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Journalismus – wichtiger denn je

Der zweite startklar Dialogabend steht bevor. Thema dieses Mal der Journalismus in der Krise und mit seinen Krisen. Eingeladen sind Lissi Mair und Christian Stöcker.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Lissi Mair & Christian Stöcker
Foto: Manuela Tessaro; Dinny Stöcker
  • Nach dem sehr erfolgreichen ersten start.klar Dialogabend (wer ihn verpasst hat, findet hier die Aufzeichnung), steht bereits der zweite in den Startlöchern. Am Mittwoch, 15. Jänner ab 20:00 Uhr diskutiert Markus Lobis mit Lissi Mair und Christian Stöcker zum Thema „Multiple Krisen und Journalismus – Fehlt der Durchblick?“

    Lissi Mair war bis zu ihrer Pensionierung Journalistin bei der Nachrichtenagentur ANSA und von 2021 bis 2023 Präsidentin der Journalistenkammer von Trentino-Südtirol. Sie ist gerade dabei, ihr Philosophiestudium abzuschließen und beschäftigt sich schon länger intensiv mit Fragen der journalistischen Ethik.

    Christian Stöcker ist Kognitionspsychologe, Journalist, Publizist und Professor für Digitale Kommunikation. In seinem aktuellen Buch Männer, die die Welt verbrennen zeigt Stöcker auf, wie die Erdölwirtschaft agiert, um ihr Geschäftsmodell möglichst lange zu erhalten. Dass sie dabei durchaus auch erfolgreich ist, führt Stöcker auch auf ein komplexes Medienversagen zurück.

  • Medien in der Kritik?

    Dass wir in einer Zeit großer Herausforderungen leben, ist den beiden Expert*innen mehr als bewusst. Aber auch, dass die Medien eine wesentliche Rolle in der Bewältigung dieser Krisen spielen. Besonders Christian Stöcker beschäftigt sich intensiv mit der Beziehung zwischen der Klimakrise und den Medien. Darauf wird er sich auch am Dialogabend konzentrieren. „Den meisten Leuten ist nach wie vor nicht bewusst, wie viel Desinformation zum Thema Klima und Energie weiterhin im Umlauf ist. Die von den Ölkonzernen und den Petrostaaten herbeifinanzierten Organisationen, Netzwerke ‚Think Tanks‘, ‚Stiftungen‘ und so weiter, die früher die Klimakrise einfach geleugnet haben, sind immer noch da. Klimawandelleugnung ist außer Mode gekommen, jetzt wird Zweifel an den Gegenmaßnahmen gesät. Das Ziel ist immer das gleiche: Möglichst lang weiterhin mit Öl und Gas – und manchmal auch mit Kohle – Geld zu verdienen. Es wird permanent gelogen, und leider übernehmen auch Medien und Politik diese Desinformationserzählungen allzu oft ungeprüft“, erzählt er und findet kritische Worte. „Man kann in jedem Fall festhalten, dass die Medienlandschaft der Klimakrise und ihrem Ausmaß, was den Umfang und die Intensität der Berichterstattung angeht, weiterhin absolut nicht gerecht wird. Aussagen die mit ‚die Medien‘ beginnen sind so pauschal, dass sie meistens falsch sind, aber in diesem Fall stimmt es tatsächlich. Man sieht das zum Beispiel daran, dass die Klimakrise, die größte Krise in der Geschichte der Menschheit, im nachrichtlichen Kontext sehr oft weiterhin im Wetterbericht stattfindet. Die TV-Meteorolog*innen sehen die Untätigkeit von Politik und Gesellschaft, sind fassungslos, weil sie als Fachleute ja wissen, was wirklich los ist, und machen deshalb oft so etwas wie Guerilla-Klimaberichterstattung, zum Beispiel, indem sie bei Extremwetterkatastrophen ausführlich erklären, was das mit der Klimakrise zu tun hat, und dass so etwas jetzt immer häufiger werden wird. Das ist ein Symptom: Die größte Krise der Menschheitsgeschichte ist nicht nur ein Thema für den Wetterbericht. Sie wäre ein Thema für praktisch alle Redaktionen und Ressorts, aber da passiert weiterhin oft viel zu wenig. Das macht es dem Publikum leicht, das Problem zu ignorieren oder zu verdrängen.“

    Lissi Mair ist da zurückhaltender. „Ob der Durchblick fehlt?“, fragt sie und antwortet sich gleich selbst. „Es gibt keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen. Aber es braucht seriöse Journalist*innen, die sorgfältig recherchieren und versuchen, ein Gesamtbild der Situation nachzuzeichnen und die Leser*innen durch den Informationswald zu führen. Qualitätsjournalismus braucht es heute in Zeiten multipler Krisen mehr denn je. Konflikte, Streit, Kriege, Auswirkungen des Klimawandels können die Menschen sozial wie emotional überfordern. Jede und jeder reagiert anders auf oft ungefilterte Informationsflut sozialer Medien oder Boulevardblätter. Verunsicherte Menschen informieren sich immer weniger oder laufen Rechtsparteien in die Arme, die einfache Antworten auf komplexe Fragen versprechen und Migrant*innen als vermeintliche Schuldige für die Krise ankreiden. Wenn Elon Musk in Vorwahlzeiten sagt, dass nur die AFD Deutschland vor dem wirtschaftlichen Abstieg schützen kann, dann braucht es eine fundierte journalistische Einschätzung, die das Bild wieder zurechtrückt, die versucht, immer das Gesamte im Blick zu halten. Einseitigkeiten, Stereotype und Vorurteile sind für Leser*innen nicht immer leicht zu durchschauen, der geschulte Blick von Journalist*innen kann den Bürger*innen helfen, zwischen den Zeilen zu lesen und den Blick hinter die Kulissen zu werfen.“

  • Christian Stöcker Foto: © Martin Kraft
  • Ein Blick hinter die Kulissen

    All die Krisen belasten aber nicht nur die breite Bevölkerung. Auch für Journalist*innen können diese psychisch sehr belastend sein. Wird denn genug getan, um ihre psychische Gesundheit zu schützen?

    „In den Redaktionen herrscht viel Druck, der große Anforderungen an Journalist*innen stellt. Zum Thema Angst und Medien beispielsweise hatte die regionale Journalistenkammer ein Seminar mit Psychiater Roger Pycha und Medienethikerin und Psychotherapeutin Claudia Paganini angeboten, oder zum Tag der psychischen Gesundheit eine Pflichtfortbildung für Journalist*innen gemeinsam mit der Psychologenkammer organisiert. Es wurde auch angedacht, einen psychologischen Schalter für Kolleg*innen einzurichten, auch nachdem ein Fall von sexuellem Missbrauch in einer Redaktion bekannt geworden war. Medienhäuser sind nicht Garanten der Demokratie, wenn sie Journalist*innen nicht Arbeitsbedingungen ermöglichen, die sie brauchen, um guten Journalismus zu machen“, erklärt Lissi Mair die Situation in Südtirol.

    „Es gibt mittlerweile Schulungsangebote, schon länger für Leute, die aus Krisengebieten berichten, mittlerweile aber auch für Leute, die über Krisen generell berichten. Die psychische Belastung für alle, die sich professionell mit Nachrichten und damit dem Zustand der Welt beschäftigen müssen, ist zweifellos sehr hoch. Mehr Hilfe zum Selbstschutz, mehr Anerkennung für das, was da geleistet wird, mehr Akzeptanz für die Schwierigkeit dieser Aufgabe ist zweifellos angezeigt“, findet auch Christian Stöcker. „Nachrichtenkonsument*innen können sagen: ‚Ich höre jetzt mal ein paar Wochen lang weg.‘ Die Journalistin oder der Journalist in einer Nachrichtenredaktion kann das nicht. Und gleichzeitig sinkt die Akzeptanz für die oft belastende Arbeit, die da verrichtet wird, weil die Feinde der Demokratie permanent Propaganda gegen die freie Presse, die freien Medien machen. Stichwort ‚Lügenpresse‘. Wer die Demokratie verachtet, bekämpft immer zuerst die freien Medien, das ist eine historische Konstante, die überall in der Welt wieder und wieder zu beobachten war.“

  • Die Wahrung der Neutralität bei der Berichterstattung über Krisen und Konflikte ist wohl die größte Herausforderung für den Journalismus in der heutigen Zeit. 

    Lissi Mair

  • Sind wir (Konsumierenden) also medienmüde?

    „Das glaube ich nicht“, so Lissi Mair. „Aber ich denke schon, dass Leser*innen von uns Journalist*innen mehr denn je wahrhaftige journalistische Darstellungen erwarten sowie Objektivität durch emotionale Distanz zum jeweiligen Thema oder Geschehen, so wie es unser Berufsethos vorschreibt.“ Sie sieht also vor allem die Medienschaffenden in der Pflicht. „Uns Journalist*innen wird manchmal vorgeworfen, dass wir nicht korrekt oder fair berichten würden. Aber viele werfen dabei nur einen Blick auf die Überschrift und den knackigen Teaser. Wenn der Text dann gelesen wird, kommt eine andere Sichtweise heraus. Trotzdem gehört es zu unserer Pflicht, darüber zu reflektieren, wie wir Informationen weitergeben und mit welchem Bildmaterial. Wenn Leser*innen die Nachrichten gut einordnen können, dann dank des guten Journalismus. Und das steht in unserer Verantwortung. Die Wahrung der Neutralität bei der Berichterstattung über Krisen und Konflikte ist wohl die größte Herausforderung für den Journalismus in der heutigen Zeit. Aber vor allem in Ländern, wo die Wahrheit nicht ans Licht kommen soll, werden Journalist*innen verfolgt, eingesperrt und getötet. Im abgelaufenen Jahr sind laut Bericht der Reporter ohne Grenzen weltweit 52 Journalist*innen getötet worden, 528 sitzen in Haft – zuletzt wurde die italienische Journalistin Cecilia Sala in Teheran inhaftiert. Wir dürfen daher auch nicht müde werden, die Pressefreiheit immer und immer wieder zu verteidigen.“ [Anmerkung der Redaktion: Cecilia Sala wurde mittlerweile wieder freigelassen.]

    Auch für Christian Stöcker ist die Bevölkerung nicht unbedingt medienmüde. „Ich würde eher sagen, wir sind – nachvollziehbarerweise – krisenmüde. Und die Vielzahl der Krisen, die sich gleichzeitig abspielen, erreichen uns eben primär über die Medien. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass es eine wachsende Zahl von Leuten gibt, die sagen, mir ist das alles zu viel, ich halte es nicht mehr aus, ich schränke meinen Nachrichtenkonsum ein. Aber in einer Demokratie sind wir natürlich selbst in der Verantwortung. Wir können nicht dauerhaft wegschauen, denn die Folgen der Großkrisen werden irgendwann auch uns erreichen.“

  • Lissi Mair Foto: © Manuela Tessaro
  • Medien in der Krise – und im Wandel

    Gefühlt ändert sich die Welt tagtäglich. Die Medien tun es aber auch. Lissi Mair beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit journalistischer Ethik und betont immer wieder, wie wichtig ein korrekter journalistischer Berufsethos inmitten des gefühlten und realen Chaos ist: „Ich denke, dass heute mehr denn je Sorgfalt bei der journalistischen Recherche gefragt ist, dass die Achtung der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechtes nicht außer Mode gekommen sind, dass die Vertraulichkeit gegenüber Informant*innen und Quellen auch weiterhin nicht zu brechen ist. Die Trennung von Redaktion und Werbung muss gewahrt bleiben, und die Werbung für Leser*innen, Zuhörer*innen und Zuschauer*innen sofort kenntlich sein. Zum Berufsethos der Journalist*in gehört es auch, falsche Meldungen und unwahre Behauptungen umgehend richtig zu stellen. Wenn Journalist*innen nicht mehr Journalist*innen sein können oder wollen, dann schaut es schlecht aus mit unserer Gesellschaft.“

    Auch Christian Stöcker betont den Wert von gutem Journalismus für die Gesellschaft. „Eine Veränderung, die für reine Medienkonsument*innen vermutlich kaum wahrnehmbar ist, sind die ökonomischen Rahmenbedingungen. Mit Journalismus wird heute einfach sehr viel weniger Geld verdient als noch vor 20 Jahren. Das führt zu Einsparungen in den Redaktionen, erhöht die Belastung. Gleichzeitig hat sich die Schlagzahl des Nachrichtengeschäftes, durch Online-Berichterstattung, soziale Medien als Nachrichtenkanal, Nachrichtenquelle und Konkurrenz gleichermaßen, enorm erhöht. Das Tempo steigt, und es besteht immer die Gefahr, dass Qualität oder Sorgfalt dem Tempo geopfert werden. Gleichzeitig bleibt weniger Zeit und Geld für aufwendige Recherchen, in die Tiefe gehende Reportagen und so weiter. Dazu kommen die schon erwähnten Angriffe auf die Pressefreiheit und die freie Presse: Verschwörungstheoretiker*innen und Rechtsradikale verachten die Medien meist, obwohl sie Berichterstattung, die in ihr Weltbild passt, natürlich trotzdem gern zitieren. Und diese Tendenzen werden etwa durch Propaganda aus Russland permanent unterstützt. Der Journalismus ist enormen Bedrohungen ausgesetzt – in den USA plant Donald Trump jetzt schon offen, juristisch gegen ihm nicht genehme Berichterstattung vorzugehen. All das macht Pressefreiheit und unabhängigen Journalismus gleichzeitig wichtiger denn je.“

  • Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass es eine wachsende Zahl von Leuten gibt, die sagen, mir ist das alles zu viel, ich halte es nicht mehr aus, ich schränke meinen Nachrichtenkonsum ein. Aber in einer Demokratie sind wir natürlich selbst in der Verantwortung. Wir können nicht dauerhaft wegschauen, denn die Folgen der Großkrisen werden irgendwann auch uns erreichen.

    Christian Stöcker

  • Die gute Nachricht am Schluss

    Trotzdem blickt Lissi Mair positiv auf die Südtiroler Medienlandschaft. Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen „findet viel gute Berichterstattung statt.“

    Auch Christian Stöcker ist es wichtig zu betonen, dass Nachrichten nicht immer nur negativ sind. „Den meisten Leuten ist nicht klar, ist, dass sie nicht nur ständig negativer Desinformation begegnen, sondern, dass ihnen auch positive Nachrichten entgehen. Zwei Beispiele: Der Anteil der erneuerbaren Energien am Zuwachs der Stromerzeugung weltweit lag 2022 bei 80 %, 2023 bei 86 %. Das ist eine atemberaubende Entwicklung, die meiner Erfahrung nach fast niemand präsent hat – nicht einmal Leute, die sich aktivistisch engagieren, nicht einmal Leute, die als Investor*innen selbst große Summen in saubere Technologien stecken. Diese Blindheit für Erfolge ist bemerkenswert. Es gibt noch jede Menge andere Beispiele für dieses Phänomen: In Europa reden derzeit alle davon, dass Elektromobilität am Markt angeblich einen schweren Stand hat – dabei ist das nur bei uns so, wegen gekürzter Förderung, und das wird sich schnell erledigen. Weltweit schrumpft der Markt für Verbrennungsmotoren schon seit 2017, E-Auto-Verkäufe wachsen exponentiell, also immer schneller. Das gleiche gilt für den Ausbau erneuerbarer Energien und, mit noch höherem Tempo, den Preisverfall und den Ausbau von Batteriespeichern. Wir sind, rein technologisch, auf einem sehr guten Weg. Aber die Männer, die die Welt verbrennen, möchten gerne, dass das so unbekannt wie möglich bleibt und versuchen zu bremsen, wo es nur geht.“

  • Zum Dialogabend

    Der Dialogabend findet im Jugend- und Kulturzentrum UFO in Bruneck am Mittwoch, 15. Jänner, um 20 Uhr statt. Reservierungen sind erwünscht: www.ufobruneck.it
    Zudem kann der Abend via Live-Stream auf www.salto.bz & YouTube & www.facebook.com/UFObruneck verfolgt werden. Für den Livestream ist keine Anmeldung bzw. Passwort erforderlich.
    Die Veranstaltungsreihe „UFO | start.klar.“ ist ein offenes Forum für Begegnung und Debatte und wird vom UFO gemeinsam mit KVW-Bezirk Pustertal und Zigori LAB und in Zusammenarbeit mit SALTO organisiert.