Culture | Salto Afternoon

Der Plot verdichtet sich

Das zweite Kapitel von „Plot“, der ersten von Kuratorin Leonie Radine beackerten Ausstellung wurde vor kurzem aufgeschlagen. Die Architekten B&B haben ihm Form verliehen.
Plot II - Asad Raza
Foto: Luca Guadagnini
Aus Asad Razas „Neosoil“ genannten Boden wurden durch Filippo Arenosto Ziegel geformt, die nun so etwas wie ein Haus geformt haben. „So etwas“, weil es sich - und dessen sind sich die Architekten Fabrizio Ballabio und Alessandro Bava (B&B) durchaus bewusst - keineswegs um funktionale Architektur handelt, die im zweiten Stock des Museion entstanden ist. Mit ihnen gemeinsam am Werk war die in Algerien geborene Künstlerin Lydia Ourahmane, wir bewegen uns bei „Kapitel II - 20 x 10 x 5“ (die Dimensionen eines Ziegels) in einer Schnittmenge zwischen Skulptur, Konzeptkunst und Architektur.
Eingangs wurde bei der Eröffnung mit begleitendem Talkformat recht breit über vergangenen Arbeiten von B&B, sowie Ourahmane gesprochen, welche einen architektonischen - oder wohnlichen - Zuschnitt hatten. Auch wurde dem Team an Kultivator:innen, welche bis zum zweiten Kapitel für die Bodenpflege zuständig waren und nun, bis zum abschließenden vierten Kapitel und folgendem „Epilog“ pausieren, gedankt. Dass ihre Arbeit nun ruht, merkt man daran, dass der Boden zusehends vertrocknet, wüstenähnlicher wirkt, was die passende Landschaft für ein solches Bauwerk stellt.
 
Plot II
Plot II: Während des Talks zur Eröffnung des zweiten Plot Kapitels wurde ein ausführlicher Rückblick auf das thematisch relevante Werk von B&B, sowie Ourahmane getätigt. Er war, wie der Boden, etwas trocken.  | Foto: Privat
 
Wurde hier auch nicht mit Wüstenlehm gebaut, die Architektur schlägt in eine ähnliche Kerbe, ist inspiriert durch die Trockenbauweise der etwa in Ägypten vorkommenden Tassili-Häuser, wie auch durch alpine Biwaks (wenngleich hier keine Schutzfunktion erfüllt wird) und die sakrale Binnenarchitektur der Sacelli-Heiligtümer, welche in Kirchen oft über Familiengräbern stehen. Teilt man sich mit letzteren zwar die Befreiung von einer (nichtsymbolischen) Funktion, so ist der augenscheinlichste Einfluss sicher jener der Tassili, wohl auch da Bava und Ourahmane bereits zu eben solcher Architektur in der Wüste von Algier kollaboriert hatten. Die zentrale Frage war damals, anhand von Bildbearbeitung durch Bava, welches der minimale Eingriff wäre um aus der Ruine, die lediglich aus Mauerresten am Boden bestand, ein Haus zu formen. Diesen Minimalismus unterschreitet die symbolische Struktur im Museion in gewisser Weise noch einmal.
 
Reconstituting Enclosure: Alessandro Bavas und Lydia Ourahmane, 2020
Reconstituting Enclosure: Alessandro Bavas und Lydia Ourahmanes erste Zusammenarbeit war 2020, diese Bildbearbeitung. Um aus Mauern ein „Haus“ zu machen, reicht für Bava ein (schwarzer) Eingang. | Foto: Museion, courtesy the artist
 
Der zweite Dank ging an den Architekten Filippo Arenosto, der zu den von ihm geformten Ziegeln sichtlich eine emotionale Bindung aufgebaut hatte und der, sein Experimentieren mit Ziegeln in der ehemaligen Bibliothek des Museion, die seit der Übersiedlung der Bücher an die Universität wenig Nutzung fand, schilderte. Die Bibliothek der Ziegel ist im Titelbild zu sehen. Für Arenosto hatten die Wochen seiner einsamen Tätigkeit etwas von Robinson Crusoe gehabt und seine Aktivität wäre für ihn eine Form des Tagebuchführens gewesen, berichtete der Architekt. Er könne sich genau erinnern, welche der 1780 verbauten Ziegel er an „guten“ und welche er an „schlechten“ Tagen geformt habe. Die Zahl überrascht, vor dem geistigen Auge malt man sich wohl etwas Größeres aus.
Ebenso aus der Wüste entlehnt ist das Schicksal der als „Model“ oder „Proxi“ bezeichneten Struktur: Die Tassili-Bauwerke seien, aus dem Material aus der umliegenden Gegend geformt aus der Sicht mehrerer Generationen lediglich temporäre Strukturen, mit einer Lebensdauer von ca. 100 Jahren. Danach kehrt das Material der bescheidenen Behausungen in den Boden zurück, im starken Kontrast zu unserer modernen Bauweise, welche auf längere Zeiträume ausgelegt ist und deren Demontierung und Materialrückgewinnung keineswegs ein natürlicher Prozess, sondern zeit-, kosten- und energieintensiv ist.
 
Plot II
Plot II: Die errichtete Struktur, deren „Eingang“ zur Talfer hin ausgerichtet ist. In der linken Bildhälfte Akteure der Ausstellung und des Museion. V.l.n.r.: Lydia Ourahmane, Kuratorin Leonie Radine, Alessandro Bava,  Filippo Arenosto, Bart van der Heide, sowie Fabrizio Ballabio. | Foto: Privat
 
Das Miniatur-Haus ohne Dach und mit angedeuteter Tür und Treppenabsatz ist damit, ganz nach der englischen oder italienischen Bedeutung „humble“, oder „umile“, worin etymologisch ja schon der Boden steckt. Während die Struktur in der Zwischenzeit noch im Spannungsverhältnis zu ihrer Umgebung steht, wird es, bevor es dem „Neosoil“ gleichgemacht werden soll, noch einer Tanzperformance von Moriah Evans beiwohnen, welche den Raum am 27. und 28. Juli mit „Kapitel III – Out of and Into: Plot“ in Beschlag nimmt. Die amerikanische Choreographin wird bei der Zusammenarbeit mit Tanz Bozen zum ersten Mal auf italienischem Boden stehen, auch wenn es ein menschengemachter ist. Beide Aufführungstermine sind für 18 Uhr angesetzt, so dass sie in die Goldene Stunde fallen, in welcher das Modellhaus am besten zur Geltung kommt. Auch dann, wenn immer wieder Donnerstagabends freier Eintritt im Haus Museion herrscht und die 1780 Ziegel Fürsprecher haben, welche mehr von ihnen erzählen können.