Gestatten? Dominik Paris, der Techniker
Was war denn das für ein Chaos im Vorfeld: Ganze Ski-Teams saßen an den Flughäfen fest, konnten die Reise nicht antreten; dann fällt das Abfahrtstraining wetterbedingt aus – und anschließend mussten viele Super-G-Starter um ihre Ski bangen, die irgendwo zwischen Stockholm und Are hängen geblieben waren. Insgesamt schwierige und besonders stressige Bedingungen für die Athleten, die immerhin das größte Event des Jahres vor Augen haben und sich auf Bodenwellen, Kurssetzungen und eine gute physische Verfassung einstellen müssten, anstatt darauf hoffen zu müssen, dass sie ihren fahrbaren Untersatz überhaupt zur Verfügung haben.
Wenn man so will, kann man das ganze als Allegorie dafür sehen, was Dominik Paris in einem Rennen braucht. Widerspenstige, unberechenbare Verhältnisse, am besten mit einer Eisplatte zu viel als zu wenig. Der Ultner liebt schwierige Bedingungen, symptomatisch dafür stehen seine mittlerweile drei Siege auf der Streif, die wohl die anspruchsvollste und gefährlichste Abfahrtspiste der Welt ist. Und auf der Welle seiner letzten guten Ergebnisse in Bormio und eben Kitzbühel reitet das Speed-Ass weiter und krönt sich heute zum ersten Mal auf der von Buckel und Wellen übersähten Piste im schwedischen Are zum Weltmeister. Nicht in der Disziplin, in der man die meisten Hoffnungen gesetzt hatte, der Abfahrt, wo der Speed-König in den letzten Wochen seinen Anspruch an die absolute Weltspitze erhoben hat.
Dominik Paris ist Weltmeister im Super-G, seiner Lieblingsdisziplin: "Wenn ich gut in Form bin, tendiere ich eher zum Super-G, weil das die größere Herausforderung ist.“ Nach dem großartigen Resultat von Sofia Goggia, die gestern Gold um nur zwei Hundertstel hinter dem Ski-Phänomen Mikaela Shiffrin verpasst hat, hält auch Paris die Farben des italienischen Skiteams hoch und erreicht den bisher größten Erfolg seiner Karriere. Auf einer Piste, die genau solche Bedingungen geliefert hat, die Paris liegen, wenn auch anders, als man meinen möchte. Denn er liebt eigentlich schnelle, steinharte Abhänge, wo die Physis des fast 100-Kilo-Brocken am besten zur Geltung kommt. An Eis dürfte es in Are nicht gemangelt haben, jedoch spielte Geschwindigkeit in diesem Lauf nur eine untergeordnete Rolle. Die Schwierigkeitsgrad manifestierte sich vor allem beim unteren Streckenabschnitt, der mehr einem etwas überambitionierten Riesentorlauf denn einem Kurs einer Disziplin glich, der das Attribut "Speed“ anhaftet.
Kurz gesagt: Es war ein Super-G für Techniker und nicht für jemanden, der der Maxime "schneller und schneller und schneller“ folgt. Eben die erwähnte größere Herausforderung – mal zwei. Zugegeben, in den oberen und teilweise mittleren Abschnitten erreichten die Fahrer Spitzengeschwindigkeiten um 115 km/h, jedoch lag die technische Komponente auch in der Natur der Piste, was sich umso mehr in den zahlreichen Torfehlern widerspiegelte. Gleich sieben Fahrer der ersten 20 – also der Super-G-Elite – mussten vorzeitig abbrechen, der Großteil an genau zwei Stellen, die aber eines gemeinsam hatten: Die Tore wurden nach einem Sprung auf der von Buckeln durchzogenen Abfahrt verfehlt oder bewusst nicht durchfahren, da es sich dann halt nicht mehr für das nächste Tor ausgegangen wäre. Der unübersichtlichen Beschaffenheit des Hanges gepaart mit der engen Torsetzung und teilweise hohem Speed waren viele Spitzenrennläufer heute nicht gewachsen.
Wie kontrolliert Paris das schwierige Rennen gefahren ist und wie bewusst er eine saubere Linie gewählt hat, beweisen seine Rankings in den verschiedenen Sektoren: Bei der ersten Zwischenzeit liegt er insgesamt auf Platz sieben, bei der zweiten auf Platz drei – wenig Risiko also. Erst im unteren mittleren Streckenabschnitt hat er die Nase vorne – Gott sei Dank möchte man meinen, schleicht sich im Schlussteil doch ein Fehler ein, der ihm fast den Sieg gekostet hätte. Der Österreicher und Super-G-Weltcupführende Vincent Kriechmayr lag bei der dritten Zwischenzeit noch eine halbe Sekunde hinten, keine zehn Sekunden darauf im Ziel waren es nur noch knappe neun Hundertstel. Und trotzdem: Der vermeintliche Geschwindigkeitsjunkie Paris legt das Fundament für seinen Sieg im technisch anspruchsvollsten Bereich und hat der Skiwelt heute gezeigt, dass er auch Technik kann.
Das heute war ein richtiger
Das heute war ein richtiger Super-G so wie er eigentlich am Anfang konzipiert worden war. Die Pistenkonformation und die Kurssetzung haben dazu beigetragen, dass heute ein fantastisches Rennen stattgefunden hat, nicht nur was das Ergebnis anbelangt.
Nur eine Anmerkung: die Streif ist ein Mythos und auch gefährlich und jeder Fahrer will dort mindestens einmal siegen, aber Bormio und Beaver Creek sind die zwei schwierigen Strecken im Welt Cup.