Culture | Vortrag

Baukultur - Eine öffentliche Aufgabe

Landschaft, Baukultur und Raumplanung - Auftaktveranstaltung mit Raimund Rodewald
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Baukultur für alle ?!
Foto: Architekturstiftung Südtirol

Text: Margot Wittig und Florian Trojer

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

Bauen ist eine öffentliche, gesellschaftspolitische Aufgabe, deshalb müssen wir alle die Achtsamkeit und Sorgfalt für die Landschaft verinnerlichen. Das war eine der Kernaussagen des Gastreferenten Raimund Rodewald bei der Auftaktveranstaltung der Online-Reihe „Baukultur für alle?!“

 

Baukultur ist weder klar definierbar, noch kann sie verordnet werden, sie braucht Bildung, Beschäftigung und vor allem Zeit!

 

Die Gemeinden Südtirols stehen in den nächsten Monaten vor einer riesigen Herausforderung. Das neue Gesetz für Raum und Landschaft sieht vor, dass sogenannte Gemeindeentwicklungspläne erstellt werden, die – grob zusammengefasst – vorgeben, in welche Richtung sich die Gemeinde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickelt. Das ist eine Riesenchance – Sofern die Entwicklungspläne gut und vorausschauend geplant und gemacht werden.

 

Es geht um das Gebaute und nicht Gebaute, um die Schnittstelle zwischen Gebautem und nicht Verbautem

 

Baukultur für alle!?

Genau deshalb möchte die Architekturstiftung Südtirol in Zusammenarbeit mit dem Heimatpflegeverband Südtirol und dem Stadtlabor Bozen mit der Veranstaltungsreihe „Baukultur für alle?!“ alle, die an der Ausarbeitung der neuen Gemeindeentwicklungspläne und an der Umsetzung des neuen Gesetzes für Raum und Landschaft arbeiten, bei dieser Mammutaufgabe unterstützen.

Dafür spricht sich auch die Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer aus. Sie hofft, dass die Spielräume, die das neue Gesetz für Raum und Landschaft für die Baukultur geschafft hat, indem es die Landschaft an erste Stelle setzt und das Bauen erst an zweite, auch genutzt werden und man sich vermehrt damit auseinander setzt, wie sich ein Bau in der Landschaft ausnimmt und welche Bedeutung ein Ensembleschutzplan hat. Das Verständnis für Identitäten und historische Bausubstanz muss aus ihrer Sicht in die Bevölkerung hinausgetragen werden.

Der Präsident der Architekturstiftung Carlo Calderan bringt das Ziel der Veranstaltungsreihe „Baukultur für alle?!“ mit einem Zitat von Arno Ritter vom Architekturzentrum Tirol auf den Punkt: „Baukultur manifestiert sich im Anspruch einer mehrschichtigen Qualität und drückt sich in der Angemessenheit der Mittel, der Sensibilität gegenüber dem Kontext wie der Bauaufgabe und in der gesellschaftlichen Haltung aus, die ein Gebäude einnimmt. Baukultur ist weder klar definierbar, noch kann sie verordnet werden, sie braucht Bildung, Beschäftigung und vor allem Zeit!“

In den nächsten Monaten werden also bei mehreren Onlineveranstaltungen Menschen zu Wort kommen, die sich bereits seit Jahren mit den Themen Baukultur, Raumordnung, Landschaftsschutz, Gemeindeentwicklung und Partizipation beschäftigen.

 

 

Auftaktveranstaltung mit Raimund Rodewald

Bei der Auftaktveranstaltung referierte Raimund Rodewald über das Thema Landschaft, Baukultur und Raumplanung – Eine öffentliche Aufgabe. Raimund Rodewald ist seit 1992 Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und lehrt an der ETH Zürich „Landscape Aesthetics“. „Rodewald könnte“ – so bringt es der Präsident der Architekturstiftung Carlo Calderan in seiner Einführung auf den Punkt – „jede Position in den neuen geplanten Gemeindekommissionen besetzen, er ist Experte für alles was wir brauchen um eine gute Planung zu machen.“

Grundsätzlich ist das neue Gesetz für Raum und Landschaft eine sehr gute Grundlage betonte Rodewald zu Beginn seines Vortrags, so komme etwa Neun Mal der Begriff Baukultur vor. Auch der breite Raum, der den Fachkommissionen gegeben wird ist grundsätzlich gut, die Frage ist aber immer, wie das Gesetz vor Ort in den Gemeinden umgesetzt wird.

 

Es gibt eine konzeptionelle Grundlage, den übergeordneten Landschaftsplan, das ist das Leitbild für das gesamte Land. Mit den Gemeindeentwicklungsplänen wird dieser übergeordnete Plan auf die Gemeindeebene umgeleitet.

 

Der übergeordnete Landschaftsplan und die Gemeindeentwicklungspläne

Es gibt eine konzeptionelle Grundlage, den übergeordneten Landschaftsplan, das ist das Leitbild für das gesamte Land. Mit den Gemeindeentwicklungsplänen wird dieser übergeordnete Plan auf die Gemeindeebene umgeleitet. Es ist ganz wichtig, dass dieser Prozess fachliche Begleitung bekommt und von der Bevölkerung begutachtet werden kann. Die Vorgaben müssen sichtbar und transparent gemacht und die Qualitäten erklärt werden. Das Land muss mit den Gemeinden eng zusammenarbeiten, hier braucht es finanzielle und konzeptionelle Hilfen und vor allem auch professionell moderierte Partizipation der Bevölkerung. Über Partizipation kann der Stolz der Bevölkerung für die Baukultur angeregt werden. Kommt dann über Fachkommissionen fachliche Kompetenz noch dazu, entsteht eine Win-Win Situation.

 

...Tourismuszonen außerhalb der Siedlungsgrenzen [...] das durchtrennt das gute Prinzip des neuen Gesetzes...

 

Verdichtung innerhalb der Siedlungsgrenzen ist wichtig – aber nicht um jeden Preis

Die Verdichtung innerhalb der Siedlungsgrenzen ist eine wichtige Möglichkeit, um die Bedürfnisse nach Wohnen und Wirtschaften zu erfüllen und gleichzeitig die Landschaft außerhalb der Orte vor Zersiedelung zu schützen. Das darf aber nicht als Allheilmittel gesehen werden, dem alles andere unterzuordnen ist.

Es braucht auch einen Grüngürtel im Dorfkern. Das Dorfbild, wiederkehrende Ein- und Ausblicke müssen geschützt werden. Denkbar ist etwa ein Abtausch von Bauparzellen, bei dem manche Bauparzellen verdichtet und andere frei werden bzw. bleiben. Ein wichtiges Werkzeug dafür ist in der Schweiz die sogenannte Mehrwertabgabe für neue Bauflächen, über die die Gemeinden einiges steuern kann. Die muss aber unbedingt zweckgebunden sein.

 

 

Neues Landesgesetz ist eine gute Grundlage, aber…

Grundsätzlich – so betont Raimund Rodewald auch abschließend noch mal – sei das neue Landesgesetz für Raum und Landschaft ein gutes Gesetz, das in die richtige Richtung weist. Aber es gibt auch Schwachstellen. So kann es problematisch sein, dass der Ensembleschutz reine Gemeindekompetenz wird. In der Schweiz braucht es für Änderungen innerhalb der Zonen mit Ortsbildschutz (entspricht dem Ensembleschutz in Südtirol) immer eine kantonale Bewilligung, das heißt, die Zustimmung des Landes. Auch Veränderungen an geschützten und besonders schönen und wertvollen Landschaften sollten immer eines Gutachtens durch das Land bedürfen.

Eine weitere große Differenz zur Schweiz sieht Rodewald in der Möglichkeit zur Erweiterung von Bauernhöfen für Ferienwohnungen außerhalb der Siedlungsgrenzen um 1000 bzw. 1500 m³. Das ist sehr problematisch und aus Sicht der Baukultur ist eine Kubikmeterangabe nicht sinnvoll. Wenn in der Schweiz von Erweiterung gesprochen wird, dann wird in Prozent gerechnet, denn es ist doch entscheidend ob ein kleines oder großes Gebäude für die Erweiterung zur Verfügung steht. Ferienwohnungen in Bauernhöfen sind in der Schweiz sowieso nur in der bestehenden Baukubatur möglich.

Wichtig ist auch, dass die Baukostenabgabe zweckgebunden ist. Die Gelder aus Raumordnungsvereinbarungen dürfen nicht als Steuer gesehen werden, sondern müssen direkt wieder in die Raumplanung fließen.

Als letztes greift Rodewald die Möglichkeit neuer Tourismuszonen außerhalb der Siedlungsgrenzen auf. Das durchtrennt das gute Prinzip des neuen Gesetzes, dass außerhalb der Siedlungsgrenzen primär nur für die Landwirtschaft Baumöglichkeiten sichergestellt werden und die eigentliche Bauentwicklung innerhalb der Siedlungsgrenzen stattfinden soll. Solche Inselbauzonen mitten in der unverbauten Landschaft für neue und erweiterte Tourismuszonen, wie sie das neue Gesetz vorsieht, wären in der Schweiz absolut unbewilligbar.

 

...aus Sicht der Baukultur ist eine Kubikmeterangabe nicht sinnvoll...

 

Landschaft als verletzliches Gut

Im neuen Landesgesetz ist interessanterweise auch der Begriff Identität enthalten, ein Begriff, der sehr schwierig zu fassen ist. Für Rodewald bedeutet Identität in Baukultur und Raumplanung wahrgenommene Qualität einer Mensch-Landschafts-Beziehung.

Landschaft ist nicht nur der Raum außerhalb des Siedlungsgebietes, sondern der gesamte Raum, nur mit unterschiedlichen Prägungen: vom städtischen Raum über zersiedelte Gebiete bis zur ursprünglichen klassischen Kulturlandschaft mit Trockenmauern und dann zur alpinen Almlandschaft.

Baukultur betrifft nicht nur Bautätigkeit, sie umfasst menschliche Tätigkeiten, welche die Landschaft verändern. Es geht um das Gebaute und nicht Gebaute, um die Schnittstelle zwischen Gebautem und nicht Verbautem. Es geht um Raumentwicklung für geordnete Besiedelung des Landes unter zweckmäßiger, nachhaltiger Nutzung (paesaggio condiviso).

Diese Qualität wird von einer Bevölkerung, einer Gemeinde und jedem Einzelnen wahrgenommen und schafft Identität, das heißt sie schafft Heimatgefühle, Verbundenheit und – um es emotional auszudrücken – Liebe.

Doch Landschaft ist ein verletzliches Gut, zu dessen Schutz und Aufwertung es einer öffentlich-rechtlichen Regelung bedarf. Es geht um Identität und Lebensqualität. Wir alle sind gefordert, das Gebaute und die Landschaft als gemeinsames Gut weiter zu entwickeln.

Bauen ist also niemals nur eine private, sondern immer auch eine öffentliche, gesellschaftspolitische Aufgabe, deshalb müssen wir alle die Achtsamkeit und Sorgfalt für die Landschaft verinnerlichen.