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Herangehensweisen im Wandel

Wie können wir unseren Blick auf Leistung verändern? Das diskutieren Tamara Lunger und Thomas Reinbacher im UFO in Bruneck und online im Stream. SALTO hat sie getroffen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Tamara Lunger & Thomas Reinbacher
Foto: Tamara Lunger/Thomas Reinbacher
  • Die Dialogreihe start.klar im UFO Bruneck geht wieder los. Thema ist heuer „Leben im Wandel“. An vier Abenden diskutiert Markus Lobis mit ausgewählten Gästen und dem Publikum Themen rund um Veränderungen in Gesellschaft, Politik und Wandel. Den Auftakt machen am Mittwoch, 11. Dezember um 20:00 Uhr Tamara Lunger und Thomas Reinbacher mit dem Dialog „Der Preis der Leistungsgesellschaft – Scheitern als Chance?“

    Große Leistungen wie auch ihre Schattenseiten kennen die beiden Gäste dabei gut. Tamara Lunger ist vor allem als Extrembergsteigerin bekannt, heute arbeitet sie aber unter anderem auch als Mentaltrainerin. „Ich halte unglaublich gerne Motivationsvorträge“, freut sie sich. „Deshalb bin ich schon sehr gespannt auf das Event und die Diskussion mit dem Publikum.“

    Thomas Reinbacher wohnt mit seiner Familie in der Nähe von München. Er ist promovierter Informatiker und Autor des Buches „Nach Grau kommt Himmelblau“. Er erzählt über sich selbst: „In meinem Leben 1.0 ging es lange nur steil nach oben, ich war als Forscher bei der NASA und als Manager bei McKinsey, Amazon und Google tätig. Ich hatte alles. Traumjob, Traumfrau, Traumkind – bis ein schwerer psychischer Zusammenbruch durch Depression mein Leben völlig veränderte. Heute, in meinem Leben 2.0, widme ich mich als Autor und Keynote-Speaker der psychischen Gesundheit, um Stigmata abzubauen und anderen Mut zu machen.“

  • Mut

    Mut wird eine große Rolle an diesem Abend spielen. „Viele Menschen, insbesondere Frauen, kommen zu mir und erzählen mir, dass ich für sie eine Inspiration bin auch mal selber auf den Berg zu gehen, dass sie durch mein Vorbild mutiger geworden sind“, erzählt Lunger. „Und klar, als Bergsteigerin gelte ich als mutig, denn Extrembergsteigen ist oft lebensgefährlich. Was viele aber nicht sehen, ist, dass ich auch oft gescheitert bin. Ich bin körperlich gescheitert, aber auch emotional. Ich habe Menschen verloren und zwischendurch auch mal die Leidenschaft für die Berge. Dieses tiefgründige Scheitern zu verarbeiten hat Zeit, Kraft und Mut gekostet. Es war aber auch immer wieder der Beginn einer neuen Lebensphase, einer neuen Balance. Und es hat mich gelehrt, dass das Leben ein bisschen wie die Berge ist: Es geht immer auf und ab.“

     

  • Tamara Lunger als die beste Version ihrer selbst? Foto: Tamara Lunger
  • Auch in Reinbachers Leben ging es sehr steil aufwärts und dann sehr tief hinab. Er war jahrelang ein Leistungsträger im Beruf und sagt selbst, dass er sein Leben danach ausgerichtet hätte: „Vor meiner psychischen Erkrankung lebte ich nach Werten wie ‚kompetent sein‘, ‚Großes erreichen‘, ‚Anerkennung‘, ‚Karriere‘ und ‚Perfektion‘ – die perfekte Beschreibung der Leistungsgesellschaft. Was ich nicht bemerkte, war, wie sich mein Leben verändert hatte: die Geburt meines Sohnes, die Firmengründung meiner Frau, ein fordernder Jobwechsel und viele weitere große Ereignisse. Während ich diesen Werten weiterhin hinterherlief, habe ich alles vernachlässigt, was mir persönlich guttut. Ich hatte keine Minute mehr für mich selbst. Ich schlitterte in die schwere Depression.“

    Eine Depression, die er durch einen Aufenthalt in psychiatrischen Einrichtungen in den Griff bekam. Ein mutiger Schritt, denn solchen Einrichtungen haftet häufig ein negativer Ruf an. „Die Psychiatrie hat mir das Leben gerettet. Ich war so voller Suizidgedanken, dass ich dieses Interview heute vermutlich nicht geben könnte, wenn meine Frau mich nicht in die geschlossene Psychiatrie begleitet und mich dort einweisen lassen hätte. Während der Depression hatte die Krankheit mein Denken, Fühlen und Handeln vollständig übernommen. Was mir heute vollkommen unvorstellbar erscheint, war damals für mich die klare ‚Lösung‘: Nicht mehr da zu sein wäre das Beste für meine Familie. Natürlich ist das absoluter Unsinn, den ich heute nicht mehr nachvollziehen kann. Ich habe jetzt eine wundervolle Beziehung zu meinem Sohn und weiß, wie viel Schmerz ich meiner Familie damit zugefügt hätte. Genau deshalb ist es mir so wichtig, dass Menschen wissen: Suizidgedanken sind ein Symptom schwerer Depression und müssen unbedingt ernst genommen werden, gerade von Angehörigen. Es ist besser, einmal zu oft Hilfe in einer Klinik zu suchen als einmal zu wenig.“

  • Werte und Wertschätzung

    Auch Tamara Lunger hilft Menschen als Mentaltrainerin. In ihrer Academy will sie Menschen dabei unterstützen, beruflich wie privat die beste Version ihrer selbst zu sein. Aber muss man das überhaupt? Reicht es heutzutage nicht mehr aus, einfach gut genug zu sein? Ist diese ewige Selbstoptimierung nicht wieder ein Symptom unserer ungesunden Leistungsgesellschaft? „Das ist eine gute Frage“, gibt sie zu. „Gut genug zu sein und sich gut genug für etwas zu fühlen, ist wichtig. Aber für mich ist die beste Version meiner selbst zu sein einfach großartig. Und damit meine ich nicht unbedingt die beste Leistung zu bringen. Als Bergsteigerin habe ich eh einen etwas anderen Blick auf Performance als andere Sportarten. Denn hier lässt sich die Leistung gar nicht mal so leicht vergleichen, als in Sportarten, wo Zeiten gemessen und Ranglisten erstellt werden. Im Bergsteigen messe ich mich an mir selber: Was möchte ich erreichen, wie möchte ich es erreichen? Eine Person besteigt einen Gipfel vielleicht ohne Sauerstoff, die andere wählt dafür eine andere Route. Aber wer hat jetzt mehr geschafft? Das wissen nur die Personen selber. Die beste Version von mir hat deswegen nicht zwingend etwas mit Leistung zu tun. Für mich hat eine Person ihre beste Version erreicht, wenn sie eine Aufgabe hat, die sie erfüllt, die sie von Herzen gerne tut und die ihr Energie gibt.“

    Thomas Reinbacher sieht das ähnlich: „Leistung wird immer ein zentraler Bestandteil unserer Gesellschaft sein, aber wir müssen sie neu und sinnvoller definieren – menschlicher, nachhaltiger und werteorientierter. Statt ausschließlich auf Ergebnisse zu blicken, sollten der Weg dorthin und die Art, wie wir ihn gestalten, stärker in den Fokus rücken: Zusammenarbeit, Kreativität und Resilienz müssen genauso zählen wie klassische Erfolgskriterien.“

    Die Herangehensweise ist auch für Tamara Lunger zentral. „Auch zum Bergsteigen gibt es unterschiedliche Ansichten“, meint sie. „Manche wollen einfach den Gipfel erstürmen. Und dann noch einen. Und noch einen. Höher, besser, schneller. Andere – und oft sind das Frauen – haben einen anderen Zugang, eine andere Vision. Hier ist vielleicht eher der Weg das Ziel.“

  • Auf uns aufpassen

    Aber das gilt nicht nur für das Bergsteigen. Auch in der stark leistungsorientierten Tech-Welt von Thomas Reinbacher braucht es eine neue Herangehensweise, die die mentale Gesundheit stärker in den Fokus rückt. „Gerade in der Tech-Branche, wo der Wettbewerb um Talente enorm ist, kostet der Einstellungsprozess für neue Mitarbeitende leicht 100.000 Euro – und das, bevor eine Person überhaupt mit der Arbeit begonnen hat. Es ist also nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, Programme und Angebote zu schaffen, die Mitarbeitende langfristig ans Unternehmen binden und ihre Gesundheit fördern. Führungskräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie müssen als Vorbilder zeigen, dass Pausen, Selbstfürsorge und ein achtsamer Umgang mit sich selbst Teil des Erfolgs sind. Denn Arbeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Ich habe selbst erlebt, wie wichtig diese Einsicht ist. Google ist in vielen Bereichen Vorreiter, wenn es um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden geht. Aber letztlich liegt es auch an jedem Einzelnen, solche Angebote zu nutzen. Rückblickend bereue ich, dass ich diese Möglichkeit damals nicht wahrgenommen habe. Mentale Gesundheit beginnt bei uns selbst, wir können diese Verantwortung nicht auf den Arbeitgeber abwälzen.“

  • Thomas Reinbacher mit seiner Familie Foto: Thomas Reinbacher
  • Zwei Dinge sind Reinbacher daher besonders wichtig. Gerade Männer dazu zu ermutigen, offener mit ihren Gefühlen und Problemen umzugehen. „Depression ist keine Charakterschwäche, und es muss endlich normal werden, dass auch Männer über ihre psychische Gesundheit sprechen. Es sollte vollkommen in Ordnung sein, wenn Männer auch mal weinen, wenn es ihnen seelisch nicht gut geht. Gefühle zu zeigen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut .Darüber hinaus möchte ich betonen, dass es keine Schande ist, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern.“

    Und bei aller Selbstfürsorge nicht zu vergessen, dass eine mentale Erkrankung nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Angehören belastet. „Sie sind die stillen Held*innen unserer Gesellschaft, oft im Hintergrund und doch unverzichtbar. Sie bleiben, wenn die Klinik oder die Therapie abgeschlossen ist, und tragen eine immense Last. Dabei geraten sie selbst oft an ihre Grenzen und riskieren, einen ‚Angehörigen-Burnout‘ zu erleben, wenn sie nicht rechtzeitig lernen, sich abzugrenzen und Freiräume für sich selbst zu schaffen. Mein tiefster Respekt gilt diesen Menschen, denn ihre Leistung wird viel zu selten anerkannt.“

    Ein Beitrag von Jenny Cazzola

  • Den Dialogabend verfolgen

    Der Dialogabend findet im Jugend- und Kulturzentrum UFO in Bruneck am Mittwoch, 11. Dezember um 20 Uhr statt. 
    Reservierungen sind erwünscht: www.ufobruneck.it
    Zudem kann der der Abend via Live-Stream auf www.salto.bz & YouTubewww.facebook.com/UFObruneck verfolgt werden. Für den Livestream ist keine Anmeldung bzw. Passwort erforderlich.
    Die Veranstaltungsreihe „UFO | start.klar.“ ist ein offenes Forum für Begegnung und Debatte und wird vom UFO gemeinsam mit KVW-Bezirk Pustertal und Zigori LAB und in Zusammenarbeit mit SALTO organisiert.