür gesorgt, dass alle Diplomatie der Welt eingesetzt wird um Leute, die im Gefängnis sitzen, rauszuholen. Julian Assange wurde vor Kurzem zum Ehrenmitglied ernannt. Auch Deniz Yücel wurde mit Hilfe des PEN aus dem türkischen Gefängnis rausgeholt. Das sind die laufenden Aufgaben, hinter denen ein großes Netzwerk steht, das sich bemüht, dass Menschen nicht zum Verschwinden gebracht werden, dass ihre Stimmen weiterhin hörbar bleiben, oder sie nach Deutschland kommen und hier im Exil gehört werden können. Das ist das, wofür ich mich besonders einsetze, dass es zu einer großen Sichtbarkeit ihrer Gedanken, Werke und Literatur kommt. Einmal ist es wichtig für sie, weiterhin literarisch aktiv zu sein und gehört zu werden, andererseits gibt es auch uns die Möglichkeit tiefen Einblick zu erhalten in die politischen Situationen aus welchen heraus sie schreiben.
 
Bisher gab es eine dominante Runde von, ich sage mal Altherren, der das sehr einsatzkräftige Präsidium unter dem Vorsitz von Deniz Yücel einfach zu forsch und zu schnell war.
 
Es gibt zum einen den PEN, der als Tradition wichtig ist, zum anderen aber auch, abseits der Projekte, die fortlaufend sind, den Wunsch nach Veränderung. In welcher Hinsicht wünschen Sie sich den PEN anders?
Es gibt bestehende und gewachsene Strukturen, die als solche funktionieren. Dann ist es Zeit, dass der PEN erneuert wird, dass die Mitglieder aktiver werden. Und das war eine Ursache des Eklats: Bisher gab es eine dominante Runde von, ich sage mal Altherren, der das sehr einsatzkräftige Präsidium unter dem Vorsitz von Deniz Yücel einfach zu forsch und zu schnell war. Ich denke, das Problem war, dass die bestehenden Arbeitsabläufe im Büro in Darmstadt auf eine neue Leitung trafen, die sehr schnell und effizient vorangehen wollte und dass das geclasht ist. Plus ist noch die Pandemie dazugekommen. Ich glaube, es ist wichtig, dass bei einer Erneuerung das ganze Haus und alle Strukturen an diesen dynamischen Prozessen eingebunden sind und alle mit Lust und Leidenschaft arbeiten.
 
Hat die aktuelle Krise vielleicht auch damit zu tun, dass sich der PEN für politisch Verfolgte einsetzt, aber in gewissen Situationen - ich spreche etwa vom Krieg in der Ukraine - nicht eindeutig Partei ergreifen kann. Wie kommt man heraus aus dieser Zwickmühle?
Im Grunde kann es leicht gelöst werden. Kein Präsident oder keine Präsidentin des PEN kann jemals alle Stimmen widerspiegeln. Das ist unmöglich bei 800 Mitgliedern. Aber ich glaube, bei öffentlichen Meinungsäußerungen ist es ein Leichtes zu sagen „Das ist meine persönliche Meinung und trifft nicht mit Sicherheit auf die Gesamtheit der Beteiligten des PEN zu.“ Sofern es nicht um fundamental unterschiedliche Haltungen geht, wie eine pro-russische Einstellung zum Krieg, kann – und soll die eigene Meinung zählen. Immerhin geht es um das freie Wort.
 
 
Gegen Frauenrechte wird in Kriegssituationen bekanntlich häufig als erstes verstoßen, merkt das auch der PEN in seiner Tätigkeit? Bedürfen Autorinnen in der aktuellen Situation öfter der Hilfe des PEN als ihre männlichen Kollegen?
Der PEN hat sich in gleicher Weise für die Rechte von weiblichen und männlichen Autor:innen eingesetzt, aber klar. Es geht natürlich auch sehr um die Bedrohungen, denen hauptsächlich Frauen ausgesetzt sind. Eine Reihe von anderen Realitäten können zur Verfolgung führen. Stella Nyanzi beispielsweise forderte unter anderem Hygieneartikel für die Studentinnen an den Universitäten in Uganda, eine kleine Sache, von der die universitäre Ausbildung und Karriere von jungen Frauen abhängt. Sie kam in Isolationshaft und lebt derzeit mit ihren drei Töchtern in München.
 
Die Diffamierungen an Frauen, die sich öffentlich äußern hat exponentiell zugenommen, genau wie die Verbrechen von Männern an Frauen.
 
Wir haben mit Juni aktuell auch wieder Pride Month, wie sehr sind Verfolgung auf Grund sexueller Orientierung oder Gender-Identität ein Thema, oder befasst sich der PEN mehr mit politischer Verfolgung?
Das kann man nicht trennen. Das ist politisch. Natürlich geht es auch um Autor:innen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Das war so und wird so sein und ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass es dafür auch eine verstärkte Sensibilisierung geben wird.
Der PEN ist ein seit Jahren gewachsenes Unternehmen und ich möchte auch nicht unterstellen, dass es das nicht schon gibt. Seit 100 Jahren beschäftigt man sich mit den Gründen und Arten der Verfolgung, Unterdrückung und Gewalt, da sind Frauen natürlich in ganz besonderer Art und Weise betroffen. Es geht auch um die Verunglimpfung und Herabsetzung durch rassistisches, sexistisches, frauenfeindliches, homophobes oder auch antisemitisches Gedankengut. In anderen Ländern, aber auch in unseren eigenen. Wir haben ja besonders in der Pandemie, aber nicht nur, gesehen, wie häufig Frauen in der Öffentlichkeit, oft auch solche mit Migrationsgeschichte, angegriffen werden. Die Diffamierungen an Frauen, die sich öffentlich äußern hat exponentiell zugenommen, genau wie die Verbrechen von Männern an Frauen. Das ist nicht nur in anderen Ländern so, auch in unseren eigenen und sehr oft betrifft es Menschen, die etwas verändern wollen, die gestalten wollen, die die gleichberechtigte Teilhabe beanspruchen.
 
Wie geht es Ihnen mit Literaturabenden für die Ukraine? Ist das eine schöne Geste oder bringt es etwas? Es entsteht auch das Gefühl, dass dieses gegen den Krieg anschreiben eine Geste der Verzweiflung sei…
Sie sind enorm wichtig, weil es auch direkte Botenberichte sind. Wenn wir uns weiterhin für diesen Krieg interessieren und wir müssen und sollten es, dann haben wir mit den Autorinnen und Autoren, die bei uns Zuflucht finden, den bestmöglichen Einblick. Sie sind Botinnen und Boten. Die ernsthafte Solidarität, die wir geben können, indem wir uns für ihre Gedanken und Literatur interessieren.
 
Wir leben wirklich in einer Welt hier in Europa, in der grundsätzliche Werte wie Menschenwürde, gleiche Rechte und ein friedliches und freies Leben der Menschen zählen.
 
Sie sind auch als glühende Europäerin bekannt. Sind Sie darin derzeit herausgefordert oder zweifeln oder sagen Sie sich „jetzt erst recht“? Welche Werte fordern Sie von Europa ein?
Europa zeigt gerade jetzt, wo wir immer mehr umzingelt sind von autoritären Ländern und autarken politischen Führern oder Diktatoren, auf welcher Insel wir leben: Wir leben in Ländern, in denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit respektiert werden, auch die Meinungsfreiheit.
Auch in unseren Ländern gibt es die beständige Bedrohung durch den Rechtsextremismus und die Tendenz, am besten alles auf Null zurückzudrehen. Aber es besteht mit der EU eine europäische Organisation, eine Art übergeordneten Schirm, der dafür sorgt, dass die bisher hart erkämpften zivilisatorischen Fortschritte bestehen bleiben.
Wenn wir an Südtirol denken, sehen wir wie wichtig es für die politische Minderheit dieses Landes ist, dass es eine Europäische Union gibt. Da gibt es eine übergeordnete Struktur, in der politische Minderheiten dezidiert geschützt sind. Auch die Tatsache, dass Italien bei diesem ersten Gründungsakt der Europäischen Gemeinschaft war, sollten wir nicht vergessen. Neben der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit ist die Meinungs- und die Pressefreiheit enorm wichtig für demokratische Prozesse. Ebenfalls verbürgt und geschützt ist die Kunst, die ja eine enorm wichtige zivilisierende Kraft darstellt. Wir leben wirklich in einer Welt hier in Europa, in der grundsätzliche Werte wie Menschenwürde, gleiche Rechte und ein friedliches und freies Leben der Menschen zählen.
 
Sie haben wieder Südtirol gestreift. In Ihrer PEN-Erklärung auf Ihrer Webseite schreiben Sie auch davon, dass Sie mit Institutionen Erfahrungen gemacht haben, die erneuerungsbedürftig sind. Wie äußert sich das? Gibt es Institutionen auch in Südtirol bei denen Sie mit Ihrem Blick von außen sagen könnten, Sie würden sich mehr erwarten?
Meine Hauptherausforderung ist zurzeit die Bewahrung und die Erneuerung einer großen und wichtigen Organisation wie dem PEN, darum, eine gewachsene Struktur auch mit Erneuerungsdynamiken zusammenzuführen. In den fünf Jahren als Vorsitzende der Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung hatte ich öfters die Gelegenheit, mit den Mitarbeiter:innen im Amt für Kultur zu sprechen. Meine Erfahrung ist grundsätzlich eine sehr gute. Angelika Gasser und auch Armin Gatterer ermöglichen sehr viel und gehen mit großer Offenheit für neue kulturelle Initiativen vor. Das kann auch anders sein und war auch oft anders.
 
 
Bei der von Ihnen mitbegründeten Summer School wird es in diesem Jahr um das Thema „Drama und Trauma“ gehen. Welches sind aus Ihrer Sicht die Traumata der Gegenwart mit denen man sich da auseinandersetzen kann? Was traumatisiert uns gerade? 
Das ist ja das Perfide an den Traumata, sie spielen in die Gegenwart hinein, kommen aber aus der Vergangenheit. Tiefe Verletzungen, tiefe Risse, nie geheilt – gehen auf die nächsten Generationen über. Im Verhalten, im Verschweigen, im Isolieren. Gewalt ist im Spiel, auch gewaltförmige Muster, und die Unterdrückung. So zu tun, als sei nichts gewesen, oder als sei nichts dabei.
Zwei Dinge sind dabei extrem wichtig: Einmal die Frage, was solche Traumata, die aus Gewalt und gewaltförmigen Handeln in patriarchalen Strukturen hervor gehen für Auswirkungen auf die gegenwärtige Gesellschaft haben. Sie sind entsolidarisierend, das heißt, eine Gesellschaft kann schwer zu einem gemeinschaftlichen Denken finden, wenn sie diese kollektiven Traumata und ihre Muster nicht ansieht und aufarbeitet. Das andere, was wichtig ist ist, dass diese beigefügten Traumata eben auch geschlechtsspezifisch sind. Söhne erben oft von ihren Vätern gewaltförmiges, verletzendes Verhalten; Töchter kriegen Verletzungen von ihren Müttern ab, die diese selbst erfahren mussten. Auch darin wird eine beständige Geschlechterspaltung performiert.
 
Haben Sie mit Ihrer jetzigen Aufgabe noch Zeit für Ihr Schreiben als Essayistin, Theater- und Romanautorin, oder fällt das derzeit flach? Wenn nicht, an welcher Art Projekt arbeiten Sie gerade?
Ich stehe momentan früher auf um auch noch zu meinem eigenen Schreiben zu kommen. Ich schreibe ein Buch und habe mit dem WDR ein Hörspiel in Planung. Klar. Das muss alles weitergehen.