Culture | Fotografie

Werner Gassers neues Kunstprojekt

15 Jahre nach seinem ersten Kunstprojekt präsentiert der Künstler Werner Gasser neue Arbeiten im Postkartenformat:
to be continued_2

Ein mit zerfetzten Planen bedecktes Baugerüst in Chicago, Touristen vor einem Gemälde von Botticelli, ein kleiner Tisch in einem privaten Wohnraum in Berlin, die schroffe Erhabenheit der Landschaft in den Dolomiten, ein deutlich in die Jahre gekommenes  Hotelzimmer in Mumbai... das sind nur einige Bilder die Werner Gasser für seine 40-teilige Kartenedition to be continued 2 ausgewählt hat. Die neue Serie verbindet unterschiedliche Sichtweisen auf Landschaften und Räume, auf Städte, Länder und ihre Bewohner.

Das Narrative steckt bereits im Titel der Serie. „to be continued“ bringt eine nach vorne offene Zeit ins Spiel, der Abschluss ist in eine unbestimmte Zukunft verlegt. Was bedeutet, dass das Projekt erst am Ende das wird, was es wirklich wird. Das Suchschema ist und bleibt ein fortgesetzter Aufschub.

Von 1. September 2015 bis 30. Juni 2016 beherbergen sieben Kunst- und Kulturträger in Südtirol dieses Projekt. Jeden Monat liegen in den ausgewählten Standorten vier unterschiedliche und in limitierter Auflage gedruckte Karten auf, die zur freien Entnahme angeboten werden. Ob die künstlerischen Arbeiten als Lesezeichen, Kühlschrank-Pin oder schnell gefasster Bilder Gruß ihren Platz im alltäglichen Leben der Besucher der Galerien finden werden? Die Welt des Museums und der Galerien werden sie jedenfalls hinter sich lassen.

                           
Hier die Standorte: ES gallery Meran | Kunst Meran | Kunstraum Café Mitterhofer Innichen | Deutsche Landeskulturabteilung Bozen, A. Hoferstr. | Galerie Lungomare Bozen | Museion Bozen | Galerie Prisma Bozen

Aus dem einfühlsamen Begleittext von  Heinrich Schwazer :

Werner Gassers Postkarten-Edition to be continued habe ich kurz nach ihrer Veröffentlichung im Jahr 2000 erstmals zu Gesicht bekommen. Ich begann die 15 Karten durchzuschauen, wieder und wieder, von vorne nach hinten, als Serie und wie ein großes Gemälde vor mir ausgebreitet. Ich war gebannt. Danach dachte ich über viele Fragen der Fotografie anders als zuvor. 
Die erste Begegnung war die eines provozierenden Rätsels. New York-Fotografien mit ihren klassischen Vertikalen waren in auffälliger Weise abwesend. Auf den ersten Blick war es die Bildersammlung eines urban explorers ohne Stadtplan, der sich das Vergnügen leistet, sich zu verirren. Einer, der sich wie Paul Valérys aufmerksamer Schlafwandler weitgehend abseits der schwarmgesteuerten Touristenpfade bewegt und der keiner Rechtfertigung bedürfenden Lust des Schauens frönt. Die spontane Schnappschussfotografie, für gewöhnlich Ausweis der Authentizität in der Fotografie, war darin ebenso enthalten wie die kompositorisch präzise Strukturierung von Wahrnehmungsereignissen. Das Paradox des Fotografen, der das Offensichtlichste und Ungreifbarste überhaupt, den gegenwärtigen Augenblick, erhaschen will und sich bewusst ist, dass Spontaneität ihrerseits sehr rasch „gestellt" wirken kann, stecken als entgegengesetzte und zugleich konstitutive Momente gleichermaßen in Gassers Arbeiten. 

Die Schönheit dieser Fotografien war unbestreitbar, aber es war eine Schönheit, die sie nicht gleich vorwiesen und zweifelhaft schien mir, ob Schönheit überhaupt der richtige Begriff war. Ein poetisches In-der-Welt-Sein drückte sich in ihnen aus, die lyrische Haltung von Haikus untergründig ineinander verwobener Lebensmomente, die eins überrascht von des anderen Gegenwart sind. 
Nur auf wenigen Fotos ließ sich der Ort identifizieren, weil sämtliche raumschaffenden Werte eliminiert beziehungsweise unterdrückt waren, Ich hatte den Eindruck, einem Stadtwanderer von Irgendwo nach Irgendwo zu folgen. Welches Bild sich dem Fotografen in der Hingabe des Sehens als das wichtigste, naheliegendste, entfernteste oder auch niemals erreichbare herausstellen wird, schien selbst in ein gleitendes Unterwegssein verlegt zu sein. ....

Auf eine geradezu körperliche Weise war die Präsenz des Fotografen spürbar. Er nimmt einen mit auf die Straße, ins Museum, aber auch unter die Dusche, zum Essen, besucht offene und geschlossene Räume und überträgt diese Erfahrungen ins Bildliche. Dezent und doch radikal persönlich zeigt er sich als ein Reisender mit allen Sinnen, der nicht das Losgelöstsein vom Alltag zelebriert, sondern im Gegenteil die Lust am Alltäglichen. Der Übersetzungsprozeß vom Erleben zum Erzählen zum einen,  die Übersetzung der fremden Welt in die eigene zum anderen, macht die Bilder als Partikel eines Lebensgefühls begreifbar.


Das Narrative steckte bereits im Titel der Serie. to be continued bringt eine nach vorne offene Zeit ins Spiel, der Abschluss ist in eine unbestimmte Zukunft verlegt. Was bedeutet, dass das Projekt erst am Ende das wird, was es wirklich ist. Das Suchschema ist und bleibt ein fortgesetzter Aufschub. 
15 Jahre danach liegt der zweite Teil von to be continued vor und er wartet mit einer Überraschung auf. Beim Betrachten kehren die Bilder der ersten Serie ungerufen wieder, als ob sie stillgestellt, überschrieben, mehrfach überlagert von anderen Bilderschichten im Gedächtnis verblieben wären, aber eine Präsenz wie im ersten Moment behaupten. Die „memoire involontaire" scheint sich in die konzeptuelle Logik von Werner Gassers Fotoprojekt eingeschlichen zu haben, an kein Ende zu kommen und nie mehr aus dem Sinn geraten zu wollen. 
Was ist geblieben, was ist anders? Geblieben ist in erster Linie der Editions-Modus Postkarte, der im Zeitalter digitaler Distribution eine eigene poetische Kraft entwickelt. Das bedrohte Medium Postkarte spiegelt dabei kein nostalgisches Moment, sondern enthüllt die innerste Bestimmung von Gassers Fotoprojekt als Gabe. Postkarten sind selbst Reisende, sie zirkulieren auf ungeplanten und unkontrollierbaren Wegen, verbinden sich mit anderen Leben, sind durchlässiger als Ausstellungsräume, sind aus Spuren entstanden und hinterlassen selbst Spuren. 
Ihr entscheidendes Merkmal ist das Denken der Postkarte als Gabe. Die Gabe fordert im Gegensatz zum Geschenk kein Gegengeschenk, sie steht außerhalb des ökonomischen Handels, sie ist, wie es der französische Ethnologe Marcel Mauss formuliert, „vielleicht das Unmögliche".  Die Fotos als Postkarten auflegen stellt die Frage, welcher Restplatz der Gabe in der durchökonomisierten Gesellschaft noch bleibt. Eine Postkarte wendet sich an alle und niemanden, sie ist unvorhersehbar, flattert wie ein Zeichen aus einer anderen Welt herein. Die Welt durch eine Postkarte zu sehen, heißt auch, die Welt mit den Augen vieler anderer zu sehen. 
Die neue Serie bündelt 40 Aufnahmen aus den vergangenen sechs Jahren. Die Formate sind nicht mehr abfallend, sondern in einem Polaroid-Format mit viel Luft herum gedruckt. Allein das verleiht ihnen eine eher epische als dramatische Wirkung. Erneut gewinnen sie ihre bildliche Energie aus der Tiefe des Unterwegsseins, diesmal aber sind die Kreise weiter gespannt.  Berlin, Chicago, Florenz, Mumbai und Assuan in den Tagen des Umsturzes im Februar 2011, aber auch die Fanes Alm in den Dolomiten sind die Reiseziele. Bildtitel fehlen zur Gänze, was die Fotos zeigen, muss aus dem bildnerischen Material erschlossen oder erahnt werden. 


Im Vergleich zur ersten Serie akzentuiert to be continued 2 deutlich stärker die Nuance. Allein die Vielzahl der Variationen, etwa der Blumenmotive, umschreibt nichts als das Individuelle, sie begehren nichts anderes als das gewisse Etwas mit einem ausgeprägten Sensorium für Halb- und Zwischentöne, für Stimmungen und diffizile Spannungen. Falsch verstanden wären diese Nuancierungen als impressionistisches Schwelgen in Details, sie sind als Arbeit am Stil konzeptualisiert. Die Kunst der sprezzatura wirkte in ihnen, jene Beiläufigkeit, bei der man der Kunst ihr Kunstsein nicht ansieht.