Culture | Salto Afternoon
„Möglichkeitsform des Dazwischen“
Foto: Florian Dariz
2022 hatte die Autorin und Vorstandsmitglied der SAAV bereits das Dramatiker:innenstipendium der österreichischen Bundesregierung ergattert. Nun ist ihr Stück, kürzlich zum Schnäppchenpreis bei den Wiener Wortstätten (Edition Goldstück) erschienen, zum 40. Heidelberger Stückemarkt (vom 28. April bis zum 7. Mai) geladen. Bei diesem hatte 2021 die Wahlsüdtirolerin Anna Gschnitzer für „Einfache Leute“ den Publikumspreis ergattert. Zuletzt war im Oktober mit „wir: im berg“ ein Stück der Autorin über den BBT (Regie: Michaela Senn) in der Dekadenz zu sehen. Eine Annäherung an Unterthiner und ihr neues Stück.
Salto.bz: Frau Unterthiner, in der Kurzbeschreibung des Stückes heißt es „auf Basis einer wahren Begebenheit“. Welche Begebenheit liegt Ihrem Stück zu Grunde?
Miriam Unterthiner: Die wahre Begebenheit ist, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts in Latzfons (Gemeinde Klausen) eine Frau mit körperlichen Deformierungen gab, im Grunde einen Rundrücken: Das heißt, dass sich der Kopf nach unten geneigt hat und der Rücken nach außen gewachsen ist. Sie erhielt daraufhin von ihrem Vater ein Holz-T-Shirt. Ich kannte die Frau vor etwa zehn Jahren, wir sind quasi im selben Haus aufgewachsen und sie hatte auch als Erwachsene einen stark deformierten Rücken, bei uns nannte man das einen Witwenbuckel. Das ist die wahre Geschichte dahinter. Auch gesichert ist, dass sie die älteste Tochter war und es kurz zuvor einen erstgeborenen Sohn gab, der aber früh verstorben ist. Als die Eltern sie bekamen, waren sie eher noch mit der Trauer beschäftigt. Sie konnte den Sohn nicht ersetzen, es gab auch keinen weiteren mehr in der Familie. Historisch ist im Stück noch, dass die Mutter früh verstarb, was hieß, dass sie mit dem Vater aufwuchs.
Ich kannte die Frau vor etwa zehn Jahren, wir sind quasi im selben Haus aufgewachsen
Von diesen Begebenheiten ausgehend geht es auch ums Dorf, um Enge und um Sprache. Welche Freiheiten nahmen Sie sich?
Zum Thema Dorf arbeite ich jetzt schon länger, als Teil meines Master-Projekts in Sprachkunst an der Angewandten in Wien. Mit dem Material - das Dörfliche, die Enge, die Gemeinschaft und vielleicht etwas der Mikrokosmos - damit beschäftige ich mich schon länger. Mein Ausgangspunkt ist dabei immer mein Heimatdorf und Dinge, die dort real passiert sind. Allesamt sind es Geschichten, die nicht historisch aufgearbeitet wurden, was heißt, dass es kein Verzeichnis und keine Interviews dazu gab. Es gibt also nur das Hörensagen und das Wissen, das daraus entsteht. Wenn ich dazu recherchiere, was häufig in Form von Gesprächen, in der Familie oder außerhalb, passiert, stoße ich auf viel Wissen, das sich widerspricht. Wenn ich meine Interviewpartner darauf aufmerksam mache, dann wird oft versucht das in einander einzubetten, so dass es doch funktioniert.
Ähnlich funktioniert dann auch das Fiktionale, was heißt, dass es gewisse Referenzpunkte gibt, über die Einigkeit besteht. In diesem Stück wären diese, dass es die Frau gegeben hat, das T-Shirt, den Tod des Sohnes und die Vater-Tochter-Beziehung. Alles darüber hinaus wurde schwierig in der Recherche. Ich versuche in die Lücken hinein zu schreiben und die Recherchepunkte zu verknüpfen. Ich erhebe keinen Anspruch darauf, dass die Texte dokumentarisch funktionieren oder die sogenannte „Realität“ abbilden. Das Stück ist eine Möglichkeitsform des Dazwischen.
Was mir auffiel ist, dass nicht wirklich Sachen verschwiegen werden und - wenn man Dinge oder Menschen nicht nennen will - darum herum erzählt wird, fast floskelhaft.
Es gibt den Allgemeinplatz, dass auf dem Dorf sehr viel geschwiegen wird. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht, wenn ja, wie kommt man dagegen an?
Beim Schweigen bin ich mir nicht so sicher, ob das so ist. Warum ich nicht so sehr daran glaube, ist, dass meine Familie väterlicherseits, die aus Latzfons kommt, wahnsinnig mündlich orientiert ist, was heißt, sie erzählen sehr viel. Was mir auffiel ist, dass nicht wirklich Sachen verschwiegen werden und - wenn man Dinge oder Menschen nicht nennen will - darum herum erzählt wird, fast floskelhaft. Ich finde, dass das sehr literarisch ist, dass es nicht das klare Benennen gibt. Es kann ganz viel rundherum passieren, immer wieder und auch auf neuen Wegen, aber den Punkt zu treffen wird vermieden. Vielleicht ist das der Moment in dem man nicht darüber redet. Ich finde gleichzeitig, das ist wie Theater oft funktioniert oder funktionieren kann. In der Recherche finde ich es deshalb wichtig oft über die selben Themen zu reden. Langsam findet man den Punkt dann schon.
Es kam im Laufe der Arbeit an dem Stück noch ein Zweittitel dazu, „Va†erzunge“. Das Wort kennt man sonst aus der Philologie und dem historischen Gebrauch, als es eine Aufteilung zwischen Mutter- und Vatersprache (oft Latein) gab. Sie haben auch Philologie studiert, kommt der Titel eher von daher oder aus einem persönlichen Moment der Figur heraus?
Bei den Wiener Wortstätten habe ich noch mit „Is Måidele“ gearbeitet. Dieses A mit Kugel ist unser Dialekt, zwischen o und a. In „Va†erzunge“ habe ich das Stück dann erst später umbenannt. Im Grimmschen Wörterbuch ist das als Vatersprache genannt und ich fand das interessant, da ich immer nur die Muttersprache kannte. Ich fing an mit dem Grimmschen Wörterbuch zu arbeiten, weil ich eine etwas kahle, raue Sprache gesucht habe, so, wie der Dialekt oft funktioniert. Ich bin da im Hochdeutschen nicht so fündig geworden und stieß im Grimmschen Wörterbuch auf Worte, die eher in die Richtung gingen und viele, die ich von meinen Großeltern kenne und selber nicht mehr verwende. Es kam dann zur Vaterzunge. Die Figur, Maria, beginnt über den Text hinweg zu sprechen, findet so zur eigenen Sprache und auch zum „Ich“. Sie ist von der Vatersprache geprägt und nicht von jener der Mutter, weil diese ja kein Teil war vom Aufwachsen.
Ich fing an mit dem Grimmschen Wörterbuch zu arbeiten, weil ich eine etwas kahle, raue Sprache gesucht habe, so, wie der Dialekt oft funktioniert.
Es ist von drei Sprach- oder Sprechebenen im Stück die Rede. Welche sind diese?
Der Text teilt sich formal in drei, es gibt in der Mitte eine Linie, links davon eine Stimme und rechts davon eine, wie auch unten. Die Stimme rechts ist von Maria, die versucht eine Sprache zu finden, von ersten, kindlichen Lauten, dem Versuch „Mamma“, „Papa“ oder „Maria“ zu sagen, bis hin zum „Ich“. Es ist ein Los-Sprechen, ein sich frei sprechen.
Die linke Stimme ist eher so etwas wie eine Erzähler-Stimme, die das Geschehen am ehesten veranschaulicht, oder darüber spricht. Sie arbeitet vor allem mit Begriffen, zeigt auf dass Gewaltvolles schon in der Sprache drin sein kann. Es gibt dann auch Abwandlungen und dadurch, dass ein Begriff mehrere Bedeutungen haben kann, kann es sein, dass sich der Sinn dadurch entzieht.
Die dritte Stimme findet sich unten auf dem Blatt, sie ist der „Boden“. Der Boden, das ist derjenige, der das gesamte Geschehen ansieht und versteht, dass hier etwas anders läuft als sonst in Familien. Er ist die Stimme, die mit Maria spricht, sie unterstützt, im Sinne dass er an ihrer Seite spricht. Der Boden arbeitet ganz viel mit dem Moment des Eingreifens oder Nicht-Eingreifens. Er ist nur Boden und was kann man als Boden schon machen? Er funktioniert als Kollektivfigur, ist ganz viele, die Bescheid wissen. Das ist am ehesten mit einer Dorfgemeinschaft vergleichbar.
...ich versuche im Theater und bei diesem Stück die Stimme vom Körper zu trennen, unter anderem, weil es auch um Gewaltvolles geht.
Das klingt recht technisch. Was passiert mit dem Stück bei einer szenischen Lesung oder Aufführung? Ist das ein paralleles Sprechen oder treten diese Ebenen als Figuren in Erscheinung?
Ich benutze weniger den Begriff von „Figuren“, weil ich versuche im Theater und bei diesem Stück die Stimme vom Körper zu trennen, unter anderem, weil es auch um Gewaltvolles geht. Für eine Abstraktion ist es vielleicht besser, wenn man hier Stimme und Körper trennt um nicht veranschaulichen, aber thematisieren zu können. Die drei Stimmen sind so angelegt, dass sie gleichzeitig und unabhängig von einander sprechen können. Ich habe versucht den Text so anzulegen, dass sich die Stimmen überlappen oder überschneiden, sich das Wort nehmen können, dass eine Stimme weg gelassen werden kann und der Schwerpunkt auf einer Stimme liegt. Sie kreuzen sich immer wieder, sind aber einzeln. Es gibt wenig Interaktion, obwohl sie einander aufgreifen. Es ist ein Ineinanderfließen, ein Ineinanderfinden, vielleicht.
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