So lieben mehrsprachige Paare
Der Belgier Jean-Marc Dewaele ist Professor für Mehrsprachigkeit und angewandte Linguistik an der Birkbeck Universität in London. Er beschäftigt sich primär mit der Verbindung zwischen Emotionen und Spracherwerb, mit mehrsprachigen Paaren und bilingualer Erziehung. Seine Forschung hat ihm bereits etliche Preise eingebracht.
Salto.bz: Herr Dewaele, in Ihrer Forschung haben Sie den Unterschied zwischen ein- und mehrsprachigen Menschen untersucht. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Jean-Marc Dewaele: Meine Studien haben einen markanten Unterschied gezeigt: Mehrsprachige Menschen sind typischerweise offener als einsprachige Menschen. Denn wenn du mit mehreren Sprachen aufwächst, weißt du von klein auf, dass es mehrere Arten gibt, über Dinge nachzudenken oder darüber zu sprechen.
Können wir daraus schließen, dass mehrsprachige Paare konstruktiver miteinander umgehen, und vielleicht weniger streiten, weil sie sich besser in die Sichtweise des anderen hineinversetzen können?
Leider haben meine Studien ergeben, dass Mehrsprachigkeit sich nicht auf die emotionale Intelligenz eines Menschen auswirkt, wovon ich ursprünglich ausgegangen war. Es hat sich eher herausgestellt, dass interkulturelle Paare oder Paare, die unterschiedliche Muttersprachen haben, im Laufe der Beziehung auf Uneinigkeiten stoßen, die sie anfänglich nicht bedacht hatten.
Zum Beispiel?
Sich verlieben – das kann man in jeder Sprache. Doch über Gefühle zu sprechen erweist sich in einer anderen Sprache oft als schwierig. Das ergab eine Studie, die ich mit 429 Teilnehmenden durchgeführt habe. 80 Prozent gaben aber an, dass diese Kommunikationsprobleme mit einem Partner aus einer anderen Sprachgruppe nach ein paar Monaten Beziehungen wieder verschwinden.
Karl der Große soll gesagt haben: Eine zweite Sprache, ist wie eine zweite Seele. Ändern mehrsprachige Menschen, wenn sie in die zweite oder dritte Sprache wechseln, ihre Persönlichkeit?
Es stimmt, dass 80 Prozent der Mehrsprachigen sich anders fühlen, wenn sie Sprache wechseln. Die Selbstwahrnehmung muss aber nicht unbedingt der Realtiät entsprechen. Manche Menschen fühlen sich in einer andren Sprache einfach deshalb anders, weil sie weniger sicher sprechen. Was auch viele berichten: Sie können in einer anderen Sprache über Dinge reden, die in ihrer Muttersprache vielleicht als Tabu gelten.
In einer Studie untersuchen Sie dieses Phänomen. Sie schreiben, dass es in einer Fremdsprache zum Beispiel leichter fallen kann, über traumatische Erlebnisse zu sprechen oder über negative Emotionen und das Potential für die Psychotherapie hat.
Die Studie habe ich mit Flüchtlingen durchgeführt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in ihrem Heimatland gefoltert wurden und in London Asyl bekommen haben. Dort erhielten sie auch Psychotherapie auf Englisch. Bei Folteropfern ist die Konsequenz leider oft, dass sie ihr Selbstgefühl verlieren. Doch bei den Therapiestunden realisierten die Betroffenen, dass sie in der englischen Sprache ihre Wahrnehmung des eigenen Ichs wieder aufbauen konnten. Ihnen fiel es leichter, über die traumatischen Erlebnisse auf englisch zu sprechen, weil sie emotional distanzierter und ruhiger waren, als in ihrer Muttersprache. Das ist ein sehr mächtiges Werkzeug.
Könnte es bei Streits mit dem Partner oder der Partnerin also zum Beispiel helfen, sich in einer anderen Sprache auszudrücken, um negative Gefühle besser zu verbalisieren, ruhiger zu bleiben?
Ich bin nicht sicher, ob sich die Ergebnisse auch auf den Paaralltag übertragen lassen. Ich glaube, man sollte zum Kommunizieren alle Mittel und Sprachen benutzen, die man hat; je nachdem, wie man sich fühlt. Paare, die eine Drittsprache miteinander sprechen, weil sie die Muttersprache des anderen nicht beherrschen, nutzen bei heftigen negativen Emoitonen wie Wut oder Trauer zum Beispiel häufig ihre Muttersprache. Besonders für Schimpfwörter. Wenn du schnell Dampf ablassen willst, eignet sich nun mal die Muttersprache am besten. Und wenn dein Partner sie nicht versteht, ist das noch ein extra Bonus dazu (lacht).
Lustig, dass Sie Schimpfwörter ansprechen. Unter deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtirolern zeigt sich nämlich das gegenteilige Phänomen: Je verärgerter man ist, desto leichter wechselt man mitten im deutschen Redeschwall zu italienischen Flüchen.
Sprachentscheidungen hängen immer mit der Geschichte des Ortes zusammen und den Stereotypen, die diese Sprache hervorruft. In einem bilingualen Ort ändert sich also die Interpretation des Wortes, je nachdem in welcher Sprache es gesagt wird. Vielleicht gelten Schimpfwörter auf italienisch als weniger schlimm? Hätte die Person auf deutsch geflucht, wäre das vielleicht als unhöflich aufgenommen worden. Bei einem italienischen Fluch denken die Leute hingegen, er sei lustig und reagieren weniger beleidigt.
Das könnte stimmen. Es liegt also nicht daran, dass die italienische Sprache einfach über mehr Fluchwörter verfügt?
Ich glaube in jeder Sprache gibt es eine ausreichende Fülle an Schimpfwörtern. Obwohl – die Basken behaupten ja scherzhaft, ihre Sprache hätte keine Schimpwörter. Deswegen benutzen sie nur spanische Flüche, was laut ihnen gut passt, weil die spanische Sprache sowieso hässlich sei.
Sie können in einer anderen Sprache über Dinge reden, die in ihrer Muttersprache vielleicht als Tabu gelten
Kommen wir vom Streit zurück zur Liebe. Sage ich zu meinem Partner "Ich liebe dich"– ändert sich die Bedeutung dieses Satzes je nach Sprache, die ich benutze?
Ein Großteil meiner Studienteilnehmenden ist sich einig, dass der Satz "Ich liebe dich" in unterschiedlichen Sprachen auch unterschiedliche Assoziationen hervorruft. Das liegt daran, dass jede Sprache über einzigartige emotionale Konzepte verfügt. Das deutsche "Ich liebe dich" wird zwar mit "I love you" ins Englische übersetzt. Aber die Konzepte hinter den beiden Ausdrücken werden nie zu 100 Prozent übereinstimmen. Zum Beispiel wird "I love you" auch zwischen Eltern und Kindern gesagt, was im Deutschen und anderen Sprachen nicht so benutzt wird. Auch wird "I love you" in den USA und Australien leichtfertiger und oberflächlicher benutzt. Man muss sich diesen kulturellen Hintergründen bewusst sein, um nicht in soziale Fettnäpfchen zu treten.
Sind Sie selbst schon mal in ein solches Fettnäpfchen getreten?
Oh ja! Als ich 1994 nach London kam, sollte ich für die Französisch-Fakultät einen neuen Einstufungstest entwerfen. Als ich meine Idee präsentierte, sagte der Fakultätsleiter dazu: "interessant". Ich dachte, das sei ein positiver Kommentar. Doch als ich ihn fragte, ob ich den Test umsetzen solle, entgegenete er: Auf keinen Fall! Da erst habe ich verstanden, dass dasselbe Wort, in diesem Fall "interessant", in einer anderen Sprache das Gegenteil meinen kann.
Wenn ich mit der Partnerin oder dem Partner aus einer anderen Sprachgruppe zusammenlebe – wie kann ich solche sprachlich-sozialen Missverständnisse vermeiden?
Besonders Wörter, die Emotionen ausdrücken, beinhalten immer auch einen nicht-verbalen Aspekt, wie Körpersprache. Darauf sollten wir bei den Partnern achten: Lächelt er bei dem Satz? Tut er dabei etwas mit seinen Händen? Wie betont sie das Wort? Das betrifft aber einsprachige Paare genauso.
Ich war sehr schockiert, als ich in meinen Befragungen herausfand, dass sich in den meisten Fällen die Frauen an ihre Männer anpassen und deren Sprache benutzen; nicht umgekehrt.
Nehmen wir an, in einer Partnerschaft sprechen beide eine andere Muttersprache. Gibt es Indikatoren dazu, welche als gemeinsame Kommunikationssprache ausgewählt wird bzw. welcher der beiden Partner sich dem anderen eher anpasst?
Gibt es. Ich war sehr schockiert, als ich in meinen Befragungen herausfand, dass sich in den meisten Fällen die Frauen an ihre Männer anpassen und deren Sprache benutzen; nicht umgekehrt. Ich habe mich gefragt: Heißt das, Frauen lassen sich eher "dominieren" wenn es um die Sprachpräferenzen geht? Was bei der Studie auch herauskam: Frauen machen sich mehr Sorgen darüber, nicht in der Lage zu sein, dem Partner ihre Gefühle richtig kommunizieren zu können. Männliche Teilnehmer schienen sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.
Ein wichtiger Aspekt ihrer Forschung zu Sprache ist Humor. Bedeuten zwei Sprachen automatisch auch zwei Arten von Humor?
Unvermeidlich, ja. Denn was wir lustig finden, ist mit der Kultur verbunden, in der wir aufgewachsen sind. Ich erinnere mich daran, in einem Umfeld aufgewachsen zu sein, in dem viele sexistische Witze erzählt wurden, die Leute lustig fanden. Ich habe wahrscheinlich mitgelacht. Seit ich in Großbritannien lebe habe ich gemerkt, dass ich sexistische Witze nicht mehr ertrage. Jedesmal, wenn in Belgien jemand einen solchen Witz erzählt, werde ich richtig wütend. Ich habe mich also dem britischen Denken kulturell angepasst, sodass sich dadurch auch mein Humor teilweise verändert hat.
Die Tendenzen, über die wir bisher gesprochen haben, was Humor, Streit und emotionale Kommunikation angeht: gelten sie auch für Dialekte? Also für Paare, in denen ein Teil zum Beispiel hochdeutsch spricht, der andere den Südtiroler Dialekt?
Im Grunde ist eine Sprache nichts anderes als ein Dialekt, der besonders viel Glück hatte. Menschen, die also unterschiedliche Varianten einer Sprache sprechen, würde ich als mehrsprachig bezeichnen. Ein Bozner, der zuhause Dialekt spricht, und in der Schule hochdeutsch gelernt hat, der spricht zwei Sprachen. Damit gehen auch unterschiedliche soziale Prägungen hervor. Du sprichst mit deiner Lehrperson wahrscheinlich anders, als mit deinen Freunden im Sportklub und wieder anders, als mit deinen Eltern. Da gibt es viel mehr Diversität, als wir realisieren. Paare, die eine Hochsprache und einen Dialekt sprechen haben also zwei verschiedene Sprachen und damit einhergehen kulturelle Konzepte zur Verfügung. Sie müssen entscheiden, welche der beiden sie untereinander nutzen, um die bestmögliche Kommunikation für sich zu finden.