Ablenkung oder Destabilisierung?
Sirenengeheul in wildem Schneetreiben am späten Nachmittag in Istanbul: Kein Verkehrsunglück und auch keine Demonstranten waren diesmal der Grund für das Massenaufgebot an Polizeikräften, sondern ein Selbstmordattentat im Zentrum der Stadt, das ein Blutbad anrichten sollte. Die Bilanz des Anschlags ist unvollständig. Die Attentäterin kam ums Leben, ein Polizist starb, ein weiterer schwebt zwischen Leben und Tod. Mehrere Touristen wurden teils schwer verletzt.
Der Ort des Attentats ist symbolträchtig: In Sultanahmed befinden sich die beiden meistbesuchten Moscheen, die Hagia Sophia und die Blaue Moschee. Sie werden rund um die Uhr von zehntausenden Touristen besichtigt. Deshalb hätte das Attentat verheerende Folgen haben können. Die Selbstmordattentäterin hatte es aber auf die dortige Polizeiwache abgesehen. Sie soll das Gebäude betreten und nach einigen englischen Wortfetzen die Bombe gezündet haben.
In den letzten Monaten und Wochen kam es immer wieder zu Verhaftungen von Polizisten, die als Getreue des exilierten Religionsführers Fetullah Gülen galten. Die letzte Welle von Festnahmen fand am Wochenende statt.
Am Neujahrstag wiederum hatte ein als Linksextremist identifizierter Mann vor dem prachtvollen Sultanspalast Dolmabahce am Ufer des Bosporus zwei Handgranaten auf Polizisten geworfen. Sie waren aber so alt, dass sie nicht explodierten. Deshalb wurde gemunkelt, das Attentat sei gestellt und bestellt, vielleicht sogar von höchster regierungsnaher Geheimdienststelle.
Eine andere Version lautete, es habe sich um eine mafiöse Drohung gegen Erdogan gehandelt. Der Staatschef ist Besitzer großer Unternehmen, im Immobilien-, Handels- und Dienstleistungsbereich.