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Die vergessene Sprachprüfung

Florian Zerzer hat die Südtiroler Ärztekammer in arge Verlegenheit gebracht. Anscheinend hat man es mit den Sprachkenntnissen der Ärzte in Südtirol nicht genau genommen.
Arzt
Foto: upi
Sven Knoll ist außer sich. „Wir erwartet uns von der Landesregierung eine umgehende Intervention beim Gesundheitsministerium in Rom“, schreibt der Landtagsabgeordnete der Südtiroler Freiheit in einer Presseaussendung. Und weiter: „Diese Kontrolljagd auf deutsche Ärzte muss sofort gestoppt werden“.
Sven Knoll studiert Medizin und er wird Arzt werden. Nicht nur deshalb ist das Thema für den Politiker ein besonderes Anliegen. Knoll in der Aussendung:
 
Auf Anweisung der italienischen Gesundheitsministerin findet derzeit in Süd-Tirol eine regelrechte polizeiliche Kontrolljagd auf deutschsprachige Ärzte statt. Italien hat angeordnet, all jene Ärzte aus Österreich und Deutschland aufzuspüren, die in den Süd-Tiroler Krankenhäuser arbeiten und nicht ausreichend Italienisch sprechen. Dieses polizeistaatliche Vorgehen ist skandalös und ein Affront gegenüber Süd-Tirol, denn die italienische Regierung macht damit deutlich, dass die Süd-Tiroler Bürger zweiter Klasse sind, deren deutsche Muttersprache unbedeutend ist.“
 
 
Harter Tobak, der sich bei genauerem Hinsehen, aber als politische Schaumschlägerei entpuppt. Das machen die Fakten deutlich.
 

Zerzers Fauxpas

 
Dabei hat sich Südtirol die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes selbst eingebrockt. Ausgangspunkt der gesamten Polemik war eine unbedachte Äußerung des Generaldirektors des Südtiroler Sanitätsbetriebes.
Salto.bz hat exklusiv darüber berichtet. Am 27. März 2019 kam es bei einer Aussprache im römischen Gesundheitsministerium zum Eklat. Generaldirektor Florian Zerzer und Personalchef Christian Kofler brachen die von ihnen erbetene Aussprache mit den Lega-Staatssekretär Luca Coletto vorzeitig ab und verließen das römische Ministerium im Streit. Der Grund: Als Berater des Gesundheitsministeriums saß auch ein Mann am Tisch, der für das Südtiroler Sanitätswesen mehr als nur eine persona non grata ist: Costantino Gallo.
In der rund 30 Minuten dauernden Aussprache versuchte Florian Zerzer unter anderem vom Gesundheitsministerium grünes Licht für die Einstellung von Pflegepersonal aus dem Ausland zu erhalten, das nicht Italienisch spricht. Als die Ministeriumsbeamten sich dagegen aussprachen, argumentierte Zerzer, dass es in Südtirol ja auch Ärzte gebe, die nur Deutsch und kein Italienisch können.
 
 
Die Ministeriumsdelegation wurde nach diesem Satz hellhörig. Auf Nachfrage versuchte der Südtiroler Generaldirektor seine Aussage zwar noch zu relativieren, doch das Gesundheitsministerium hatte den Braten gerochen. Wenige Tage später startete eine offizielle Anfrage an die Südtiroler Ärztekammer. Weil Kammerpräsidentin Monika Oberrauch auf die Anfrage nur ausweichend antwortet, ermittelt jetzt die Carabinierisondereinheit NAS. Auf Anordnung des Gesundheitsministeriums soll sie prüfen, ob die in Südtiroler Ärztekammer Ärzte oder Zahnärzte eingeschrieben sind, die kein Italienisch sprechen.
 

Europäische Richtlinie

 
Was Sven Knoll als „polizeiliche Verfolgung“ hinstellt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als europäischer Standard. Der Grundsatz dabei: Ein niedergelassener Arzt muss die Sprache des Landes beherrschen.
In Österreich oder Deutschland wird diese Sprachenpraxis weit strenger umgesetzt. So etwa müssen Ärztinnen und Ärzte, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen und hier in ihrem Beruf tätig werden wollen, bei der Beantragung der Approbation/Berufserlaubnis nachweisen, dass sie über die für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. 
Die Konferenz der deutschen Gesundheitsminister (GMK) hat am 26./27. Juni 2014 „Eckpunkte zur Überprüfung der für die Berufsausübung erforderlichen Deutschkenntnisse in den akademischen Heilberufen“ beschlossen. Die für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache, die sogenannten Fachsprachkenntnisse, orientieren sich für Ärztinnen und Ärzte am Sprachniveau C1.
Ebenso im Österreich. Dort müssen Ärzte, die aus einem nicht deutschsprachigen Land kommen und nicht in Österreich, Deutschland oder der Schweiz studiert haben, ebenfalls eine Sprachprüfung ablegen, bevor sie sich in die Ärztekammer eintragen können. Die Akademie der Ärzte, ein Tochter der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) führt in allen Bundesländern diese schriftlichen und mündlichen Prüfungen durch. Die ÖÄK Sprachprüfung Deutsch entspricht in Ihrer Gestaltung und thematischen Orientierung mindestens der Schwierigkeitsstufe C1.
Sven Knoll, der in Innsbruck seinen Lebensmittelpunkt hat, kann sich auf Homepage der Tiroler Ärztekammer genau darüber informieren.


Italiens Gesetze

 
Auch in Italien gilt eine gleichlautende gesetzliche Regelung. Im staatlichen Rahmengesetz heißt es dazu:
 
„Il medico ha due anni tempo, quindi, per presentare domanda di iscrizione all’Ordine dei Medici competente per territorio (ossia quello della provincia dove il medico risiede) e, una volta iscritto, è legittimato ad esercitare la professione in Italia.
Siccome in questo caso si sta parlando di un medico non italiano e laureato all’estero, prima di poter ottenere l’iscrizione all’Ordine (e quindi di poter esercitare la professione in Italia) è necessario che dimostri di conoscere la lingua italiana e le normative che regolano l’esercizio della professione in Italia. Tale verifica è svolta dall’Ordine professionale a cui il medico rivolge domanda di iscrizione.“
 
Laut Gesetz hat jeder Arzt und jede Ärztin damit zwei Jahre Zeit um notfalls die Sprachprüfung abzulegen.
Und weiter:
 
„L'iscrizione negli albi professionali e quella negli elenchi speciali di cui al comma 1 sono disposte previo accertamento della conoscenza della lingua italiana e delle speciali disposizioni che regolano l'esercizio professionale in Italia, con modalita' stabilite dal Ministero della sanita'. All'accertamento provvedono, prima dell'iscrizione, gli ordini e collegi professionali e il Ministero della sanita', con oneri a carico degli interessati.“
 
Interessant dabei: Auf der Homepage der Südtiroler Ärztekammer findet sich weder von diesen Regelungen, noch von einer Sprachprüfung ein Spur. Auch eine Kommission, die die Sprachenkenntnisse überprüft, wurde bisher nicht eingesetzt.
Das ist bei anderen Ärztekammern in Italien völlig anders.
 

Kein Präzedenzfall


Denn das was – nicht nur Sven Knoll – jetzt als Revancheakt des Gesundheitsministeriums interpretiert, ist seit Jahren Italienweit eine Konstante.
Am 27. April 2016 verschickte die Präsidentin der "Federazione Nazionale degli Ordini dei Medici Chirurghi e degli Odontoiartri“ (FNOMCeO), Roberta Chersevani an alle Ärztekammern ein Rundschreiben in dem genau auf dieses Problem hingewiesen wird.
 
 
Wie ernst man die Sache dabei nimmt, zeigt die Ärztekammer von Pavia. Dort wurden bereits 2011 per Beschluss eine Kommission und ein genaues Prüfungsprogramm festgelegt. Dabei haben die Kandidaten sogar zwei schriftliche und eine mündliche Prüfung zu bestehen.
 
 
 
Nur in Südtirol scheint die Ärztekammer bisher in diesem Punkt eher nachlässig gewesen zu sein. Dafür gibt es praktische Gründe.
Zum einen kommen deutschsprechende Ärzte im Land auch ohne Italienischkenntnisse über die Runden. Zum anderen gilt auch in diesem Bereich eine einfache Aufrechnung. Es ist das Argument, das auch Sven Knoll in seiner Aussendung anführt: Es gibt in Südtirol immer noch zu viele italienische Ärzte, die kein Wort Deutsch können.
Dass das Gesundheitsministerium in diesem Punkt besonders penibel ist, hat einen einfachen Hintergrund, der nichts mit Südtirol zu tun. Ist ein Arzt in eine regionale Ärztekammer eingeschrieben, dann kann er seinen Beruf überall in Italien ausüben.
In Pens dürfte ein Arzt, der kein Italienisch spricht kein Problem sein. In Rom aber schon.