Simone Moro- Die Oase der Freiheit
Text: Simone Moro
Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Alpenverein Südtirol
Simone Moro ist seit vielen Jahren im Alpinismus-Geschäft, seit den 1990er-Jahren ist er regelmäßig auf den höchsten Bergen der Welt anzutreffen. Mit der Winterbesteigung von bisher vier Achttausendern hat er Alpingeschichte geschrieben. Als Profibergsteiger weiß der gebürtige Bergamaske und Teilzeit-Bozner, wie sehr der Berufsalpinismus Öffentlichkeit braucht. Für Bergeerleben hat er sich einige Gedanken zum Thema Authentizität gemacht.
Die Geschichte des Berufsalpinismus beginnt wohl mit Reinhold Messner, der unleugbar der größte und auch unter Laien bekannteste Alpinist weltweit ist. Messner hat es verstanden, mit den Medien, der breiten Öffentlichkeit, den Verlegern und dem Fernsehen in Beziehung zu treten. Dabei stand er immer im Dienste des Alpinismus. Und das ist der entscheidende Punkt. Denn heute gibt es zwei Arten von Menschen, die zum Thema Bergsteigen kommunizieren: Jene, die erzählen, um Zuhörer zu binden und Zustimmung zu bekommen, ohne sich darum zu kümmern, ob sie überhaupt etwas Wichtiges zu berichten haben. Und jene, die kommunizieren, um von wirklich einzigartigen Leistungen zu erzählen.
Mit anderen Worten: Es geht darum, nicht nur heiße Luft zu produzieren. Es stimmt natürlich: Die Öffentlichkeit verlangt nach Geschichten und Erzählungen. Aber die Geschichten müssen echt sein und Substanz haben. Es müssen Geschichten über Menschen sein, die authentisch sind, und starke und zugleich fragile Persönlichkeiten zeigen. Übermenschen und Rambo-Charaktere sind weit weg von der Realität und von dem, was die Öffentlichkeit sucht.
Profis und Sponsoren
Das ist es auch, was die Sponsoren suchen. Sie brauchen Authentizität, Ehr- und Glaubwürdigkeit, sie suchen Menschlichkeit und natürlich die Fähigkeit, Geschichten zu vermitteln. Heute verlangen Sponsoren zudem Respekt gegenüber der Natur und den Menschen und auch eine gewisse Bereitschaft, in die Öffentlichkeit zu gehen und sich in der Forschung einzubringen. Sie suchen Alpinisten, die sich nicht verstecken, und die es verstehen, mit wahren Begebenheiten zu überzeugen und zu unterhalten. Sie brauchen Leute, die mehrere Sprachen sprechen, regelmäßig soziale Netzwerke bedienen und diese dabei nicht missbrauchen.
Wenn man darüber nachdenkt,sind es genau jene Charakterzüge, die jedes Unternehmen bei einem Bewerbungsgespräch für welches Berufsbild auch immer verlangt. Niemand ist gezwungen, sich diesem Prototyp anzupassen. Es bleibt die Freiheit, selbst zu entscheiden, wieweit man sich darauf einlässt. Aber man kann natürlich nicht erwarten, dass man „entdeckt“ wird oder Gelder bekommt, wenn man den Kontakt mit der Öffentlichkeit scheut. Jede Entscheidung hat ihren Preis und eventuell auch ihren Vorteil. Es liegt am einzelnen, sich täglich seinen Weg zu suchen.
Wichtig zum Thema Sponsoren erscheint mir auch das Thema Druck. Dass Sponsoren Druck auf Alpinisten ausüben, ist pure Fantasie, ein Irrtum, dem nur sehr dumme Alpinisten unterliegen. Ich habe in 30 Jahren als Profi-Alpinist mit keinem einzigen Unternehmen gearbeitet, das mich auch nur ansatzweise unter Druck gesetzt oder mich zu einem höheren Risiko gedrängt hätte. Ich bin gleich oft gescheitert, wie ich auch Erfolg hatte und nie habe ich den berühmten Atem im Nacken gespürt oder ein Ultimatum bekommen.
Kritik und Neid
Das Bergsteigen hat eine lange Tradition: Zunächst haben die Berge und auch das Bergsteigen den Menschen Angst eingeflößt, später wurde den Alpinisten Respekt und Bewunderung entgegengebracht. Mit der Zeit kamen Gefühle wie Neid, Eifersucht und Misstrauen ins Spiel. Dabei hat sich zuletzt auch das Verhältnis zur Öffentlichkeit und den Medien verändert. Immer öfter werden Ereignisse im Alpinismus von Diskussionen begleitet und auch durch Polemiken ersetzt, die einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Kritik und Angriffe hat es immer gegeben, heute sind sie nur zahlreicher, lauter und aufgrund der neuen Möglichkeiten verbreiteter. Im Internet herrscht scheinbar absolute Freiheit, seine Meinung, seine Kritik, aber auch Beleidigungen zu äußern. Die Stimmung ist aufgeheizt, schnell stehen Zweifel im Raum, auch weil es tatsächlich mehrere Aufdeckungsgeschichten im Alpinismus gegeben hat. Das Ausmaß der Kritik ist dann direkt proportional zum Bekanntheitsgrad der Person. Die Kritik entsteht durch Neid, aber immer öfter bildet sich auch eine Art Fangemeinde für den einen oder anderen Alpinisten oder die Art von Alpinismus. Damit muss man umgehen und bis auf einige Ausnahmen, wo übers Ziel hinausgeschossen wird und der gute Geschmack, der Respekt und die guten Manieren verletzt werden, ist es auch nichts Schlimmes.
Alpinismus hat trotz alledem eine vielversprechende Zukunft, die in den Händen derer liegt, die die Kreativität und den Mut aufbringen, Neues zu entdecken, statt Bestehendem nachzueifern. Alpinismus ist und bleibt vor allem eine Leidenschaft, ein besinnliches Tun, heilsam für die Seele und den Geist. Ein Trieb der Tausende „normale“ Alpinisten, Wanderer und Naturbegeisterte antreibt, sich an der frischen Luft in persönlicher Freiheit zu bewegen. Das Bergsteigen unterliegt ständiger Veränderung wie auch die Gesellschaft. Manchmal entwickeln sich die Dinge zum Positiven und es gibt bahnbrechende Neuerungen, und dann geschieht wieder das komplette Gegenteil. Das Schöne ist, dass das Bergsteigen dabei eine seltene Oase der Freiheit bleibt, wo jeder machen kann, was, wann und wie er es möchte. Es bleibt eine gewisse Anarchie bestehen, auch wenn der Alpinismus seine Geschichte, seine Hauptdarsteller und ungeschriebene Regeln hat.
SIMONE MORO, (*1967) ist ein italienischer Extrembergsteiger, der vor allem durch mehrere Winterbesteigungen im Himalaja mediales Aufsehen erlangt hat, letztens mit der Winterbesteigung des Nanga Parbat (2016) und der abgebrochenen Besteigung des Kangchendzönga zusammen mit Tamara Lunger (2017).