Culture | Salto Weekend

Das Verschwiegene

19 Geschichten und seine eigene stellt Markus Moling derzeit im Frei.Raum unter eine Reihe von Portraits. „Die Verschwiegenen“ zeigt höchst „soziale“ Menschen.
Die Verschwiegenen
Foto: Franz Frenes
Welche Wirkung erreicht man mit Anführungszeichen? Man kennzeichnet damit einen Titel oder ein Zitat, wird ein einzelnes Wort aber unter Anführungszeichen gestellt, so ist der Effekt ein anderer: Die „Wissenschaft“, „Nächstenliebe“ und „Egoisten“ finden sich bei Moling selbst unter Anführungszeichen und man stellt hiermit in Frage. Für den Begriff „sozial“ entschied ich mich, da der Künstler nicht müde wird, den sozialen Charakter der Ausgestellten zu betonen („Es handelt sich dabei um Menschen, die höchst sozial eingestellt sind, z.T. ehrenamtlich aktiv sind, höchst soziale Eigenschaften besitzen und mit Idealismus soziale Berufe ausüben.“). Ich will dies nicht in Abrede stellen, ich will nur an Hand eines Beispiels den Effekt verdeutlichen. Dass dieses Infrage-Stellen nicht wirklich eine Plattform für Diskurs bietet und dass ergebnisoffene Kommunikation in unserer heutigen Gesellschaft schwierig geworden ist, ist schade.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich habe kein Problem mit dem Künstler oder den anderen abgebildeten Personen und habe nicht vor sie als Egoisten und/oder Menschen ohne Nächstenliebe darzustellen. Ich glaube vielmehr daran, dass es ein Kommunikationsproblem auf beiden Seiten gibt und dass wir uns eingestehen müssen, dass die Gründe sich zu impfen, bzw. sich über die Impfpflicht hinweg zu setzen, viele sind. Man kann sich aus egoistischen Gründen impfen lassen und sich nicht impfen zu lassen, macht einen nicht gleich zu einem Egoisten. Auch wäre es unangemessen hier schlecht von Verstorbenen zu sprechen, von welchen sich zwei das Leben genommen haben und einmal die Geschichte einer 93-jährigen von der Nichte erzählt wird („im Sinne der Tante“). An diesem Punkt will ich auch eine Triggerwarnung für den Ausstellungsbesuch aussprechen.
 
 
Es zeugt die Entscheidung auf eine Impfung zu verzichten, die auch Mitmenschen schützen würde allerdings von Unsicherheit. Diese entsteht, wenn man alles hinterfragt, dabei die Fragen nicht bis zu einer letztgültigen Antwort verfolgt und im Raum stehen lässt. Damit leistet die Ausstellung einen Beitrag zur Verunsicherung oder sorgt zumindest dafür, dass bereits bestehende Gräben noch tiefer festgegraben werden. Punkt für Punkt finden sich in den Schilderungen Marker, welche Gegenpositionen in Frage stellen, etwa bei der Verweigerung einer Wassergeburt „weil angeblich eine höhere Infektionsgefahr bestehe“. Mehrfach werden Allergien als Grund für eine Impfskepsis und den Wunsch auf eine Impfbefreiung genannt, um welche es sich handelt, nie.
Das Anzweifeln von Fakten ist eine Hälfte des Problems, das Misstrauen gegenüber Institutionen die andere. Ein Ausstellungsbesucher argumentierte mir gegenüber, dass er immer seinen Hausverstand verwende und trotz eines großen Bekanntenkreises kaum jemanden kenne der am Virus verstorben sei. Die Ausstellung ist ein Beispiel dafür, dass eine Filterblase in der sich das wiederfindet, woran wir ohnehin glauben wollten, unsere Bestätigungstendenz nach dem Strich kämmt, statt dass hier ein Ort für Empathie entstehen könnte.
Nun bleibt es am Ende eine Sammlung von Portraits und Geschichten. Keine Dokumentation, eine Darstellung von zum Teil subjektiver Realität. Als Beispiel dafür, dass in unserer Gesprächskultur einiges schief läuft, will ich die Antwort auf eine Fragestellung zu einer Studie des Dänischen Statens Serum Institut im Österreichischen Parlament verlinken. Nicht als aktuellsten Stand der Forschung sondern als Gradmesser der Unsicherheiten in der Kommunikation. Moling verwies in seiner gestrigen Eröffnungsrede auf eine SSI Studie in der 90% der Infizierten geimpft seien. Keine Erklärung im Frei.Raum, keine im Österreichischen Parlament. Dabei könnte man sich, wie vielerorts in der Ausstellung, fragen, was Korrelation und was Kausalität ist. Oft wird Kausalität impliziert, wo diese nicht nachgewiesen wurde. Der Künstler hat sich entschieden, die von ihm bereits online publik gemachten Geschichten nicht mit einem Update zu versehen, sondern sie lediglich zu datieren. Im Fall der 93-jährigen auf einen Tag nach ihrem Tod. Wie wir mit wechselseitig ausschließenden „Fakten“ wieder an einen Tisch kommen und reden können, weiß die Ausstellung nicht und eine passende Sprache dafür findet sie auch nicht.