Politics | Sturm im Wasserglas

Die Wacht am Brenner

Österreich will den Brenner mit Bundeswehrsoldaten und Panzern schützen - eine riskante Wahlkampfposse
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Mitten in der sommerlichen Hitzewelle sorgt die Alpenrepublik für einen Paukenschlag. Urheber des Coups ist einmal mehr Österreichs sattsam bekannter Hardliner an der Migrantenfront. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil erklärt dem Boulevard-Blatt Kronenzeitung, "zeitnah" werde das Bundesheer mit 750 Soldaten und vier Panzern am Brenner auffahren. Zwar sind die Pandur-Panzer in Österreich entwickelt und könnten daher durchaus Unzulänglichkeiten aufweisen wie die sattsam bekannten Klebeflächen der Wahlkuverts, die Österreich weltweiten Spott einbrachten. Dass Doskozils Ankündigung unmittelbar vor dem zweitägigen Treffen der EU-Innen - und Justizminister in Tallinn erfolgte,  das dem Migrationsproblem gewidmet ist, beweist  besonderes Fingerspitzengefühl. Unterstützt wurde der kämpferische Minister umgehend vom neuen, plebiszitär bestellten ÖVP-Chef Sebastian Kurz, dessen notorische Selbgefälligkeit durch den rascher Höhenflug  offenbar zusätzlich beflügelt wurde. Kurz: "Wir werden die Brennergrenze schützen, wenn es notwendig ist". Rückfall in die 60er Jahre oder nur  peinlicher Populismus ?   O-Ton Kurz:  "Notwendig ist nicht nur der Schutz der Brennergrenze, sondern auch die "sofortige Schliessung der Mittelmeeroute". Wie das zu bewerkstelligen sei und ob dazu auch österreichische Amphibienfahrzeuge eingesetzt werden sollen, liess der 29-jährige offen, der letzthin mit fast 100 Prozent der Stimmen in den Chefsessel der ÖVP gehievt wurde - einer Mehrheit, bei der Wladimir Putin vor Neid erblassen dürfte. Verschwommen blieb auch, vor welchen Feinden Kurz die heilige Brennergrenze schützen will. Vor einigen eriträischen Migranten, die sich in der Dunkelheit über die Berge quälen ?

Tatkräftig unterstützt wurde die hochsommerliche Offensive auch vom stets farblosen Tiroler Landeshauptmann Günther Platter: "Wenn es die Lage erfordert, lege ich Wert darauf, dass nicht Rücksicht auf die Bestimmungen der Europäischen Union genommen wird, sondern im Eigeninteresse des Landes Tirol kein Durchkommen für illegale Migranten am Brenner besteht“.

Das peinliche Sommertheater des Trios Doskozil, Kurz und Platter ist ein empörender Akt politischer Verantwortungslosigkeit. Und gleichzeitig  furioser Auftakt zu einem Wahlkampf, in dem beim Thema Sicherheit keine Partei auch nur die geringste Angriffsfläche bieten will. Einem Wahlkampf, im dem die FPÖ die Sozialdemokraten und die Volkspartei vor sich hertreiben wird.

Weil in der Alpenrepublik das Marionettentheater nie fehlen darf, liess das Innenministerium in Wien umgehend klarstellen, dass "derzeit kein Anlass für Grenzkontrollen besteht". Die Lage sei "seit Monaten stabil." Das bestätigte  einer, der die Situation am Brenner naturgemäss so detailliert kennt wie kaum ein anderer: der Tiroler Landespolizeidirektor Helmut Tomac, der verständnislos auf den Vorstoss  des Duos Doskozil-Kutz reagierte. Grenzkontrollen am Brenner seien derzeit „kein Thema“. Die Vorbereitungen des Verteidigungsministeriums seien „aufgrund der Entwicklung auf der Brennerroute in keiner Weise nachvollziehbar“, erklärte der Polizeichef und präzisierte Grundsätzliches:

"Das Bundesheer hat keine Zuständigkeit für Grenzkontrollen. Das ist primär Aufgabe der Polizei."

Die Aufgriffszahlen würden sich dabei im langfristigen Trend bewegen, also zwischen 15 bis 25 illegale Migranten pro Tag. Am Wochenende würden bis zu 40 registriert. „Derzeit gibt es auf der Brennerroute keine Auffälligkeiten“, betonte Tomac. "Beispielsweise sind in der Kalenderwoche 25 im vergangenen Jahr 168 Aufgriffe verzeichnet worden, heuer waren es in derselben Woche 86". Fast genau die Hälfte.

Dass die österreichische Ankündigung zu einer - ebenfalls überflüssigen - diplomatischen Verstimmung mit Einbestellung des Botschafters ins römische Aussenministerium führte, beweist einmal mehr, dass der Brenner keine gewöhnliche Grenze ist, sondern eine mit ungebrochenem Symbolwert. Das sollte ein Aussenminister eigentlich wissen. Wäre er nicht in jenem Wahlkampf, der den 29-jährigen zum jüngsten Regierungschef Europas machen könnte. Für ein derart verlockendes Ziel nimmt man auch Entgleisungen in Kauf.